Schwächelnde Schlagader: Händler fordern fixe Frischzellenkur für Freiburgs Rathausgasse STADTGEPLAUDER | 08.06.2023 | Von Pascal Lienhard & Philip Thomas

Schwarz-Weiß Bild der Rathausgasse in Freiburg Schieflage: Freiburgs Rathausgasse soll überholt werden. Die Anlieger begrüßen die Idee, fürchten aber eine langjährige Baustelle.

Die altehrwürdige Freiburger Rathausgasse kränkelt. Händler beklagen Leerstand, hohe Mieten und einen in die Jahre gekommenen Straßenbelag. Die Stadtverwaltung denkt über eine Sanierung nach. Doch die Anlieger warnen: Eine langwierige Baustelle an Freiburgs Vorzeigestraße werden viele Läden nicht überleben.

Bernd Ramsperger kennt die Rathausgasse wie seine Westentasche. Seit 1956 verkauft seine Familie Schneidewaren im Haus mit der Nummer 44. Heute leitet er das Fachgeschäft in dritter Generation. „Früher fuhren noch Autos durch die Gasse“, erinnert er sich. 1973 wurde die schmale Gasse zwischen Eisenbahn- und Kaiser-Joseph-Straße zur Fußgängerzone. Bis heute ist die Gasse für zahlreiche Touristen, die vom Bahnhof kommen, das Tor zur Innenstadt.

Doch Freiburgs Schlagader hat sich für Ramsperger nicht zum Guten gewandelt. „In den vergangenen 25 Jahren sind viele inhabergeführte Betriebe weggefallen“, sagt er. Auch die Gastronomie wandert ab. Besonders bedauert er das Aus des traditionsreichen Restaurants Kleiner Meyerhof, das seine Pforten zum Jahresende 2018 schloss und seitdem leer steht.

Fluktuation habe es in der Rathausgasse schon früher gegeben. Allerdings wurden die Reihen schnell geschlossen. „Die Übergänge waren immer nahtlos“, erinnert sich der 67-Jährige. Das habe sich geändert. „Wir, Juwelier Seilnacht, das Freiburger Lederhaus und Stefan Meier Tabakwaren & Whisky pflegen ein Inselleben umgeben von Leerständen und wechselnden Nachbarn“, fasst Sohn Jan Ramsperger zusammen.

Von Dezernaten und Gemeinderat fühlt sich Ramsperger Senior im Stich gelassen. „Die Stadt hat in den vergangenen Jahrzehnten viele Fehler gemacht. Wie ein Schachspieler, der immer nur einen Zug weiterdenkt“, sagt er. Sein Geschäft sei auf Umsatz aus dem Umland angewiesen. „Aber die Kunden werden aus der Stadt gedrängt, der ÖPNV ist zu teuer, es gibt zu wenig Park-and-Ride-Möglichkeiten. Das Auto wird verteufelt.“ Gleichzeitig dauerten teure Anträge der Anlieger beim Bauamt mitunter Jahre.

Auch Matthias Lewalter, Inhaber des 1900 gegründeten Juweliers Seilnacht, macht der Leerstand zu schaffen: „Es ist schlimm, in ein schwarzes Loch zu gucken“, sagt der 63-Jährige. Die Lücken an der Flaniermeile führt er zurück auf Konkurrenz im Onlinehandel, fehlende Nachfolger in Familienunternehmen und den Immobilienmarkt. Lewalter berichtet von 10.000 Euro Monatspacht für eine 70-Quadratmeter-Ladenfläche in Freiburgs Zentrum: „Das wurde aufgerufen und auch gezahlt.“

Die Mieten seien eine wichtige Stellschraube: „Eigentümer, die Flächen leer haben, müssten einen Mietzins ermöglichen, der junge Ideen in Läden bringt.“ Auch Lewalter fordert bessere Parkmöglichkeiten in der Innenstadt. „Schweizer kommen nicht mit dem Fahrrad. Die fahren mit dem Auto – weiter nach Straßburg.“

Die Stadtverwaltung schätzt die Lage der Rathausgasse weniger dramatisch ein. Laut Sprecherin Linda Widmann besuchten die Gasse im Mai rund 13.800 Passanten täglich und damit 20 Prozent weniger als im Vorjahr. Jedoch habe in der vergangenen Dekade jeder Geschäftsaufgabe eine Nachfolge gegenübergestanden. Flächen seien verlagert oder neu geschaffen worden.

Stefan Max Huber und Bernd Ramsperger

Im Kontakt mit der Stadt: Stefan Max Huber (links) von Stefan Meier Tabak & Whisky und Bernd Ramsperger von Ramsperger Messerschmiede.

