Der prall gefüllte Instrumentenkoffer städtischer Einflussnahme auf Bauprojekte STADTGEPLAUDER | 21.04.2021 | Kristina Uhl, Lars Bargmann

Gesetzt Zeichen

Zweckentfremdungsverbotsgesetz – ein Kettenwort, wie es deutscher nicht sein könnte: Ewig lang, viele aneinandergereihte Genitive und vor zäher Bürokratie tropfend. Hinzu kommen die soziale Erhaltungssatzung, auch Milieuschutz genannt, die städtebauliche Erhaltungssatzung und das Ziehen von Vorkaufsrechten.

All diese Instrumente sollen dazu beitragen, dass bestehender Wohnraum in Freiburg erhalten bleibt oder Entwicklungen gesteuert werden. Die ersten Klagen gegen das Rathaus sind dabei schon eingereicht.

So ist es auch im Fall von Uwe Kleiner, Chef der BauUnion-Gruppe in Freiburg. Er klagt derzeit am Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH), weil die Stadtverwaltung per sozialer Erhaltungssatzung den Um- und Ausbau eines Mehrfamilienhauses an der Eschholzstraße blockiert. Es liegt in einem Gebiet, in dem der Milieuschutz greift. Eigentlich will er mit seiner Normenkontrollklage sogar die Satzung für den kompletten Stühlinger kippen. Sein Argument: „Die Stadt macht das, was sie privaten Wohnungsbauern verbietet.“

Gemeint ist damit, dass die Stadt, nach Auffassung des 59-Jährigen, die Grenze der von der Satzung betroffenen Grundstücke so gezogen habe, dass private Bauträger in die Röhre guckten, während die städtische Tochter Freiburger Stadtbau (FSB) im direkt angrenzenden Metzgergrün 250 Bestandswohnungen abreißen kann, um 550 neue zu bauen. Diese würden dann zu anderen Preisen vermietet, als es momentan der Fall sei. „Völlige Willkür“, sagt Kleiner.

„Dieser Vorwurf ist falsch“, kontert Robert Staible, Leiter des städtischen Amts für Projektentwicklung und Stadterneuerung (APS). Unter die Satzung fielen auch Gebäude der FSB. Außerdem sei der Gedanke, das Metzgergrün zu überplanen, älter als die Erhaltungssatzung. Darüber hinaus habe die FSB klare Vorgaben im Baugebiet. Die Mieter·innen und Eigentümer·innen seien sehr eng eingebunden in den Prozess. „Wir haben ein sehr waches Auge und achten darauf, dass es nicht zur Verdrängung kommt und die sonstigen Ziele einer sozialen Erhaltungssatzung gewahrt werden“, so der 52-Jährige.

Auf Anfrage gab die FSB an, dass in dem entsprechenden Gebiet 50 Prozent öffentlich geförderte Wohnungen entstehen sollen, die deutlich unter dem derzeitigen Mietspiegel angeboten werden. Die durchschnittliche Miete solle auf ähnlichem Niveau liegen wie die in den Bestandswohnungen. Weitere 25 Prozent der Wohnungen sollen zur Mietspiegelmiete vermietet werden. Darüber hinaus sei man dem Wunsch der Bewohnerschaft nach kleinen Wohnungen nachgekommen, ähnlich der Größe im jetzigen Bestand.

Kleiner hat Verständnis dafür, dass die Stadt bestimmte Gruppen nicht verdrängen will. Allerdings habe das Rathaus in der Vergangenheit auch einige Fehler gemacht. Er sieht gute Chancen, gewinnen zu können. Der Antrag ist bereits begründet worden, bestätigt der VGH. Bis Ende April muss das Rathaus schriftlich erwidern. Bis ein Urteil gesprochen wird, kann schnell ein Jahr vergehen.

