Der Ton ist rauer geworden: Nach zwölf Jahren – Regierungspräsidentin Bärbel Schäfer tritt ab Wirtschaft | 02.04.2024 | Philip Thomas

Ein Bild von Bärbel Schäfer an einem PC Geht in die Politik: Freiburgs scheidende Regierungspräsidentin Bärbel Schäfer tritt für die Grünen bei der Kommunalwahl 2024 an.

Seit 2012 ist Bärbel Schäfer für 295 Gemeinden, neun Landkreise und den Stadtkreis Freiburg als Regierungspräsidentin verantwortlich.  Zum Ende ihrer Amtszeit bemerkt die Behördenchefin ein neues Tempo bei Genehmigungen, aber auch Misstrauen gegenüber ihrer Behörde.

Als Bärbel Schäfer ihr Amt als Regierungspräsidentin im Jahr 2012 antrat, zählte ihr Haus knapp 1800 Mitarbeiter. Eigentlich sollten es weniger werden. Die damalige Landesregierung hatte den vier Präsidien im Land ein Sparprogramm verordnet. „Dagegen haben wir uns erfolgreich gewehrt, indem wir uns in der neuen Landesregierung eine hohe Akzeptanz erarbeitet haben“, erzählt die 66-Jährige.

Auch heute zählt das Freiburger Regierungspräsidium (RP) rund 1800 Mitarbeiter – obwohl Polizei und Autobahnverwaltung ausgegliedert wurden. „Durch das zusätzliche Personal können wir Projekte schneller umsetzen“, erklärt Schäfer. „Zudem sind wir in der Lage, jedes Jahr mehr als eine Million Euro an Fördermitteln in unserer Region zu verteilen und die Kommunen dabei entsprechend zu beraten und zu begleiten.“

»Haben uns erfolgreich gewehrt«

Knapp 3800 Projekte mit einem Volumen von 295 Millionen Euro förderte Schäfers Präsidium im ländlichen Raum. Mehr als 4000 Arbeitsplätze und 3700 Wohnungen entstanden. In 300 städtische Sanierungsgebiete flossen seit 2012 rund 485 Millionen Euro. „Mittlerweile herrscht Konsens, dass das RP ein Dienstleister für die Region ist. Aber natürlich kein Selbstbedienungsladen“, sagt Schäfer.

Seit 2012 wurden im Regierungsbezirk jährlich rund 100 Kilometer Straßen saniert und rund 25 Bauwerke erneuert. 120 Kilometer an Bundes- und Landstraßen kamen hinzu. Vergangenes Jahr gingen Fördermittel in Höhe von 37 Millionen für die Verkehrsinfrastruktur an die Kommunen im Bezirk. Davon waren 30 Millionen Euro festgeschrieben für ÖPNV und Radverkehr.

Die damit einhergehende Bürokratie entstand nicht ausschließlich in Amtsstuben. „Es reicht nicht, wenn Behörden pragmatisch sind, das Umfeld muss es auch sein“, sagt Schäfer. Um bei größeren Verkehrsvorhaben wie dem Ausbau der Rheintalbahn oder Ortsumfahrungen Akzeptanz zu schaffen, gingen zahlreiche Projekte mit Bürgerbeteiligung über die Bühne.

Als Regierungspräsidentin brachte Schäfer langjährige Projekte zum Abschluss: Die Anerkennung des Biosphärengebiets Schwarzwald durch die UNESCO im Jahr 2017 sowie die Unterzeichnung des Aachener Vertrags zur deutsch-französischen Freundschaft im Januar 2019 bezeichnet sie als Höhepunkte ihrer Amtszeit.

Nicht immer entstand Großes: „Gescheitert sind wir leider mit dem sogenannten Zukunftsprozess Fessenheim.“ Geplant war dort bis zum Herbst 2022 ein grenzüberschreitender Gewerbepark für erneuerbare Energien. „Stattdessen wird nun das Technocentre zum Recycling schwach radioaktiver AKW-Teile kommen, das wir ablehnen“, sagt sie.

