Macht der Gewohnheit: Rechtsmedizinerin zur Wirkung von Alkohol STADTGEPLAUDER | 27.08.2022 | Till Neumann

Schwarz-Weiß Bild von einem mit einem Fahrrad in der Stadt Erlaubt: Mit bis zu 1,59 Promille Rad fahren in Deutschland.

Bis zu 1,6 Promille auf dem Fahrrad sind in Deutschland erlaubt. Die chilli-Redaktion hat dazu eine alkoholisierte Testfahrt gemacht (siehe Info) und findet: Das Limit ist eindeutig grenzwertig. Was sagt eine Rechtsmedizinerin zur überraschenden Promillegrenze? Annette Thierauf-Emberger von der Uniklinik Freiburg findet den Wert hoch. Vom Training der Leber rät sie mit Nachdruck ab.

Wie gut fährt es sich mit einer Promille auf dem Rad? Das hat die chilli-Redaktion kürzlich getestet. Auch die Freiburger Rechtsmedizinerin Annette Thierauf-Emberger bezieht Stellung: „1,6 Promille, das ist schon ein hoher Promillewert, den erreicht man nicht mit zwei, drei Bier.“ Erstaunlich beim chilli-Test: Von den drei Journalisten landete nach mehreren Drinks einer bei 0,4 Promille, einer bei 0,8 Promille und einer bei 1,1 Promille.

Thierauf-Emberger ist Professorin für Rechtsmedizin an der Medizinischen Fakultät und Ärztliche Direktorin des Instituts für Rechtsmedizin am Uniklinikum Freiburg. Sie weist auf die vielen Faktoren hin, die den Promillewert beeinflussen. Entscheidend sei nicht nur, wie viel man vor dem Trinken esse, sondern auch was: „Fett, Kohlenhydrate und Eiweiß verzögern die Alkoholaufnahme ins Blut in unterschiedlicher Weise.“

Als relevant nennt sie zudem die körperliche Konstitution der trinkenden Person. Wie hoch der Body-Mass-Index ist, wie muskulös sie ist, wie hoch der körpereigene Fettanteil ist. Darüber hinaus hat auch die Art des Alkohols Effekte: „Schnaps kann zu verzögerter Resorption führen“, erklärt Thierauf-Emberger. Jede einzelne Stellschraube sei ausschlaggebend, am Ende entscheide die Summe der Faktoren.

Porträt Annette Thierauf-Emberger

Erklärt, wer sich wann betrunken fühlt: Annette Thierauf-Emberger vom Uniklinikum.

Wie man sich bei 1,6 Promille fühlt, lasse sich nicht pauschal beantworten. Entscheidend sei der gewohnte Alkoholpegel. „Wenn man regelmäßig 1,2 Promille erreicht, fühlt man sich drunter gut, bei 1,4 aber möglicherweise nicht mehr“, sagt Thierauf-Emberger. Entscheidend sei auch die Grundstimmung. Die werde durch Alkohol verstärkt. „Wer betrübt in den Abend geht, wird betrübter. Wenn die trinkende Person euphorisch ist, wird zunächst das verstärkt.“

Die Grenze für sozial toleriertes Trinken wurde Ende der 1970er-Jahre bei 1,2 bis 1,3 Promille angesetzt. Thierauf-Emberger verweist dazu auf eine Studie von Arno Müller aus dem Jahr 1976. Die chillisten haben für ihren Promilletest ein Messgerät zum Pusten verwendet. Für wirklich präzise Ergebnisse taugt das laut Thierauf-Emberger nicht. Dazu müsse ein Bluttest gemacht werden. So geht auch die Polizei vor, wenn sie einen konkreten Verdacht hat, dass mit zu viel Promille gefahren wird.

Und wie kommt es, dass nach einer ähnlichen Menge Alkohol einer der Journalisten bei 0,4 und einer bei 1,1 Promille landet? Ist die eine Leber besser trainiert als die andere? Am häufigeren Trinken kann es kaum liegen, erklärt die Expertin. Einen höheren Alkoholabbau habe nur, wer regelmäßig zwei Promille oder mehr erreiche. Erst dann ist der Alkoholabbau gesteigert. Davon rät sie jedoch dringend ab: „Das geht dann schon in Richtung Sucht und Krankheit.“

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Fotos: © Pixabay/StockSnap, Britt Schilling