Kafkaeskes Debüt: Julia Rothenburgs Roman spielt im Freiburger Uniklinikum STADTGEPLAUDER | 03.02.2018 | Erika Weisser

Der Debüt-Roman der 27-jährigen Berliner Autorin Julia Rothenburg ist in Freiburg angesiedelt, genauer: im Universitätsklinikum, wo Pflegenotstand und patientenferne Routine nicht erst jetzt Thema sind. Klug, mit großer sprachlicher Kompetenz und einem präzisen Blick fürs Detail, beschreibt sie diesen Zustand anhand des persönlichen Befindens des fiktiven Patienten Koslik, spiegelt ihn gleichsam an dessen eigenem Innenleben.

Die Geschichte hätte in jedem beliebigen Krankenhaus spielen können, an der internen Routine ist sicher nichts Freiburg-Spezifisches. Doch Rothenburg empfand „den Kontrast zwischen der gerade in Freiburg so lebendigen Außenwelt und der trostlosen Parallelwelt eines Krankenhauses“ als so krass, dass es für sie gar keine andere Wahl gab, als sie mit dem Schreiben begann.

Sie weiß, wovon sie schreibt: Vier Jahre hat sie in Freiburg gelebt und während ihres Bachelor-Studiums der Soziologie und Politikwissenschaft eine Woche im Uniklinikum verbracht. Dort hat sie die ihrer Romanfigur zugeordneten Erfahrungen von Ausgeliefertsein und Ungewissheit selbst gemacht, hat wie Koslik abends hinter den schalldichten Fenstern beobachtet, wie „der Mond wie ein großes helles Auge über dem Schwarzwald steht“. Und hat wie er „die eigene Identität an der Garderobe abgegeben“.

Dieser Koslik erwacht eines Morgens mit Lähmungserscheinungen, fürchtet einen Schlaganfall und fährt in die Klinik – in der Hoffnung, nach ein paar Untersuchungen wieder nach Hause und zur Volkshochschule gehen zu können, wo er Englisch unterrichtet. Doch die Prozedur dehnt sich ins Unendliche, wobei ihm niemand verbindliche Auskunft über die nächsten Schritte gibt. Zwar hört er laufend diverse Fachbegriffe, doch kann er nur wenig damit anfangen. Und traut sich nicht, beim stets wechselnden Personal nachzuhaken.

Schließlich wird er stationär aufgenommen und gerät in ein geschlossenes, merkwürdig gespenstisches Szenario, das mit seinen immer gleichen Abläufen und dem routinierten Zusammenwirken von Ärzten, Pflegern und Patienten nach den geheimen Regeln eines Kammerspiels zu funktionieren scheint. Koslik passt sich an – und merkt irgendwann, dass er selber „diese Choreografie vervollständigt“. Zudem schleicht sich allmählich der Eindruck ein, dass es kein Entrinnen gibt; in Erwartung eines Befunds wagt er sich nicht einmal vor die Tür. Wie ein Untersuchungsgefangener, der auf seinen Prozess harrt und dabei jegliches Zeitgefühl verliert.

In seiner Handlungsunfähigkeit ergreift ihn eine seltsame Unruhe. Zumal ständig die Gefahr droht, einem ehemaligen Kommilitonen und durchsetzungsfähigen Konkurrenten wieder über den Weg zu laufen, der sich auch in der Klinik aufhält. Er wirkt auf Koslik wie ein Spiegel – und bringt ihn in die beklemmende Situation, sich mit seinem nicht eben erfolgreichen bisherigen Leben auseinanderzusetzen.

Für das Manuskript dieses wunderbar kafkaesken Romans erhielt Julia Rothenburg den Retzhoff-Preis für junge Literatur – der Türöffner zur Frankfurter Verlagsanstalt. Auf ihr nächstes Buch darf man gespannt sein; sie schreibt gerade daran.

Foto: Erika Weisser