Eisbaden, Atemtraining & Co. in Bad Dürrheim Gesund & Fit | 01.03.2022 | Tanja Senn

Vor dem Eisbaden wärmen sich die Kurs- teilnehmer am warmen Feuer auf.

Viele Kurorte haben mit einem angestaubten Image zu kämpfen. Den Weg daraus sollen moderne Marketingkonzepte ebnen. Ein ganz besonderes hat sich Bad Dürrheim überlegt – der Ort will mit Angeboten zum Eisbaden, Atemübungen & Co. zu „Biohackers Heimat im Schwarzwald“ werden. Bio… was?!

Alles beginnt wohlig-warm mit Entspannungsübungen unter der Holzkuppel, die Füße hin zum warmen Feuer in der Mitte gestreckt. Dann geht es nach draußen zum riesigen Holzzuber, randvoll mit eiskaltem Wasser, auf dem die Eiswürfel schwimmen. Es folgt eine Kung-Fu-Übung, die den Adrenalinspiegel anhebt, eine weitere mentale Einstimmung von den Coaches, und dann geht es ins eisige Wasser: Kälteschock, das erste langsame Einatmen, die Durchblutung steigt, Glückshormone und Adrenalin schwemmen den Körper.

Nach höchstens zwei Minuten ist alles vorbei, der Nächste darf ins Eisbad. Die positiven Effekte sollen viel länger anhalten, als das kurze Erlebnis vermuten lässt: Der Kälteschock stärkt das Immunsystem, trainiert das Herz-Kreislauf-System und steigert die mentale Stärke. Kurz: Eisbaden soll stärker und gesünder machen.

In ihren Workshops vermittelt Trainerin Wiebke Dirks zudem, wie das Erlebnis hilft, besser mit Stress umzugehen. „Der Körper sagt: Ich bin in Lebensgefahr“, beschreibt sie den Grundgedanken, „trotzdem atmen wir ruhig weiter und merken dadurch, dass unser System selbst in den extremsten Stresssituationen entspannen kann.“

Steigen regelmäßig ins eiskalte Wasser: Trainerin Wiebke Dirks (hinten) und Marketing-
Managerin Beate Proske (in der Wanne l.).

Besseres Stressmanagement, guter Schlaf, mehr mentale und physische Leistungsfähigkeit – bei all dem soll das sogenannte „Biohacking“ helfen. Bio… was?! Diese Frage muss sich auch Beate Proske immer wieder gefallen lassen. Die Referentin für nachhaltige Destinationsentwicklung bei der Kur- und Bäder GmbH Bad Dürrheim verfolgt ein ehrgeiziges Ziel: Die 13.000-Seelen-Gemeinde mitten im tiefsten Schwarzwald soll zum Biohacking-Hot-Spot avancieren.

Statt des leicht angestaubten Images, das manche Kurorte heute innehaben, will Bad Dürrheim auf moderne Art und Weise seine Stärken zeigen. Zu ihnen gehören die mehr als 50 Stellen im Ort, an denen man Kneipp-Anwendungen machen kann. Kneippen und Eisbaden geht hier Hand in Hand, doch die Biohacking-Destination hat noch mehr zu bieten. Bricht man die Gesundheitsbewegung, deren Name sich aus „Bio“ für Biologie und „Hacking“ für kreatives Tüfteln zusammensetzt, auf ihre Bestandteile herunter, wird sie nahbar: Atemtraining und Meditationen, Entspannung und Sport im Wald, Soleanwendungen und Kälteexpositionen.

Biologie trifft Technik

Das hat nur begrenzt etwas mit den Bildern zu tun, die Filme und Bücher oft von Biohackern zeichnen. Da schnippeln Hobby-Wissenschaftler in der Garage an ihrem Erbgut herum, pushen sich mit Hormonen, Nahrungsergänzungsmitteln oder LSD in Mikrodosen oder versuchen, ihren Alterungsprozess durch Bluttransfusionen von jüngeren Menschen zu verlangsamen. Mit all dem hat Biohacking à la Bad Dürrheim nichts gemein. Selbst eine der vermeintlichen Grundvoraussetzungen für den Trend – die Verbindung zur Technologie anhand von Köperdatentrackern – sieht die Biohackerin Dirks nur als Option.

„Wir haben uns selbst gefragt: Ist es noch Biohacking, wenn ich nicht ständig an mir herummesse?“, erzählt sie im Gespräch mit Proske. „Aber es gibt einfach Dinge, die man nicht messen, zählen und wiegen kann. Wenn wir damit aufhören, dann kommen wir ins Fühlen und stabilisieren unsere eigene Innenwahrnehmung.“

Doch was ist es dann, was das Biohacking ausmacht? „Individualität und Eigenverantwortung“, sagt die 52-Jährige mit dem fröhlichen Gemüt. „Wir bieten Informationen an, wie man die eigene Gesundheit auf das nächste Level bringen kann.“ Menschen werden zu mündigen Patienten, die nicht mehr dem Hausarzt die alleinige Verantwortung für ihre Gesundheit überlassen, sondern selbst aktiv daran arbeiten. „Unsere Medizin ist für gesunde 25-jährige Männer ausgelegt – denn das sind die meisten Studienprobanden“, so Dirks. „Um herauszufinden, was für mich persönlich das Beste ist, braucht es daher nicht nur den medizinischen Blick von außen, sondern auch einen eigenen inneren Kompass.“

Biohacker machen es sich zum Ziel, die beste Version ihrer selbst zu werden. Welche Methoden es dafür braucht, muss jeder Einzelne für sich entscheiden. Vieles im Handwerkskasten der Biohacker beruht auf neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen, aber auch das „Erfahrungswissen“ zum Beispiel aus dem Yoga hat seinen Platz. Wichtig sei die Erkenntnis, dass der Mensch nicht nur von seinem Kopf, sondern vom ganzen Körper gesteuert wird.

Auch für Dirks war diese Herangehensweise vor rund 20 Jahren noch neu. Als Hochschuldozentin war sie es gewohnt, dass die Vermittlung von Wissen rein über den Verstand funktionierte. Doch irgendwann fing sie an zu experimentieren, brachte Minzdrops und Zimtsterne mit in die Vorlesung – und staunte, als sich die Leistung der Studierenden plötzlich verbesserte. „Auch das ist bereits Biohacking“, erklärt sie, „wenn man nicht in alten Methoden verharrt, sondern aktuelle Erkenntnisse der Lernpsychologie einbezieht.“

Ihr Wissen vermittelt die Trainerin, die auch Politiker, Extremsportler und Olympioniken coacht, nicht nur in Bad Dürrheim, sondern ebenso über diverse Online-Kanäle. Höhepunkt der von ihr mitkreierten Marke „Biohacking Bad Dürrheim“ soll im Oktober ein großer Kongress werden, zu dem sich das Who-is-Who der Szene angekündigt hat.

Doch die neue Ausrichtung soll nicht nur Gäste anlocken, sondern einen Mehrwert für den ganzen Ort bieten. Um den Einheimischen das Konzept zu vermitteln, hilft auch der große Eiszuber im Kurpark. Spaziergänger bleiben neugierig stehen und lassen sich seinen Sinn und Zweck erklären. Die häufigste Rückmeldung: Toll! Das möchte ich auch machen!

Fotos: © Kur- und Bäder GmbH Bad Dürrheim