Die Gasse sei „von großer Nutzerstabilität geprägt“. Neben den Traditionshäusern nennt Widmann das Wallgraben Theater, Apollo-Optik, Pizzeria La Piazza, Trattoria Tizio, Nordsee und das Rathaus. Laut Widmann befinden sich viele Gebäude im Umbau, es handle sich nicht um klassische Leerstände. Zum Redaktionsschluss zählt chilli sechs ungenutzte Immobilien an der Gasse.

In einem Brief an die städtische Freiburg Wirtschaft Touristik und Messe GmbH (FWTM) stellte der Lokalverein Innenstadt der Rathausgasse im vergangenen Jahr ein mangelhaftes Zeugnis aus und forderte eine Aufwertung. Fragen von chilli möchte die Vereinsvorsitzende Anca Rosler-Koslar nicht beantworten.

Rathaus und FWTM sind aktiv geworden: Die Stadtverwaltung hat sich über den Sanierungsbedarf der Leitungen unterhalb der Gasse bei Badenova erkundigt. Das Ergebnis: Es ist möglich, nur den Belag der Straße auszubessern, eine erforderliche Sanierung des Kanals könne nach Vorarbeiten bei den Schächten geschlossen erfolgen. Der Haken: Die übrigen Leitungen müssten zu gegebener Zeit in offener Bauweise erneuert werden.

Die Gelder sollen aus dem städtischen Haushalt und einem Anteil der Leitungsträger sowie einem Zuschuss durch die Bettensteuer kommen. Im März empfahl der Tourismusbeirat, 400.000 Euro aus Tourismusmitteln in die Belag-Sanierung zu stecken.

400.000 Euro für neuen Belag

Wie lange würde die Rathausgasse zur Baustelle werden? Wenn nur die Oberfläche saniert wird, könnten die Arbeiten laut Widmann innerhalb eines Jahres über die Bühne gehen. Würden zusätzlich die Leitungen angegangen, käme mindestens ein weiteres Jahr obendrauf. Der Zugang zu den Geschäften „würde auch während der Bauphasen in beiden Varianten weitestgehend gewährleistet, aber die Attraktivität dieser Straße würde durch eine Baumaßnahme naturgemäß eingeschränkt.“

Ein Player vor Ort ist der Verein „z’ Friburg in der Stadt“. Anja Hohwieler-Tinkhauser ist Kaufmännische Assistentin des Vereins. Sie wirbt dafür, Fernwärme, Glasfaser und sonstige Leitungen in einem Rutsch einzubauen, zu modernisieren und einen neuen Belag zu installieren. Eine Baustelle, die sich über zwei oder mehr Jahre hinziehe, wäre aber eine Katastrophe. Sie warnt: „Die Sanierungsarbeiten sind so massiv, dass das nicht alle Läden überstehen werden.“

Stefan Max Huber, Inhaber des 1922 eröffneten Stefan Meier Tabakwaren-Geschäfts, sieht die Pläne pragmatisch. „Es war klar, dass nach Herren-, Schuster- und Salzstraße auch irgendwann die Rathausgasse renoviert wird“, sagt er und gibt sich kämpferisch: „Wir haben die Pandemie überlebt, wir packen auch eine Baustelle.“

Der 44-Jährige begrüßt die Pläne, Fernwärmeleitungen unter die Straße zu legen – unter der Voraussetzung, dass der Gassen-Boden in zehn Jahren nicht wieder aufgerissen wird. „Lieber alles in einem Aufwasch machen“, sagt Huber. Die Diskussion um ein neues Pflaster hält er für verfehlt: „Ich glaube nicht, dass Belag ein Besuchermagnet ist.“

Im Haus gegenüber pocht Lewalter auf Tempo – und plädiert für Vertragsstrafen, sollte die Baustelle länger bestehen als veranschlagt. Für die Zeit einer Sanierung rechnet er mit halbem Umsatz. An der Westseite der Gasse betont Ramsperger: „Die Sanierung muss kommen, aber nicht in der Art und Weise wie das Rathaus sich das aktuell vorstellt.“ Wie in der bis zu fünf Meter schmalen Gasse Bagger oder Kräne wenden sollen, ist ihm schleierhaft.

Laut Ramsperger, Lewalter und Huber dürfen Bauarbeiten keinesfalls länger dauern als ein Jahr. „Es muss in Zwei- oder Dreischichtbetrieb gearbeitet werden, nicht in der Geschwindigkeit der Stadt Freiburg“, sagt Ramsperger und verweist auf die dreijährige Baustelle vor dem C&A am benachbarten Rotteckring. Ein Weihnachtsgeschäft könne Ramsperger opfern – wenn er genug Vorlaufzeit hat: „Jeder hier muss sich einen Speckgürtel anlegen.“

Fotos: © Seilnacht, Philip Thomas