»Jobs werden anders aussehen« – Freiburger Experte erklärt Auswirkungen von Bots wie ChatGPT auf den Arbeitsmarkt business im Breisgau | 17.03.2023 | Philip Thomas

Digitale Daten

Schon bald könnten Computerprogramme wie ChatGPT Callcenter überflüssig machen oder Bankberatung übernehmen. Das schätzt der Freiburger Wirtschaftsinformatiker Dirk Neumann. Die Technologie hinter dem Bot biete zahlreichen Branchen allerdings Chancen – vorausgesetzt der Mensch lernt, mit der Maschine zusammenzuarbeiten.

„Das ist ein Durchbruch“, sagt Dirk Neumann vom Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik an der Freiburger Albert-Ludwigs-Universität über „ChatGPT“, den Prototypen eines Chatbots. Seit Ende November 2022 schlägt die Software des US-amerikanischen Unternehmens OpenAI Wellen: 100 Millionen Nutzer verbuchte die Firma mit weniger als 400 Mitarbeitern nur zwei Monate später, schätzte die UBS-Bank. Damit wäre ChatGPT die am schnellsten wachsende Verbraucher-App aller Zeiten.

Das ist kaum verwunderlich: Auch in deutscher Sprachausgabe wirkt ChatGPT menschlich, gibt per Textbefehl Tipps, etwa zum Reifenwechsel, fasst Texte zusammen und schreibt auf Wunsch sogar Gedichte. „Es lernt aber nicht die Fakten“, erklärt Neumann. Dank sogenannter neuronaler Netze und maschinellem Lernen greift der Bot auf 570 Gigabyte eingespeiste Texte zurück. Welche Wörter der Bot zu einer Antwort aneinanderreiht, entscheidet er auf Basis von Statistik.

Von der Trefferquote ist der Professor allerdings beeindruckt. Ein Kollege am Institut für Wirtschaftswissenschaften habe ChatGPT eine Programmierklausur schreiben lassen. Das Ergebnis: Note Eins mit Sternchen. Auch Neumann fordert seine Studierenden auf, den Bot als Werkzeug zu nutzen. Ganze Hausarbeiten sollten damit aber nicht geschrieben werden: „Man verlässt sich auf statistische Häufigkeit. GPT ist keine Wissensrepräsentation.“

Oft unterlaufen dem Bot noch Fehler und Kuriositäten. So wird im selbstbewussten Ton etwa die Trennung von Prinz Harry und Meghan Markle verkündet. Für faire und freie Wahlen empfiehlt der Computer an anderer Stelle den Einsatz von Hüpfburgen. „Man braucht Vorbildung, weil ChatGPT oft sehr selbstbewusst Unwahrheiten erzählt“, so Neumann, der deswegen ein Konfidenz-Maß vermisst. Der Computer erfindet sogar wissenschaftliche Quellen. „Das macht es ungeeignet, um wissenschaftliche Texte zu produzieren.“

ChatGPT ist nicht auf bestimmte Domänen trainiert. Welche Texte genau als Trainingsdaten verwendet wurden, ist ein Firmengeheimnis von OpenAI. Darin sieht Neumann einen weiteren Schwachpunkt. „Die Modelle müssen noch richtig gefüttert werden. Dazu braucht es eine gewisse Varianz von Quellen und Dokumenten.“

Neben den technischen gibt es außerdem rechtliche Hürden. Nicht umsonst begrüßt ChatGPT seine Nutzer mit einem Haftungsausschluss. Für schlechten Rat kann das Unternehmen hinter dem Bot nicht belangt werden. Neumann vergleicht den neuartigen Bot mit einem selbstfahrenden Auto: technisch heute durchaus möglich, juristisch sind jedoch noch Fragen offen.

Wo liegen die Grenzen von künstlicher Intelligenz (KI)? Immerhin handelt es sich bei ChatGPT noch um eine Beta-Version. Beruflich werden wohl die wenigsten Bots völlig autonom eingesetzt werden, schätzt Neumann: „Ich glaube, niemand möchte eine medizinische Diagnose, die ausschließlich von einer KI erstellt wurde.“

Und wer muss um seinen Arbeitsplatz bangen? „Am naheliegendsten sind Callcenter-Mitarbeiter. Ihre Arbeit könnte relativ schnell von künstlicher Intelligenz übernommen werden.“ Schon heute werkeln Chatbots etwa bei der Deutschen Bahn oder dem Versandhändler Amazon und fangen zahlreiche Fragen ab. „Bislang sind diese Bots allerdings mit wenig Intelligenz ausgestattet“, kommentiert Neumann. Welche Rolle KI in den Planungen von Sensorspezialist Sick und Softwareschmiede Haufe spielen, wollen die beiden Unternehmen derweil nicht verraten.

Grundsätzlich könne künstliche Intelligenz überall dort menschliche Arbeit übernehmen, wo strukturell gearbeitet wird: „Mittelfristig wird simple Sach-, Versicherungsarbeit oder Bankberatung übernommen. Ich kann mir vorstellen, dass Chatbots bald Anlagegespräche führen.“ Kurzfristig werden die Auswirkungen gering sein, so der Experte: „Noch liegt KI zu oft mit ihren Aussagen daneben, wenn auch ohne bewusste Absicht.“ Auf lange Sicht werde künstliche Intelligenz den Arbeitsmarkt allerdings verändern: „Jobs werden anders aussehen.“

Die Angst vor dem Jobkiller Digitalisierung ist nicht neu. 2017 ging die Beratungsfirma McKinsey in einer Veröffentlichung davon aus, dass rund 20 Millionen Arbeitsplätze, also fast die Hälfte aller Jobs in Deutschland, automatisiert werden könnten. 2013 schätzen zwei Professoren an der Oxford-Universität, dass 47 Prozent aller US-amerikanischen Arbeitsplätze durch technischen Fortschritt gefährdet seien. Seit 2008 transportieren zwei U-Bahn-Linien unter Nürnberg ihre Gäste fahrerlos.

Gleichzeitig entstehen auch neue Jobs. Die fränkischen U-Bahn-Fahrer wurden umgeschult. Unterm Strich ist der technische Fortschritt ein Segen, schätzte das Weltwirtschaftsforum 2020: Bis zum Jahr 2025 gehen weltweit 85 Millionen Arbeitsplätze verloren, 97 Millionen neue werden geschaffen. „Viele Arbeitsplätze werden unmittelbar mit KI verbunden sein. In Beratung oder Lehre können viele interessante Berufsfelder entstehen“, prognostiziert Neumann. Um die Stärken von Computern richtig einzusetzen und Automatisierungsgewinne zu erzielen, seien allerdings Schulungen notwendig.

Neumann geht davon aus, dass die Effekte auf den Arbeitsmarkt zumindest bis 2028 moderat ausfallen. Seriöse Vorhersagen seien schwierig. Der technische Fortschritt schreite rasant voran. „GPT ist ein Quantensprung der Texterkennung. Vor zehn Jahren war so etwas nicht denkbar“, so Neumann. Noch spannender ist für den Experten jedoch die Entwicklung im Bereich Deep Learning, also der Möglichkeit, große Datensätze mit sogenannten neuronalen Netzwerken, etwa für Sprach- oder Objekterkennung, zu analysieren. Neumann betont: „ChatGPT ist die Spitze des Eisbergs.“

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