Kuh, Joystick und Tradition: Zu Besuch bei Landwirten, die sich mit Leidenschaft und Technik über Wasser halten Natur & Umwelt | 17.02.2024 | Till Neumann, Philip Thomas

Bäuerin mit Kuh Per Du: Landwirtin Julie Kosak vom Maierhof in Kappel ruft ihre Tiere beim Namen.

Bundesweit protestieren Landwirt·innen gegen die Ampel. Auch in Freiburg gehen Bauern mit ihren Traktoren auf die Straße – und blockieren den Verkehr. Was verbirgt sich hinter der Wut? Wie hart ist der Arbeitsalltag auf den Höfen der Region? Und wie gut oder schlecht kommen die Landwirt·innen über die Runden? Das chilli-Magazin hat die Gummistiefel angezogen und Landwirt·innen auf zwei Höfen je einen Tag begleitet. Sie sagen: Ohne Subventionen geht es nicht.

„Nala ist eine Diva“, tadelt Julie Kosak. Das knapp 550 Kilogramm schwere Vorderwälder Rind hat das Melkgeschirr abgetreten und widmet sich wieder wenig schuldbewusst seinem Napf. Rund 40 Milchkühe führt die Landwirtin jeden Morgen ab 7 Uhr durch den Melkstand des Maierhofs in Freiburg-Kappel – auch wenn es mal zwei Anläufe braucht. „Es sind charakterstarke Tiere“, kommentiert Kosak.

Manchmal läuft im Melkstand Musik. „Wir hören dann ein bisschen Metallica oder AC/DC“, sagt die 28-Jährige. Ihre Kühe erkennt sie auch am Euter, den von Leni hat sie heute noch nicht gesehen. Kosak ruft das Tier im 1979 erbauten Stall aus. Einige der 80 Rinder im Stall heben den Kopf. Gucken. Schließlich setzt sich eine Kuh in Bewegung und trottet auf Kosak zu. Offensichtlich kennt sie ihren Namen auch.

Trotz aller Liebe zum Tier: Kostendeckend ist das Milchgeschäft für den Maierhof nicht. Für knapp 45 Cent je Kilo holt ein Tankwagen der Schwarzwaldmilch AG die weiße Flüssigkeit alle zwei Tage ab. Die Produktion kostet Kosak allerdings knapp 48 Cent. „Gut wären 50 Cent“, sagt sie. 5000 bis 7000 Liter Milch gibt die vergleichsweise zierliche und im Schwarzwald heimische Zweitnutzungsrasse pro Jahr. Eine sogenannte Hochleistungskuh würde mehr Milch bringen, benötigt allerdings mehr Futter und ist anfälliger für Krankheiten.

Kaum ist die Sonne über dem Schauinsland aufgegangen, knattert Ehemann Sven Steiert im Traktor über den Hof. Fünf Schlepper sind hier in Gebrauch. Die von der Ampelregierung ursprünglich geplante Streichung der Kfz-Steuerbefreiung für solche Maschinen hätte dem Staat jährlich schätzungsweise 485 Millionen Euro gespart, den Maierhof aber hart getroffen. „Das war ein Schock“, sagt Steiert, der nach der Ankündigung, Subventionen zu streichen, mit Mehrkosten von rund 10.000 Euro pro Jahr rechnete. „Das entspricht ungefähr meinem Jahresverdienst“, sagt er.

Auch deswegen sind Steiert und Kosak bei den Bauerndemos im Dezember und Januar in Freiburg sowie im Dreisamtal mitgefahren. „Das Fass war schon lange voll. Dass beide Streichungen auf einmal kommen sollten, war ein Schock“, erklärt er den Unmut der Landwirte. „Wir würden gerne auf Subventionen verzichten, aber ohne geht es nicht, weil landwirtschaftlich produzierte Lebensmittel eine zu geringe Wertschöpfung haben“, betont Steiert.

Bis zu 30 Euro für ein Kalb

Beide planen daher, die Direktvermarktung auf dem Hof auszubauen, Events wie Hochzeiten zu veranstalten und einen Food-Trailer anzuschaffen. Längst nicht jeder Betrieb geht moderne Wege. „Nach 20 Jahren auf dem Hof hast du den Tunnelblick”, erklärt Steiert. Auch der Maierhof hatte lange keine Website und Online-Banking.