Dass die Instrumente der Stadtverwaltung zu Konflikten führen können, war klar, so Staible: „Wir versuchen für jeden Fall, Lösungen zu finden, am Ende ist es aber immer ein Kompromiss.“ So seien „sehr aufwendige energetische Sanierungen in Gebieten mit sozialer Erhaltungssatzung ab einem gewissen Niveau mit hohen Mietaufschlägen nicht möglich“. Es gehe vor allem darum, Verdrängung zu vermeiden, sagt Sabine Recker, Leiterin des Referats für bezahlbares Wohnen im Rathaus. Und: „Neubau ist in der Regel teuer, deshalb ist es wichtig, dass günstiger Wohnraum erhalten bleibt.“

Im Instrumentenkoffer der Stadtverwaltung finden sich viele verschiedene Werkzeuge, um bestehende Wohnungen zu erhalten. Die soziale Erhaltungssatzung soll verhindern, dass Bewohner·innen eines bestimmten Milieus verdrängt werden. Besonders dann, wenn Bestandsgebäude saniert oder modernisiert werden und die Kosten durch Mieterhöhungen auf die Mieter·innen umgelegt oder die Mietwohnungen danach in Eigentumswohnungen umgewandelt werden. Bei der städtebaulichen Erhaltungssatzung sollen charakteristische Häuser vor Abriss, Umbau oder Nutzungsänderung geschützt werden.

Hinzu kommen das Vorkaufsrecht der Stadt und das Zweckentfremdungsverbot. Das soll die Umwandlung von Wohnraum in Ferienwohnungen, Praxen oder Büros ausbremsen. Seit Mitte Februar sind die Strafen bei Verstößen auf 100.000 Euro verdoppelt worden. Zusätzlich dazu sind im Internet auffindbare Anbieter von Ferienwohnungen nun verpflichtet, Auskunft über das bestehende Angebot zu geben.

„Das wirkt sich städtebaulich negativ aus“

Alle fünf Jahre lässt die Stadtverwaltung das Stadtgebiet analysieren und überprüfen, ob bestehende Satzungen verlängert werden, auslaufen oder neue Gebiete mit Satzungen belegt werden sollen. In St. Georgen etwa wird derzeit eine bestehende Satzung überprüft. Letztlich entscheidet der Gemeinderat. Zwischen 20 und 30 Indikatoren würden für diese Analysen herangezogen. Dazu zählen auch die Einkommen der Bewohner·innen, der Ausstattungsstand und der bauliche Zustand der Gebäude. Als Beispiel nennt Rebecca Tömke vom APS „ein Gebiet, das überwiegend von Familien bewohnt wird. Werden diese durch steigende Mieten verdrängt, werden vielleicht nicht nur geschaffene Kindergartenplätze in diesem Gebiet nicht mehr benötigt. Das wirkt sich städtebaulich negativ aus, da die Infrastruktur dann an anderer Stelle fehlt.“ Derzeit stehen fünf Gebiete in Freiburg unter Erhaltungsschutz, drei davon unter Milieuschutz: Neben dem Stühlinger sind das eine Fläche an der Haslacher Uferstraße und eine am Imberyweg in St. Georgen. Zwei weitere (Waldsee und die südöstliche Altstadt) sind durch städtebauliche Erhaltungssatzungen geschützt. Im Kernbereich Haslach östlich der Güterbahnlinie, in der westlichen Unterwiehre und an der Quäkerstraße sind soziale Erhaltungssatzungen aktuell in der Prüfung.

Ein Blick über den Tellerrand offenbart, dass das Heidelberger Rathaus Ende 2016 auch ein Zweckentfremdungsverbot eingeführt hat, zudem werde derzeit eine Milieuschutzsatzung geprüft. Klagen habe es bisher nicht gegeben. In Konstanz gilt das Zweckentfremdungsverbot seit März 2015. Seitdem konnten nach Rathaus-Angaben rund 100 Räumlichkeiten wieder zu Wohnungen umgewandelt werden. Auch hier habe es bisher keine Klagen gegeben. In Freiburg bereitet indes jetzt auch die Stuckert Wohnbau AG eine Klage gegen das Rathaus vor, was das Unternehmen auf Anfrage bestätigt. Im geplanten Neubaugebiet Hinter den Gärten im Stadtteil Tiengen hatte Stuckert drei Grundstücke von Privaten erworben. Die Stadt zog das Vorkaufsrecht. Und muss dafür 1,94 Millionen Euro berappen. Sogar der Tiengener Ortschaftsrat sprach sich mehrheitlich dagegen aus.

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