„Wir brauchen einen solidarischen Shutdown“: Freiburger Netzwerk unterstützt Initiative „Zero Covid“ Gesundheit | 13.03.2021 | Jakob Schautt

Zero Covid

Die Initiative „Zero Covid“ hat in der Debatte um den richtigen Weg aus der Corona-Pandemie für Aufsehen gesorgt. Sie fordert einen europaweiten Shutdown und eine solidarische Bewältigung der Krisenlasten, um die Pandemie nachhaltig in den Griff zu bekommen. Das „Netzwerk solidarisches Gesundheitswesen“ aus Freiburg unterstützt die Initiative und ihre Forderungen. Im Interview mit chilli-Autor Jakob Schautt erkllärt die 31-jährige Aktivistin und Sozialwissenschaftlerin Hannah Rabinger die Gründe.

chilli: „Zero Covid“ hat bundesweit Schlagzahlen gemacht. Warum unterstützen Sie die Initiative?

Rabinger: Der für uns wichtigste Aspekt bei dieser Entscheidung war der der Solidarität, welche mit der Debatte um ZeroCovid endlich wieder thematisiert wird. Für die konsequente Eindämmung der Covid-19-Pandemie am Anfang der ersten Welle gab es ja wahnsinnig viele Aufrufe zu Solidarität miteinander: mit den Beschäftigten im Gesundheitssystem, mit Risikogruppen und so weiter – sogar von konservativer und liberaler Seite. Davon ist inzwischen kaum noch etwas zu hören. Vielmehr fordern alle möglichen Lobbygruppen für sich wahlweise weitreichende Lockerungen für sich selber, Priorisierung bei Impfungen und so weiter. Durch einen solidarischen Shutdown werden gerade die vulnerabelsten Menschen in den Fokus gerückt, die aktuell eben nicht gehört werden: Geflüchtete, Alleinerziehende, Obdachlose und so weiter.

chilli: Was unterscheidet den von Ihnen geforderten Shutdown von den aktuellen Corona-Maßnahmen?

Rabinger: In der zweiten Welle der Corona-Pandemie wurden in Deutschland hauptsächlich das Privatleben und die Freizeitgestaltung der Menschen, sowie das Kleingewerbe eingeschränkt. Große Teile der Wirtschaft laufen weiter wie zuvor. Immer wieder gibt es Berichte von Corona-Ausbrüchen in größeren Unternehmen. Wir finden es nicht länger vermittelbar, das Privatleben so drastisch einzuschränken, um die Wirtschaft offen zu halten. Wenn wir das Sterben und die Infektionsdynamik wirklich unterbrechen wollen, brauchen wir drastische Maßnahmen. Die müssen dann aber für alle Bereiche gelten, die nicht dringend notwendig sind.

chilli: Was ist mit der Forderung nach einem solidarischen Shutdown gemeint?

Rabinger: Wir können die Pandemie nur bewältigen, wenn wir niemanden zurücklassen. Die meisten können es sich nicht leisten, längere Zeit ohne Einkommen zu sein, da muss es dann Unterstützung geben. Außerdem erlauben die Lebensverhältnisse vieler Menschen ein konsequentes Einhalten von Hygiene-Maßnahmen gar nicht. Denken wir nur mal an Obdachlose oder Menschen in engen Unterkünften für Geflüchtete. Außerdem sind manche Menschen durch Sorgearbeit wie die Betreuung von Kindern besonders belastet. Auch hier muss es unterstützende Maßnahmen geben. Eine solidarische Antwort auf die Corona-Pandemie muss alle Lebensbereiche einbeziehen.

chilli: Sind diese Forderungen mit Blick auf die Inzidenzwerte überhaupt noch aktuell?

Rabinger: Gerade im Hinblick auf die Mutationen des Virus gibt es eine akute Gefahr für eine dritte Welle. Schon im vergangenen Jahr haben verfrühte Forderungen nach Lockerungen, vor allem durch die Wirtschaft, die Erfolge der Maßnahmen zerstört. Das hat zu tausenden Neuerkrankungen und Toten und letztlich auch zu der Situation geführt in der wir alle jetzt sind. Deshalb sind wir dafür, die Infektionszahlen jetzt durch eine europaweite, koordinierte Anstrengung auf null oder zumindest auf eine verfolgbare Inzidenz zu drücken und dadurch eine dritte Welle zu verhindern. Den Schlingerkurs der das ganze letzte Jahr vorgeherrscht hat können wir uns nicht mehr leisten!

chilli: Welche Konsequenzen müssten aus Ihrer Sicht langfristig aus der Corona-Pandemie gezogen werden?

Rabinger: Zuerst einmal sollten diejenigen die Kosten der Pandemie bezahlen, die auch während der Pandemie noch reicher geworden sind, als sie ohnehin schon waren. Es gibt nach wie vor genug Reichtum, er muss nur gerecht verteilt werden. Offensichtlich ist für uns auch, dass das gesamte Gesundheitswesen dem Zugriff des Marktes entzogen werden muss. Das muss aus unserer Sicht sowohl die Produktion von Medizinprodukten, Medikamenten und Impfstoffen, als auch den Betrieb von Krankenhäusern einschließen. Gerade das Gezerre um die Impfstofflieferungen hat wieder einmal gezeigt: Gesundheitsversorgung ist eine Aufgabe der Öffentlichen Daseinsvorsorge. Sie darf nicht Profitinteressen unterworfen werden.

chilli: Wer steht hinter ihrer Gruppierung in Freiburg und was sind Ihre Ziele?

Rabinger: Wir sind ein offenes Bündnis aus verschiedenen Initiativen. Bei uns arbeiten Menschen mit, die selbst im Gesundheitsbereich zum Beispiel als Pflegekräfte und Ärztinnen und Ärzte arbeiten, aber auch Menschen, die sich als potentielle Patientinnen und Patienten für eine gute Gesundheitsversorgung in öffentlicher Hand einsetzen. Unser Ziel ist ein solidarisches Gesundheitswesen. Das heißt für uns kurz gesagt: ein Gesundheitssystem, das nicht dem Profit unterworfen ist, in dem alle Menschen gleich viel Wert sind, das gute Arbeitsbedingungen bietet und das unter demokratischer Kontrolle steht.

Zero Covid

„Zero Covid – Für einen solidarischen europäischen Shutdown“ ist eine Kampagne mit dem Ziel, die Corona-Pandemie in Europa durch das Absenken der Inzidenzwerte auf null nachhaltig zu beenden. Sie orientiert sich an einem internationalen Aufruf vieler Wissenschaftler*innen für eine konsequente Eindämmung der Covid-19-Pandemie, der im Dezember 2020 initiiert wurde. Unterstützt wird die Kampagne Zero Covid unter anderem von Wissenschaftlern*innen, Ärzt*innen und Pflegekräften, Gewerkschaften, NGOs, Kulturschaffenden und Journalist*innen. Kritiker*innen halten die Ziele der Kampagne für unrealistisch. Mehr Infos über das „Netzwerk solidarisches Gesundheitswesen“ gibt es auf www.sol-ges.de

Foto: © pixabay

Anmerkung der Redaktion: Die Interviewpartnerin möchte nicht mit einem Foto im chilli Magazin erscheinen.