Die Energiewende brachte neue Themen auf Schäfers Schreibtisch: „Von der tiefen Geothermie hat 2012 noch niemand gesprochen.“ Aktuell hat die Landesbergdirektion für 13 Felder zwischen Karlsruhe und Basel die Erlaubnis zur Aufsuchung von Erdwärme erteilt. „Da ist eine enorme Dynamik drin.“

Der Ausbau von Windkraft und Photovoltaik habe in den vergangenen Jahren ebenfalls an Fahrt aufgenommen. Aktuell drehen sich im Regierungsbezirk 140 Windkraftanlagen mit einer Leistung von insgesamt 312 Megawatt. Bis zum Jahr 2030 soll diese Zahl vervierfacht werden. Schäfer ist zuversichtlich, dieses Ziel zu erreichen: „Bund und Land haben die Voraussetzungen für schnellere Genehmigungsverfahren geschaffen.“ Der Krieg in der Ukraine habe das Bewusstsein für alternative Energiequellen zusätzlich geschärft.

Im Zuge des Klimawandels rechnet Schäfer außerdem mit deutlich steigenden Flüchtlingszahlen. „Darauf müssen wir uns vorbereiten“, sagt sie. Die Landesregierung hat das Ziel ausgegeben, 9000 zusätzliche Plätze in der Erstaufnahme zu schaffen. Das RP ist aktuell auf der Suche nach Immobilien. In Waldkirch laufen Gespräche zur Nutzung einer ehemaligen Herz-Kreislauf-Klinik.

Auf dem Bild ist die Landeserstaufnahmestelle an der Lörracher Straße in Freiburg zusehen

Mehr Platz: Die Landeserstaufnahmestelle an der Lörracher Straße in Freiburg soll ausgebaut werden.

Außerdem soll die Landeserstaufnahmestelle in Freiburg ausgebaut werden. Aktuell sind 400 von 700 Plätzen an der Lörracher Straße belegt. Im Herbst waren auch die zusätzlichen 500 Notplätze weitestgehend vergeben. Im ehemaligen Obi-Baumarkt in Freiburg-­St. Georgen sind aktuell noch 80 Flüchtlinge aus der Ukraine untergebracht. Unklar ist, ob der Betrieb über Juni hinaus verlängert wird.

„Im Moment sind wir noch ganz gut aufgestellt“, resümiert Schäfer. Die im Oktober eingeführten stationären Grenzkontrollen hält sie für sinnvoll: „Sie sind ein wichtiger Baustein.“ Auch der 2018 eingerichtete Regionale Sonderstab für gefährliche Ausländer habe sich bewährt. 75 Straftäter wurden seitdem abgeschoben, sieben reisten freiwillig aus.

Trotz solcher Maßnahmen: Der Ton wurde rauer. Seit den Flüchtlingsbewegungen im Jahr 2015 und 2016 gehörte es für Schäfer zum Tagesgeschäft, auf öffentlichen Veranstaltungen verbal angegriffen und beschimpft zu werden. Die Corona-Krise habe weiterhin Verschwörungstheoretiker beflügelt: „Die sozialen Medien machen es vielen Leuten leicht, in der Anonymität des Internets ketzerische Hassparolen zu verbreiten, die unsere Gesellschaft zu spalten drohen.“

Schäfer bemerkt ein neues Misstrauen gegenüber Politik sowie Verwaltung. „Aufgrund der zahlreichen Krisen in der Welt, von denen wir auch hier in Deutschland betroffen sind, sind viele Menschen verunsichert, sie haben Sorge, dass sie ihren Lebensstandard nicht mehr halten können. Einfache Lösungen werden gesucht – aber die gibt es leider nicht.“

Eine Nachfolge für die 66-Jährige hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann zum Redaktionsschluss noch nicht bestimmt. Schäfers letzter Arbeitstag an der Freiburger Bissierstraße ist der 31. März.

Fotos: © Britt Schilling, Ignacio Linares Free2rec