Heimspiel: Forscher aus Leidenschaft STADTGEPLAUDER | 11.05.2023 | Jennifer Patrias

Portrait Gerhard Schmidtke

Seit mehr als sechs Jahrzehnten beschäftigt sich der Wahl-Freiburger Gerhard Schmidtke mit Fragen der Physik. Sein Weg führte von der Kernwissenschaft zur Atmosphärenforschung und dank einer fixen Idee sogar bis zur Raumstation ISS. Für seine besonderen Leistungen wurde ihm nun der Verdienstorden des Landes Baden-Württemberg verliehen.

„Als ich das erste Mal davon hörte, den Verdienstorden zu bekommen, dachte ich, na, das ist ja was so Großes, habe ich das überhaupt verdient? Und dann bin ich Stück für Stück alles durchgegangen und habe über mein Leben und meinen Werdegang nachgedacht. Zum einen ist da meine Leidenschaft für die Forschung. Ich bin jetzt 86 und es ist nicht normal, dass man da noch so weit im Neuland forscht.

Ich komme aus Ostpreußen und ich habe den Krieg miterlebt. Mit acht Jahren bin ich in Schwerin gelandet und habe gesehen, was Hitlerdeutschland war. Erst waren wir dort nicht hoch angesehen, da musste sich meine Familie bewähren. Ich hatte eine kleine Fahrradwerkstatt, in der ich Räder repariert habe, mich in der Schule bemüht und Nachhilfeunterricht gegeben. Nach der Oberschule bin ich nach Rostock gegangen, um Physik zu studieren. Im dritten Semester musste ich die DDR schlagartig verlassen, weil ich ins Visier der Stasi gekommen bin. Ich bin in Freiburg gelandet, habe eine Prüfung abgelegt und bin direkt ins vierte Fachsemester eingestiegen.

1960 wollte ich in Freiburg meine Diplomarbeit über die Kernphysik schreiben, aber mein Professor war so überladen, dass er mich an das frühere Ionosphäreninstitut nach Breisach geschickt hat. Dort habe ich meine Abschlussarbeit geschrieben und bin so zur Atmosphärenforschung gelangt. Dank dieser Forschung kann die Sonne, die sich ständig verändert, gemessen werden. Die Sonne hat nicht nur einen Tages- und Nachtzyklus, sondern auch einen Sonnenfleckenzyklus, der die Häufigkeit der Sonnenflecken angibt.

Ein normaler Zyklus hat eine Dauer von elf Jahren, von denen er zwei Jahre relativ ruhig ist und wenig Aktivität zeigt. Den Rest der Zeit steigt die Aktivität bis zu einem Maximum, die ultra-
violette Strahlung produziert. 1975 habe ich dann eine Forschergruppe gegründet, da ich ein Messgerät in den Weltraum bringen wollte, das sich dort selbst kalibrieren kann. 2008 ist das EUV-Spektrometer dann auf der Raumstation ISS installiert worden. Mit diesem Gerät konnte zum ersten Mal die extrem-ultraviolette Strahlung der Sonne gemessen werden. Und weil das so gut gelaufen ist und wir jetzt sagen können, wie viele Photonen die Sonne am Tag auf den Weg schickt, ist das Spektrometer neun Jahre im Weltall geblieben.

Neben der Forschung ist vermutlich auch mein soziales Engagement in die Entscheidung miteingeflossen. 18 Jahre war ich, sechs davon als Vorsitzender, im Ältestenkreis in der evangelischen Dietrich-Bonhoeffer-Gemeinde. Ich habe den Internettreff in Freiburg gegründet, und als die ersten Flüchtlinge kamen, habe ich 25 Fahrräder und 15 Laptops besorgt und Deutsch- und Nachhilfeunterricht gegeben. Da bin ich zu dem Schluss gekommen, dass das Ganze ja nicht so verkehrt sein kann. Daher habe ich die Auszeichnung aus Überzeugung angenommen und freue mich riesig darüber. Da kommen so tolle Reaktionen – sogar Gratulationen aus Mexiko.“

Foto: privat