Plastikfrei ist keine nachhaltige Strategie: Stefan Pauliuk über die Königsdisziplin Verzicht Natur & Umwelt | 07.04.2021 | Arwen Stock

Supermarktregal mit ganz viel Plastik

Welche Emissionen, Umweltauswirkungen und Langzeitfolgen haben neue Produkte, Techniken und Materialien? Das untersucht der Juniorprofessor Stefan Pauliuk mit seiner Arbeitsgruppe „Industrial Ecology“ an der Universität Freiburg. Er publiziert in Fachmedien und in einem Blog – und gibt dabei Einblicke in die hochkomplexe Berechnung von Ökobilanzen.

13. Januar 2021: „Warum ist es so wichtig, Plastikverpackung zu vermeiden“, lautet der Titel dieses Blog-Eintrags von Pauliuk. „Das frage ich mich allerdings auch“, antwortet er sich selbst. Nachhaltigkeit könne man nicht auf eine einfache Formel wie beispielsweise „Plastikfrei leben“ herunterbrechen.

Dass die Zusammenhänge hinter dem Schlagwort „Nachhaltigkeit“ hochkomplex sind, veranschaulichen Pauliuks Beiträge zu den unterschiedlichsten Themen auf dem Online-Kanal „State of Affairs – A blog on sustainability and the science behind it“. Ob über das Recyclingpotenzial von Metall, den besseren Nutzen von Materialien, regionale, nachhaltige Ernährung, den Klima-Fußabdruck der Deutschen oder die Ökobilanz von Autos mit Batterie- oder Brennstoffzellen: Pauliuk postet einmal im Monat, in manchen Artikeln gibt er auch Einblicke in die Studien der Mitarbeiter und Doktoranden der relativ jungen Fachrichtung.

Stefan Pauliuk

Forscher Stefan Pauliuk: „Das frage ich mich selbst auch.“

Seit 2015 leitet er die Arbeitsgruppe für Energie- und Stoffstrommanagement an der Uni Freiburg und lehrt an der Fakultät für Umwelt und Natürliche Ressourcen. „Ich habe mich nach meinem Physikstudium den Umweltwissenschaften zugewendet, weil ich hier meine persönlichen Interessen und meine fachlichen Kompetenzen in dieses für die Gesellschaft so wichtige Forschungsthema einbringen kann.“ 1982 in Herzberg in der damaligen DDR geboren, studierte er Physik an den Universitäten Chemnitz und Jena. Danach promovierte er im Fach „Industrial Ecology“ an der Uni Trondheim in Norwegen, wo er bis zum Wechsel nach Freiburg als Post-Doc arbeitete.

Kunststoffe im Vorteil

Dem „plastikfreien Leben“ attestiert er – abhängig vom verpackten Produkt und abgesehen vom Verzicht auf mehrfach Verpacktes – keine wirklich gangbare und auch effektive Nachhaltigkeitsstrategie. Dafür hätten Kunststoffe im modernen Leben zu viele Vorteile und es gebe für einen umweltfreundlichen Lebensstil deutlich wichtigere Hebel als Kunststoffverpackungen.

Welche Hebel sind das? Laut Pauliuk helfen vor allem „die großen Vier“: autofrei leben, keine übergroßen und überheizten Wohnungen, weniger Fleisch und weniger fliegen. Die Königsdisziplin sei aber das Vermeiden oder der Verzicht auf Konsumhandlungen. Wie im Kleinen, so im Großen kann Pauliuk auch im Transport-, Gebäude- und Industriesektor mit seinen Modellen das Sparpotenzial von Emissionen, die Langzeitfolgen von Materialeffizienzstrategien und neuen Produkten abschätzen. Und bilanziert die weitaus größeren Hebelwirkungen für Umwelt- und Klimaschutz.

„Ist weniger mehr?“ – in diesem Blog-Eintrag nimmt Pauliuk die Primärproduktion von Materialien wie Stahl, Kunststoffen oder Zement unter die Lupe: Deren Herstellung verursacht 23 Prozent aller Treibhausgasemissionen. „Eine relativ einfache Lösung ist, die Materialien effizienter zu nutzen“, so Pauliuk. „So könnte man, dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft folgend, weniger Materialien aus natürlichen Rohstoffen herstellen und stattdessen mehr recyceln – Materialeffizienz also.“ Es dreht sich somit darum, alles nicht nur zu Ende zu denken, sondern auch die Ursprünge unter die Lupe zu nehmen. 

Fotos: © Freiburg Cup, Naomi Radke