Das Fleischgeschäft sei ebenfalls kein sicherer Markt mehr. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 brachen die Bestellungen ein, weil zahlreiche Kunden sparten. Der Maierhof hatte plötzlich zu viele Tiere im Stall. „Wir mussten vier bis sechs Wochen alte Kälber an einen Viehhändler verkaufen und haben im Schnitt 10 bis 30 Euro pro Tier bekommen. Ein Goldhamster ist mehr wert“, konstatiert Steiert. Demgegenüber stehen Aufzuchtskosten von mehr als 170 Euro je Tier, Arbeitszeit nicht eingerechnet. Und neben globalen Krisen ist der Hof auch dem lokalen Wetter unterworfen. „Vergangenes Jahr mussten wir witterungsbedingt Futter im Wert von 12.000 Euro zukaufen“, erklärt der 30-Jährige.

Dass sie als Landwirte jeden Euro zweimal umdrehen müssen, wussten Steiert und Kosak, bevor sie Führungspositionen sowie ein Loft in Wien aufgaben und den Hof im Jahr 2020 übernahmen. Steierts Vater Andreas habe damals noch versucht, das junge Pärchen umzustimmen. „Er witzelte, wir sollen uns einen gescheiten Job suchen”, erzählt der Sohn. Ihre Arbeit auf dem Hof erledigt das Ehepaar trotzdem mit Überzeugung: „Wir machen das aus der Liebe zur Natur und zum Tier. Ich hätte es nicht übers Herz gebracht, den Hof in siebter Generation aussterben zu lassen. Unser großes Ziel ist, das hier zukunftsfähig zu machen.“

Vollgas auf den Feldern: Familie Wagner in Aktion

Seit Generationen betreibt auch die Familie Wagner ihren Hof im rund 20 Kilometer entfernten Freiburg-Opfingen. Heute sind sie auf einem Feld bei Merdingen. Der Wind pfeift. Der Himmel ist grau an diesem Dienstagmittag. Aber es ist trocken. Für die Wagners heißt das: Vollgas auf den Feldern. Die Zwillinge Dirk und Sven streuen Mineraldünger auf Winterweizen für andere Landwirte, ihre Kunden. Mit einem Hänger holen sie die Ladung – und bestellen dann ein Feld nach dem anderen. Dirk transportiert den Dünger, Sven fährt ihn mit dem Traktor auf die Äcker. Sobald seine Ladung verteilt ist, füllen die 39 Jahre alten Brüder gemeinsam nach.

„Wir fahren, bis der Hänger leer ist – etwa zehn Felder in drei Stunden“, sagt Sven Wagner. Er sitzt in einem 180 PS starken Fahrzeug. Jeans, brauner Pulli, schwarze Cap. Die Hand an einem Joystick, mit dem er den Traktor steuert. Wenn die Felder und Motorengeräusche nicht wären, könnte das hier auch eine Gamescom-Zockerrunde sein.

Das Cockpit seines Bruders sieht ähnlich aus. Auf einem Display sieht Sven die Parameter seiner Maschine. Wie viel Dünger sie hinter ihm aufs Feld verteilt, hat er programmiert. „650 Kilogramm pro Hektar“ steht da. Arbeitsbreite: 21 Meter. Geschwindigkeit: 9,8 km/h.

Kein Gaming: Bauer Dirk Wagner an seinem Arbeitsplatz

Die Technik macht vieles möglich. Sogar eine GPS-Steuerung des Lenkrads wäre machbar, aber darauf verzichtet er. Für einen geübten Fahrer ist das präzise Lenken kein Ding. Das Wichtigste ist Effizienz. Um lukrativ zu sein, müssen die Wagners möglichst viel Fläche in möglichst kurzer Zeit schaffen. „Wir setzen auf modernste Technik, tauschen sie alle fünf bis sechs Jahre aus“, erklärt Vater Erwin. Ein normaler Betrieb könne sich das nicht leisten. Daher bietet Wagner den Service anderen Landwirten an. Lohnunternehmen nennt sich das Konstrukt. Sie sparen Investitionen, er verdient am Service. Eigene Felder haben die Wagners daher kaum noch.

Schon seit 1986 setzt Erwin Wagner auf diese Karte. Im selben Jahr hat er das Milchvieh abgeschafft, weil ihm klar wurde: Das rechnet sich nicht mehr. Hunderttausende Euro investiert er seitdem in Fahrzeuge. In seinen Garagen auf dem Hof in Opfingen parken Maschinen im Wert von mehreren Millionen Euro. Unter anderem ein gewaltiger Traubenvollernter für 350.000 Euro oder ein Fahrzeug für den Winterdienst. Auch den bietet Wagner an – um seinen Betrieb auch im Winter lukrativ zu machen, wenn die Felder brach liegen.

