„Nicht alles auf einmal“: Umweltschutz im Alltag Natur & Umwelt | 01.03.2021 | Tanja Senn

Pflanze Hand

Verhalten und Verhältnisse bedingen sich gegenseitig. Davon ist der Freiburger Umweltexperte und Autor Rainer Grießhammer überzeugt. Im Interview mit REGIO-Redaktionsleiterin Tanja Senn verrät er, wie jeder Einzelne zu mehr Klimaschutz beitragen kann – und wo individuelles Handeln an seine Grenzen stößt.

Lust auf REGIO: Von selbst gemachtem Shampoo bis zur Resteküche: Es gibt tausende Tipps, wie man seinen Alltag nachhaltiger gestalten kann. Was können solche Kleinigkeiten bewirken?

Rainer Grießhammer: Wenn man aktiv wird, sollte man versuchen Sachen umzusetzen, die möglichst viel bringen. Ich habe mal die zehn wichtigsten Maßnahmen zusammengestellt, die jeweils ein paar hundert Kilogramm CO2 einsparen.

Lust auf REGIO: Zum Beispiel?

Rainer Grießhammer: Heizenergie sparen, indem man die Raumtemperatur um ein Grad senkt, Heiznischen dämmt oder automatische Heizventile einbaut. Strom spart man, indem man Lampen durch LEDs ersetzt, Zeitschaltuhren verwendet oder im Kühlschrank die Temperatur auf sieben Grad hochsetzt. Andere Maßnahmen sind die Umstellung der Ernährung, der Übergang zum Carsharing oder innerdeutsch mit der Bahn statt mit dem Flugzeug zu reisen.

Lust auf REGIO: Die Tipps hören sich alle so positiv an. Aber eigentlich geht es doch vor allem um Verzicht: kein Fleisch, kein Auto, keine Flugreisen.

Rainer Grießhammer: Ich versuche immer, die positiven Aspekte herauszustellen. Wenn man zum Beispiel seinen Ernährungsstil ändert, dann lebt man nicht nur gesünder, es kann auch billiger sein. Oder wenn man in der Stadt öfter das Rad nimmt, spart man Zeit und muss keinen Extrasport machen. Viele Maßnahmen bringen auch andere Vorteile neben dem Klimaschutz. Richtiger Verzicht, finde ich, spielt nur bei Fernflügen eine Rolle – nach Teneriffa kann man eben nur fliegen.

Lust auf REGIO: Muss man darauf unbedingt verzichten? Man kann ja auch einen Flug mit CO2-Kompensation buchen.

Rainer Grießhammer: Ja, aber die erste Überlegung sollte trotzdem sein: Will ich diesen Flug wirklich? Das Kompensieren ist nur eine Hilfsmaßnahme, die in großem Umfang gar nicht umgesetzt werden kann. Wenn alle, die fliegen wollen, kompensieren würden, hätte man Schwierigkeiten, die entsprechenden Projekte zu finden.

Lust auf REGIO: Also ganz ohne Verzicht im Alltag geht es nicht …

Rainer Grießhammer: Eigentlich schon. Viele denken, wenn ich mich umweltfreundlich verhalten will, muss ich die ganze Zeit irgendetwas machen. Tatsächlich bringen aber Einmal-Entscheidungen die größten Effekte. Wenn man umzieht, ist zum Beispiel die Frage: Große oder kleine Wohnung? Gedämmt oder nicht gedämmt? Wie weit ist der Arbeitsplatz entfernt? Oder wenn man – auch als Mieter – Maßnahmen durchführt, um die Heizenergie zu senken: Das macht man einmal und muss die nächsten zehn Jahre nicht mehr daran denken. Das sind Maßnahmen, bei denen man oft gar nicht daran denkt, was für starke Auswirkungen sie haben. Ansonsten ist wichtig, sich nicht alles auf einmal vorzunehmen, sondern zu schauen: Was fällt einem leicht?

Lust auf REGIO: Auf Plastiktüten zu verzichten, reicht aber nicht.

