„Ganz viel Idealismus und Leidenschaft“: Interview mit Umwelt- und Nachhaltigkeitsforscher Heiner Schanz Natur & Umwelt | 17.02.2024 | Pascal Lienhard

Seit Anfang Januar erhitzen die Bauernproteste die Gemüter. Heiner Schanz ist Experte für Alltag und Arbeit in der deutschen Landwirtschaft. Im Interview mit chilli-Volontär Pascal Lienhard erklärt der Leiter der Professur für Environmental Governance an der Uni Freiburg, warum ihn die Proteste nicht überraschen. Zudem berichtet der 58-Jährige, wo der Gummistiefel besonders drückt.

chilli: Seit mehr als zwei Monaten gehen deutsche Bauern auf die Straße. Auslöser war der Beschluss der Bundesregierung, die Subventionen auf Agrardiesel sowie die Befreiung der Kfz-Steuer für Landwirtschaftsfahrzeuge abzuschaffen. Hat Sie die Intensität des Protestes überrascht?

Schanz: Nein. Da hatte sich viel aufgestaut. Erinnern Sie sich etwa an 2019, damals stellten Landwirte grüne Kreuze auf, um fehlende gesellschaftliche Wertschätzung und zunehmende Regulierungen zu kritisieren. Über die vergangenen Jahre gab es viele solcher symbolischer Initiativen. Die Entscheidung gegen einige Subventionen war der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Interessant ist die Breite des Protestes. Die Bauern sind keine homogene Masse. Es gibt eine große Vielfalt, nicht alle sind sich grün. Dass so viele im Protest geeint auf die Straße gehen, ist ein Novum.

chilli: Die Abschaffung oben genannter Subventionen würde drei bis vier Prozent vom Gewinn der Landwirte ausmachen. Jammern die Bauern auf hohem Niveau?

Schanz: Das ist ein durchschnittlicher statistischer Wert, die Betriebe sind in der Realität unterschiedlich hart betroffen. Einige Landwirte stellt das vor Existenzängste. Wenn ein Unternehmen die Renditen um drei bis vier Prozent runterschraubt, werden sich die Aktionäre auch beschweren. Aber es geht nicht nur ums Finanzielle, sondern vor allem um die fehlende gesellschaftliche Wertschätzung der Landwirtschaft. Immer noch hören Bauern abwertende Begriffe wie „bauernschlau“ oder Sprüche der Marke „Der dümmste Bauer hat die dicksten Kartoffeln“. Vielen ist nicht bewusst, wie anspruchsvoll und komplex der Beruf ist.

chilli: Was sind die Ziele der Proteste? Die Kfz-Steuer ist vom Tisch, die Abschaffung der Subventionierung auf Agrardiesel wird schrittweise eingeführt.

Schanz: Ich glaube, dass es vor allem um faire Behandlung, Verständnis und Wertschätzung geht. Viele Landwirte sehen die Notwendigkeit, einzusparen. Aber sie fragen sich, weshalb gerade bei ihnen als Erstes gespart wird, während etwa das Dienstwagenprivileg bleibt.

chilli: Welche Probleme plagen die Bauern besonders?

Schanz: Durch ständige Gesetzesänderungen fehlt es an Planungssicherheit für notwendige Investitionen in die Zukunft. Die komplexe Bürokratie ist oftmals eine Hürde. Zudem sind die verschiedenen Subventionen jeweils mit verschiedenen komplexen Auflagen verbunden. Auch die Trockenheit in Folge des Klimawandels macht den Bauern zu schaffen. 2019 haben uns mehr als 50 Prozent der befragten Landwirte berichtet, dass sie ihre Betriebe in den kommenden zehn Jahren in Gefahr sehen. Daran hat sich auch heute nicht viel geändert.

chilli: Würden Sie jemandem dazu raten, in die Landwirtschaft zu gehen?

Schanz: Ich sage mal so: Wenn es darum geht, einen Hof zu übernehmen und alles stimmt, dann gerne. Das ist schließlich ein toller Beruf. Natürlich darf man nicht blind reingehen. Es braucht unternehmerisches Denken und Risikobereitschaft. Viele Landwirte haben einen hohen Ausbildungsgrad und vielfältige Erfahrungen, oft auch im Ausland, gesammelt. Viele versuchen freiwillig, keine oder nur so wenig wie möglich Pestizide zu verwenden und legen großen Wert auf Bodengesundheit und Biodiversität. Ich sehe da ganz viel Leidenschaft und Idealismus, gerade bei den Jungbauern. Ohne das geht es nicht. Wenn ich noch einmal jung wäre, könnte ich mir gut vorstellen, selbst Landwirt zu werden.

Foto: © Patrick Seeger

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