Ein Coup der Kaderplanung: SC verkaufte Kicker für 37 Millionen Euro STADTGEPLAUDER | 17.10.2020 | Dominik Bloedner

Stadion in Freiburg

„Football is coming home“, lautet ein beliebter Song aus England, dort, wo der Sport bekanntlich erfunden wurde. Und fast hatte man an diesem verregneten letzten Septembersonntag den Eindruck, dass im Stadion an der Schwarzwaldstraße alles so wie früher war…Lediglich 3200 handverlesene Gäste, so wenige wie zuletzt in den frühen 1990ern bei einem Kick gegen Chemnitz, wie ein Kollege der BZ recherchiert hat.

Eine coronabedingt verwaiste Nordtribüne, von Hexenkessel keine Spur, dafür die zaghafte Anfeuerung der versprengten Fans: „Heja, heja SCF“. Lange nicht gehört, es reichte trotzdem nur zu einem 1:1 gegen den VfL Wolfsburg, schmeichelhaft für die Gäste. Im Repertoire der Ultras, die sich ein Stimmungsmonopol erschrieen haben, hat dieser altehrwürdige Heja-Schlachtruf aus der Ära Finke keinen Platz. Wie es weitergeht mit dem Support, wer, wann und wie im neuen Stadion feiern darf, das steht noch in den Sternen.

Gewissheiten gibt es im Fußball ohnehin nur wenige – außer vielleicht, dass der FC Bayern wohl wieder Meister wird und dass der SC Freiburg wie jede Saison wacker versucht, mit denen da oben mitzuhalten, um nicht denen da unten zu nahe zu kommen. Die Kaderplanung war in diesem Jahr frühzeitig beendet. Und im Gegensatz zu anderen erfolgreichen Bundesligasaisons, als mit Ende der Runde viele Leistungsträger auf einmal abgegeben wurden und der Sportclub in der Folge ins Trudeln geriet, kann man für 2020/21 sagen: Der Kader ist nicht schlechter geworden, eher das Gegenteil.

Knapp 37 Millionen Euro sind durch die Verkäufe von Alexander Schwolow (Hertha BSC), Luca Waldschmidt (Benfica Lissabon), Robin Koch (Leeds United), Pascal Stenzel (VfB Stuttgart) und Jérôme Gondorf (Karlsruher SC) zusammengekommen, fast ein halbes Fußballstadion und vereinseigener Rekord. Lediglich Janik Haberer, defensiver Mittelfeldspieler und seit langer Zeit wechselwillig, hat den Absprung bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe immer noch nicht geschafft. Für den SC spielt er keine Rolle mehr, für seinen Ersatz griff der SC tief in die Kasse: Rund zehn Millionen Euro kostete der Franzose Baptiste Santamaria. Ein stabiler und ambitionierter Club sei der SC, sagte die neue Nummer 8, die er von Mike Frantz (nach Hannover) übernommen hat, in einem seiner ersten Interviews.

Baptiste Samtamaria

Rekordtransfer: Baptiste Santamaria hat zehn Millionen Euro gekostet. Beim Spiel gegen Wolfsburg verloren sich nur 3200 Fans im altehrwürdigen Schwarzwald-Stadion.

Und schon gegen Wolfsburg deutete Santamaria trotz kleiner Anlaufschwierigkeiten an, dass er mehr als nur der Mannschaft helfen kann: Beinahe hätte er das Spiel sogar entschieden. Und beim 0:4 gegen Dortmund, als sich der SC nach einer halben Stunde nicht mehr wehren wollte, war er der Spieler mit den meisten Zweikämpfen und dem größten Laufpensum.

Neu im Kader, und das eher unfreiwillig, ist nach der Verletzung von Mark Flekken im Pokalspiel in Mannheim nun Torhüter Florian Müller, der von Mainz 05 ausgeliehen wurde. Ob er Schwolow, der nun in der Big City Berlin des Öfteren hinter sich greifen muss, ersetzen kann, bleibt zu hoffen. Ersatz für Waldschmidt hinter den Spitzen soll der Niederländer Guus Til sein. Er kam von Spartak Moskau, die Leihgebühr soll 900.000 Euro betragen. Bislang konnte er sich noch nicht zeigen. Und fürs Toreschießen wurde Ermedin Demirovic von Deportivo Alavés, zuvor ausgeliehen an den FC St. Gallen, für 3,7 Millionen Euro verpflichtet. Fast neu im Kader ist der junge Koreaner Woo-yeong Jeong, bereits vor einem Jahr verpflichtet und wieder zurück verliehen an die zweite Mannschaft des FC Bayern. Nun ist er gereift, kam in allen Pflichtspielen zum Einsatz.

Zwischen Effizienz und Chancentod, so kennt man den SC. Vier Punkte nach drei Spieltagen, aber wenig Fragezeichen. Außer der nicht zu beantwortenden Fragen danach, wann der Fußball nach Hause kommt, wann er wieder so sein wird, wie er einmal war. Mit Umarmungen auf den Rängen, Bierduschen, Freude, Leichtigkeit. Dies steht nun einmal nicht in der Arbeitsplatzbeschreibung von Christian Streich & Co.

Fotos: © Achim Keller