Rainer Grießhammer: Das ist zur Müllvermeidung gut, bringt aber nichts für den Klimaschutz. Ein Ferienflug nach Teneriffa hat den gleichen Klimaeffekt wie die Produktion und Verbrennung von 65.000 Plastiktüten (fünfundsechzigtausend). Viele fühlen sich schon als Umweltschützer, weil sie den Müll trennen, ab und zu in den Bioladen gehen und ein paar Glühlampen durch LEDs ersetzt haben. Aber gleichzeitig haben sie eine große Wohnung, ein großes Auto, fliegen regelmäßig in den Urlaub. Das ist einfach Selbstbetrug.

Lust auf REGIO: Demgegenüber stehen die Menschen, die sagen: Ich kann als Einzelner doch eh nichts ändern, da ist die Politik gefordert.

Rainer Grießhammer: Es stimmt beides: Verhalten und Verhältnisse bedingen sich gegenseitig. Ein Beispiel sind energieeffiziente Haushaltsgeräte. Von denen gibt es jetzt so viele, weil engagierte Menschen die gefordert und gekauft haben. Deswegen wurden sie von der Industrie entwickelt und später auch im Rahmen der Ökodesign-Richtlinie vorgeschrieben. Ohne die Nachfrage wäre das viel später gekommen. Ganz klar ist, rein durch Verhaltensmaßnahmen und ohne politische Änderungen wird Klimaschutz nie erfolgreich sein. Es braucht beides.

Lust auf REGIO: Ein Problem der Politik: Ökonomie und Ökologie werden oft noch als Gegensätze gesehen. Ist das noch zeitgemäß?

Rainer Grießhammer: Das war noch nie zeitgemäß, weil es meistens gar nicht gestimmt hat. Viele von den Maßnahmen gerade in Richtung Energieeinsparen waren für Verbraucher, Unternehmen und für die Volkswirtschaft positiv. Es gibt nur wenige Beispiele, wo sich Ökonomie und Ökologie wirklich entgegenstehen. Und wenn, dann ist es meistens so, dass die Unternehmen die Kosten der Umweltbelastung der Gesellschaft aufbürden.

Lust auf REGIO: Auch die Corona-Krise trägt dazu bei, dass viele Betriebe merken: Umweltschutz und Kosteneinsparungen können Hand in Hand gehen – zum Beispiel durch virtuelle Konferenzen.

Rainer Grießhammer: Das ist ein Paradebeispiel, wie man sowohl CO2 als auch Geld einsparen kann. Vorher ist man für alle möglichen Besprechungen irgendwo hingeflogen oder -gefahren. Das war für Unternehmen eine große Kostenbelastung. Denn wenn sich zehn Leute irgendwo treffen, dann gehen zusammengezählt mehrere Arbeitstage nur für die unproduktive Reise drauf – dadurch sind die entstandenen Lohnkosten oft höher als die Reisekosten. Jetzt haben die Unternehmen gemerkt: Da kann man vieles besser machen.

Lust auf REGIO: Denken Sie, die Effekte bleiben auch nach der Krise?

Rainer Grießhammer: Vor einigen Jahren ist ja mal dieser isländische Vulkan mit dem unaussprechlichen Namen ausgebrochen. Da konnte in Europa auch ein paar Wochen lang nicht geflogen werden. Damals gab es bei vielen Unternehmen auch schon Videokonferenzen, aber danach sind sie doch zu ihrer vorigen Routine zurückgekehrt. Es war einfach nicht lange genug, um die Infrastruktur aufzubauen. Das hat sich jetzt geändert: Die Unternehmen haben dafür gesorgt, dass ihre Mitarbeiter zu Hause Laptops haben oder auf die nötige Software zugreifen können. Zudem hat es eine deutliche Verbesserung der Videokonferenz-Systeme gegeben. Ich denke, vieles davon wird im Kern erhalten bleiben.

Rainer Grießhammer

Zur Person

Rainer Grießhammer war 30 Jahre lang Geschäftsführer des Öko-Instituts. Heute leitet er die Stiftung „Zukunftserbe“ sowie die „Amber Foundation“ und ist Honorarprofessor für Nachhaltige Produkte an der Uni Freiburg. Zudem hat der 67-Jährige mehrere Bücher zum Thema Umweltschutz veröffentlicht – das neueste 2019 unter dem Titel „#klimaretten“. Vergangenes Jahr hat er das Bundesverdienstkreuz für seine Leistungen für das Gemeinwesen erhalten.

Fotos: © iStock.com/sarayut, Arne Bicker