Wie Freiburger Lebensmittel vor der Vernichtung retten STADTGEPLAUDER | 27.10.2020 | Philip Thomas

Lebensmittel in Mülleimer

Freiburg ist Müllvermeidermeister. Laut der Abfallwirtschaft und Stadtreinigung Freiburg GmbH (ASF) produzierte jeder Stadtbürger im vergangenen Jahr rund 108 Kilo Restabfall und Sperrmüll – so wenig wie keine andere kreisfreie Großstadt in Deutschland.Auch beim Biomüll ist die Green-City mit nur 68 Kilo pro Kopf Vorreiter. Trotzdem landen auch in Freiburg Unmengen Essbares im Müll. Containerer, Verteiler und die Tafel kämpfen gegen die Verschwendung.

In Deutschland gehen laut Umweltbundesamt fast ein Drittel der produzierten Lebensmittel auf dem Weg vom Feld zum Teller verloren. Vieles davon ist noch genießbar. Nur: Obst, Gemüse, Brot, Käse und Fleisch aus Mülltonnen zu fischen und vor der Vernichtung zu bewahren, bleibt laut Bundesverfassungsgericht eine Straftat. Amy B. (Name von der Redaktion geändert) geht trotzdem regelmäßig „containern“. Seit drei Jahren ist sie nach Sonnenuntergang rund um den Freiburger Tuniberg unterwegs.

In dem ländlichen Gebiet sei die Tour nicht so stressig wie in der Wiehre oder in Landwasser. Dort gebe es regelrechte Revierkriege: „Die WGs haben die Supermärkte untereinander aufgeteilt.“ Die Szene in Freiburg sei groß und nicht jeder Supermarkt ist geeignet: „Die neuen Märkte werden alle mit hohen Zäunen und Kameras gebaut. Keine Chance.“

Mit großen Satteltaschen radelt sie deswegen zu einem älteren Discounter. „Mit dem Auto geht es besser, da kann man einfach den Kofferraum vollmachen“, sagt sie und zwängt sich in einen abgeschlossenen Betonkäfig hinter der Laderampe. Darin stehen vier randvolle Mülltonnen. Mit Stirnlampe und Handschuhen ausgestattet, zieht B. mit schnellen Bewegungen Salat, Äpfel und Nektarinen heraus. Ein durchschnittlicher Fund. „Containern spart richtig Geld“, sagt die Studentin. Lebensmittel im Wert von 300 Euro pro Nacht seien keine Seltenheit.

Im Nieselregen geht es weiter zu einem großen Supermarkt. Die Tonnen dort sind nicht abgeschlossen und geben noch mal Mehl, Brokkoli, eine Ananas und Trauben mit leichten Druckstellen preis. In den gekühlten Mülleimern habe die 29-Jährige schon argentinische Steaks gefunden. „Es ist Wahnsinn, was alles weggeschmissen wird“, sagt sie und füllt auch die andere Tasche bis zum Rand.

noch essbare Lebensmittel aus Tonne geholt

Zu gut für die Tonne: Viele Lebensmittel, die in Freiburg im Müll landen, sind noch genießbar.

Juristisch betrachtet handelt es sich bei ihrer Rettungsaktion mindestens um Diebstahl. Supermärkte und Behörden scheinen bei den nächtlichen Aktionen allerdings ein Auge zuzudrücken: Im Freiburger Polizei-Computer existiert unter „Containern“ kein einziger Eintrag. „Das wurde im Stadtgebiet noch nie angezeigt“, so Polizeipressesprecher Michael Schorr, „man wäre geneigt zu sagen, dass es das hier gar nicht gibt.“

Kein Supermarkt möchte Lebensmittel unverkauft wegschmeißen. „Das ist ein großes Thema bei uns“, so Peter Spindler, Hauptgeschäftsführer vom Handelsverband Südbaden. Entsprechend gerne gebe sein Verband an die Tafeln. Dort geschieht Lebensmittelrettung im großen Stil. Für die Freiburger Tafel an der Knopfhäuslesiedlung sammeln jeden Monat drei Lastwagen rund 62 Tonnen Lebensmittel von Supermärkten und Imbissbuden. Würden die grünen Klappkisten übereinandergestapelt – der Turm wäre elfmal so hoch wie das Münster. Containern sei für den Handelsverband indes rechtlich schwierig: Für verdorbene Mägen könnten Märkte haftbar gemacht werden.

Benjamin Waldvogel kennt das Problem. Der 31-Jährige ist Organisator der „Fairteiler“ in Freiburg. Alle 13 Kästen im Stadtgebiet stehen auf Privatgelände. Standorte von der Stadtspitze bekommen die Foodsharer nicht. Auch das Rathaus habe Sorgen, für verdorbene Ware verantwortlich gemacht zu werden. Ein solcher Fall ist Waldvogel in sechs Jahren allerdings nicht bekannt.

Mehr als 716 Tonnen Lebensmittel habe er mit seinen Mitstreitern in sechs Jahren vor der Tonne bewahrt. „Am besten wäre es aber, wenn es uns gar nicht geben müsste“, sagt Waldvogel. Eine Auflösung sei derzeit allerdings kein Thema. Im Gegenteil: „Es werden mehr Kästen werden.“

Fotos: © pt, iStock/Daisy-Daisy