Tonnenweise Asbest: Gewerkschaft warnt vor Gefahr in Freiburger Wohnungen Wirtschaft | 03.04.2024 | Pascal Lienhard

Eine Person in einem Schutzanzug steht vor einem Warnschild das vor Asbestfasern warnt Vorsicht geboten: Bei der Arbeit mit Asbest müssen strenge Sicherheitsvorkehrungen beachtet werden.

Jahrzehntelang wurde in Deutschland munter mit Asbest gebaut. Laut der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) Südbaden steckt die krebserregende Mineralfaser in rund 63.000 Freiburger Wohnungen. Der stellvertretende Bezirksvorsitzende für Südbaden fordert ein Umdenken. Vorbild könnte Frankreich sein.

Knapp 44 Millionen Tonnen asbestbelastetes Baumaterial stecken bundesweit im Gebäudebestand. Die vom Hannoveraner Pestel-Institut erhobene Zahl beunruhigt Ilse Bruttel. Die Bezirksvorsitzende der IG BAU Südbaden erklärte Mitte November in einer Mitteilung der Gewerkschaft: „Asbest ist eine unsichtbare Gefahr.“ Zu finden ist die Faser etwa in Putz, Spachtelmassen, Fliesenklebern und Zement.

Auch in Freiburgs Gebäuden lauert das krankheitserregende Asbest. Zwischen 1950 und 1989 war es auf dem Bau Standard. „In dieser Zeit wurden in Freiburg 13.800 Wohnhäuser mit 62.800 Wohnungen gebaut“, erklärt Michael Jäger, stellvertretender Bezirksvorsitzender der IG BAU Südbaden. Das seien 52 Prozent aller Wohngebäude. Verboten wurde Asbest 1993.

Hohe Dunkelziffer

Doch die Zahl könnte laut dem pensionierten Hochbaupolier noch höher sein. Schon ab 1930 wurde Asbest vereinzelt genutzt. Und auch bei Umbauten sowie Modernisierungen seien kontaminierte Materialien zum Einsatz gekommen, ebenso in Garagen, Gewerbegebäuden, Ställen und Scheunen. Je nach Verarbeitung werden Asbestprodukte in fest- und schwachgebundene Stoffe unterschieden. „Von den schwachgebundenen Stoffen geht das größte Risiko aus, an Asbestose zu erkranken“, erklärt Jäger.

Tückisch ist, dass sich Gesundheitsschäden zum Teil erst Jahrzehnte nach der Arbeit mit Asbest bemerkbar machen. Im November meldete die IG BAU, dass in den vergangenen zehn Jahren bundesweit 3376 Versicherte der Berufgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG BAU) an den Folgen einer asbestbedingten Berufserkrankung verstorben seien. Die Dunkelziffer dürfte wesentlich höher liegen. „Früher haben wir auf der Baustelle viel mit Asbest gearbeitet, die Gefahren waren kaum bekannt“, blickt Jäger zurück. Schutzanzüge hielten erst Ende der 1980er- beziehungsweise Anfang der 1990er-Jahre Einzug.

Ein positives Beispiel für Jäger ist Frankreich. Dort gibt es seit 1997 für Gebäude einen Sicherheitspass, in dem potentielle Gefahrenstoffe aufgelistet sind. „Das empfehle ich auch für Deutschland“, sagt Jäger. Problematisch sei, dass sich große Wohngesellschaften aus Angst vor Sanierungskosten oftmals gegen solche Pläne sträubten.

Bruttel betont in ihrer Mitteilung, dass in den nächsten Jahren auch in Freiburg ein Großteil der Altbauten angefasst würde, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Dabei werde es in den meisten Fällen nicht bei der reinen Energiespar-Sanierung bleiben. Auf dem Bau drohe mit der Sanierungs- auch eine Asbest-Welle.

Die Freiburger Stadtbau GmbH (FSB) ist sich des Themas bewusst. „Bei Sanierungen wird der Schadstoff fachgerecht ausgebaut und entsorgt“, berichtet Petra Zinthäfner, Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Bei Objekten der FSB, die keiner Sanierung unterzogen werden und bei denen Belastungen zu erwarten seien, kümmern sich Experten vorsorglich um Werkstoffuntersuchungen und Analysen im Vorfeld. Anhand der Ergebnisse werden weitere Maßnahmen und Vorkehrungen je nach Erfordernis geplant und umgesetzt.

Ähnliches berichtet Martin Weiner, Geschäftsführer der Wohnungsbaugenossenschaft Heimbau. An Gebäuden, die vor 1993 gebaut wurden, werden grundsätzlich vor Sanierungen Untersuchungen beauftragt, um Schadstoffe zu identifizieren. Wenn die Berichte Asbest diagnostizieren, werde vor der Sanierung eine zugelassene Fachfirma mit Ausbau und Entsorgung des kontaminierten Materials beauftragt. Bei größeren Außensanierungen werden zudem grundsätzlich jeweils ein Büro für Sicherheits- und Gesundheitskoordination beauftragt.

Gewerkschaft legt Asbest-Charta vor

Doch nicht jeder, in dessen Wohnung mit Asbest gebaut wurde, muss sich Sorgen machen. „Gefährlich wird es erst bei der Sanierung“, berichtet Jäger. Arbeiten mit Asbest müssen laut Jäger nach den Vorgaben der BG BAU ausgeführt werden. Dazu müssten etwa Schutzanzug und geeignete Masken her, zudem brauche es einen speziellen Staubsauger mit Zubehör. In den Räumen müsse beim Arbeiten ein Unterdruck erzeugt werden, damit die Fasern nicht in andere Räume gelangen können. Das Asbest werde dann separat entfernt und in der Regel in Big-Packs vergraben. Allerdings nehmen nicht alle Deponien das Material an.

„Oftmals umgehen Firmen die Sicherheitsvorgaben“, sagt Jäger. Das sei gefährlich für Handwerker, Bewohner und Nachbarn, da das Asbest über Lüftungen in andere Wohnungen eindringen könne. Jäger hat den laschen Umgang selbst erlebt. Vor einigen Jahren wohnte er in einem Gebäude in Landwasser, in dem Asbest verbaut worden war. In der Wohnung unter ihm wurde ohne Schutzmaßnahmen saniert, das Fenster stand weit offen. „Ich habe direkt die Gewerbeaufsicht angerufen“, blickt Jäger zurück.

Der Fachmann ist der Meinung, dass Asbest mehr Aufmerksamkeit benötige. Darum hat die IG BAU unlängst eine bundesweite „Asbest-Charta“ mit Forderungen vorgelegt. Darin geht es um bessere Informationen, die Förderung von Asbest-Sanierungen und um konsequenten Arbeitsschutz. „Die Gesundheit von Bauarbeitern und Heimwerkern muss geschützt werden“, erklärt Jäger. Zudem plädiert die Gewerkschaft für eine staatliche Sanierungsprämie. Hierfür müsse der Bund ein KfW-Förderprogramm „Asbest-Sanierung“ schaffen.

Foto: © IG BAU Alireza Khalili