Breit aufgestellt sein ist Trumpf. Die Familie Wagner betreibt nebenan das weitbekannte Maisfeld-Labyrinth inklusive Kinderspielgelände und Gastronomie. Seit er denken kann, ist Erwin Wagner auf dem Hof – und hat ihn am 1. Januar 2024 mit 67 Jahren an seine Zwillinge übergeben. Ausruhen ist dennoch weiterhin nicht sein Ding: Wagner ist Organisator vieler Bauernproteste und kommunalpolitisch aktiv. Sein Wahlspruch: „Nit schwätze, mache!“

Erzählen kann der Landwirt dennoch viel: „Die Liebe zum Hof habe ich geerbt.“ Als vierte Generation hat er ihn übernommen. Auch wenn er sagt: „Ich hätte gerne etwas anderes gelernt.“ Um wegzukommen von der Landwirtschaft, wollte er zum Militär. Aber das ging nicht: „Du bist gebunden als Landwirt“, betont Wagner. Und sagt halb im Scherz: „Irgendwas ist bei mir schief gelaufen.“ Man sei versklavt im Betrieb, wer nicht zu 150 Prozent dafür einstehe, sei weg. „Außerdem wird dauernd auf einem rumgehackt.“ Durchgezogen hat er trotzdem – und mit Engagement und Innovation seinen Betrieb über Wasser gehalten.

Die Tage sind lang: „60 bis 70 Stunden pro Woche sind normal“, berichtet Wagner. Das Heftigste, das er gemacht hat: „60 Stunden arbeiten am Stück – mit ein paar Sekunden Pause“, erinnert sich Wagner. Er musste Spargel mulchen, hatte keine Leute zum Helfen. „Danach bin ich schier vom Karren gefallen.“

Trotz solcher Schichten seien die vergangenen Jahren wirtschaftlich immer schwieriger geworden. Statistiken, die Gegenteiliges zeigen, erklärt Wagner so: „Das Einkommen wird größer,weil die Betriebe größer werden.“ Mehr bleibe am Ende trotzdem nicht übrig.

Eine der besten Finanzierungen seien heute Subventionen, berichtet Wagner. Doch um die zu beantragen, fehle seinem Hof die Manpower. Großbetriebe im Osten und Norden würden extra Leute einstellen, um Fördergelder zu beantragen. Hier sei so etwas nicht drin.

„60 bis 70 Stunden pro Woche sind normal“: Trotz aller Widrigkeiten brennen Erwin und Sven Wagner für die Landwirtschaft.

Zu schaffen machen ihm Bürokratie, Auflagen und steigende Preise. „Wir brauchen eine Preisgarantie“, fordert Wagner. Denn er gehe im Frühjahr jeweils in Vorleistung. „Wenn ich säe, weiß ich nicht, was bei rauskommt.“ Nicht immer mache er Gewinn. „Wenn der Preis später ein Drittel höher ist, könntest du dich selber ankotzen.“ Daher gelte für Landwirte oft: „Du bist zufrieden, wenn du abends müde bist.“

Die Bauernproteste sind für den Freiburger elementar: „Wir müssen gewinnen, ich glaube dran.“ Auch für seine Enkelin möchte er bessere Bedingungen für die Landwirtschaft. Und bei den Verbraucher·innen für mehr Bewusstsein sorgen, wo Lebensmittel eigentlich herkommen. Dabei muss er auch für seinen Betrieb Überzeugungsarbeit leisten: „Die Leute draußen denken: Der Wagner hat Millionen dastehen, dem geht es gut.“ Die Stadt nenne seine Fahrzeuge Panzer. Die Rechnung sei aber ein Irrtum.

Dennoch bleibt am Ende des Tages bei Erwin Wagner die Überzeugung: „Landwirt ist so ein interessanter Beruf – und es gibt so viel zu tun.“ Seinen Zwillingen hat er freigestellt, ob sie den Hof übernehmen oder etwas anderes machen. Für Sven Wagner gibt es da keine zwei Meinungen: „Es macht halt Spaß.“ Jeder Tag sei anders, sogar im Büro gefällt es ihm.

Gelernt haben beide bei ihrem Vater. Nur für ein halbes Jahr waren sie bei einem anderen Betrieb. Jetzt führen sie das Familienunternehmen mit Herzblut weiter. „Der Plan wäre, dass unsere Kinder irgendwann übernehmen“, sagt Dirk. Doch dafür sei es jetzt noch zu früh. In 20 Jahren könne man das entscheiden. Wichtiger ist, heute schnell voranzukommen. Noch eine Stunde brettern sie im Akkord über die Felder. Dann geht’s zurück nach Opfingen.

Fotos: © Julie Kosak, Till Neumann

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