Wie eine Briefträgerin an einem Tag 2000 Sendungen zustellt STADTGEPLAUDER | 23.05.2018 | Till Neumann

Die Post macht immer wieder Schlagzeilen: Roboter könnten Briefträger ersetzen, Briefträger sollen Sozialdienste übernehmen, zu viele Krankheits­tage verhindern unbefristete Verträge. Wie hart ist der Job? chilli-­Redakteur Till Neumann hat eine erfahrene Freiburger Postbotin im Dienst begleitet. Und ist kaum hinterhergekommen. Ausbremsen können die 49-Jährige nur zwei Dinge.

5.30 Uhr. Briefzentrum Freiburg-Hochdorf. Sabine Mohally-Willig macht sich hellwach an die Arbeit. Ihre erste Aufgabe: Briefe, Päckchen und Prospekte sortieren. Ihr Arbeitsplatz besteht aus Fächern, geordnet nach Straßennamen und Hausnummern. Alban-Stolz-Straße, Wackerstraße, Zähringerstraße, …

Aus gelben Postkisten greift sich Mohally-Willig Kuverts, mustert sie kurz und steckt sie blitzschnell in ein Fach. Schauen, finden, einsortieren. Schauen, finden, einsortieren. Immer wieder bringt ein Kollege Nachschub: randvolle gelbe Kisten, die kommentarlos abgestellt werden. Alles läuft eingespielt. Klack, klack, klack. Kisten sind hier überall. Für ein freundliches „Guten Morgen“ ist sich aber keiner zu schade.

Seit 13 Jahren arbeitet Mohally-­Willig als Zustellerin. Seit vier Jahren in ihrem Zähringer Bezirk. Straßen und Hausnummern kennt sie dort aus dem Effeff. „Früher war ich Springer, als Vertreterin fast überall im Einsatz“, erzählt sie. Für die Orientierung sei das müßig. Als sie 2005 von Teil- auf Vollzeit umstellte, bekam sie den Zuschlag für Zähringen – das Viertel, in dem sie wohnt. Ein Heimspiel.

Kurze Hose, rote Brille, Tattoo am rechten Bein. Die Zustellerin macht ihren Job gerne: „Das selbstständige Arbeiten finde ich super, in ein Büro könnte ich mich nicht setzen.“ Die im März aufgedeckte kuriose Geschichte eines Kollegen aus Breisach kennt sie: Der 45-Jährige hatte über drei Jahre hinweg mehr als 7000 Briefe nicht zugestellt. Aus „Überforderung“ bunkerte er sie zu Hause. „Da kriege ich Gänsehaut“, sagt Mohally-Willig. Der Mann müsse psychische Probleme gehabt haben.

Doch die Belastung nimmt zu, bestätigt sie: „Unsere Bezirke werden immer größer.“ Man müsse Gas geben, um durchzukommen. „Man will ja fertig werden.“ Im Winter geht’s wegen viel Weihnachtspost und widrigen Bedingungen sogar um 5.10 Uhr los. „Da gibt man richtig Gummi, um fertig zu werden.“

Jetzt bringt ihr ein Kollege Zettel mit dem Aufdruck „Vorsicht Hund!“. Für eine Stellvertreterin schreibt sie auf, wo in ihrem Bezirk bissige Hunde lauern. Die Frau mit den schulterlangen grauen Haaren hat selbst drei Hunde, wollte mal Tierpflegerin werden. Aus Erfahrung weiß sie: „Manche Besitzer haben ihre Tiere einfach nicht im Griff.“

8.25 Uhr. Sabine Mohally-Willig ist fertig mit sortieren. Sie steigt in ihr Auto und fährt zum Übergabepunkt in der Konradin-Kreuzer-Straße bei der Haltestelle Rennweg. Dort beladen die Zusteller ihre Räder oder Autos mit Groß- und Kleinbriefen. Mohally-Willig fährt ein knallgelbes Rad ohne Elektroantrieb. „Wer ein E-Bike will, kann das bei uns haben“, erzählt sie nebenher. Sie habe beim Chef aber dankend abgelehnt, da sie nur im Flachen unterwegs ist. Das Berufsradeln macht ihr Spaß, gerade bei sonnigem Wetter wie heute. Abgestiegen werde nur bei Blitzeis und Orkan. „Regen ist kein Problem.“

9.30 Uhr. Die Postbotin ist beim ersten Haus. Sie holt Briefe und Kuverts aus ihrer Tasche, eilt zum Briefkasten. Ein Einschreiben ist darunter, doch der Bewohner ist nicht da. Also schreibt sie eine Benachrichtigung und legt das Kuvert zurück in die Radtasche. „Manche denken, wir benachrichtigen absichtlich nicht“, sagt Mohally-Willig. Das stimme nicht: „Wir sind ja froh, die Päckchen loszuwerden.“ Alles andere sei zusätzlicher Aufwand.

Dann geht’s vorbei an der Großbaustelle vorm Zähringer Bürgerhaus. „Da gibt’ bald 65 Wohnungen mehr“, weiß die Zustellerin. Ob ihr Bezirk dann kleiner wird? „Ich weiß es nicht. Wenn nicht, werde ich schimpfen“, sagt sie. Dass das herzliche Energiebündel auf den Tisch hauen kann, glaubt man ihr aufs Wort.

Während die Vögel in der Sonne zwitschern, wuselt sie weiter. Von Haustür zu Haustür. Von Briefkasten zu Briefkasten. So manch älterer Anwohner wartet vorfreudig. „Es ist schon wichtig, dass es ein bisschen menschelt“, sagt sie. Für manche sei die Postübergabe ein Ritual.

Gefahr droht: Ranpirschen

In Bremen wird das derzeit intensiviert: Beim Pilotprojekt „Post persönlich 2.0“ wird getestet, ob Briefträger soziale Aufgaben übernehmen können: bei Rentnern klingeln, im Notfall Hilfe rufen, bestelltes Bargeld mitbringen. „Man merkt bei manchen älteren Menschen, dass sie das brauchen könnten“, berichtet Mohally-Willig. Sie könne sich das durchaus vorstellen, aber nur unter zwei Bedingungen: eine Schulung und mehr Zeit. Dann radelt sie zum nächsten Haus.

Nachbarschaftshilfe leistet sie bisher nur in Einzelfällen: „Einmal bin ich in Haslach für eine ältere Dame über die Mülltonne ins Fenster eingestiegen“, erinnert sie sich. Die Frau hatte sich ausgeschlossen, war verzweifelt. Unschöner lief’s in Weingarten: Da hetzte ihr ein Anwohner einen Hund auf den Hals. Er biss ihr ins Bein, sie stellte Strafanzeige, er wurde verurteilt.

Mit vollem Einsatz: Sabine Mohally-Willig stellt Post in Zähringen zu. Ausgebremst wird die 49-jährige Zustellerin dabei nur von zwei Dingen.

13.30 Uhr. Im letzten Drittel kommt Mohally-Willig zur brenzligsten Stelle ihres Bezirks. „Ich pirsch mich mal ran“, sagt sie und läuft vorsichtig in den Hof. Schon erscheint der Besitzer. „Der Dackel ist drin“, ruft er. Sie atmet auf. Ihr Gegenüber ist von seinem Wauwau überzeugt: „Der ist neun Jahre alt, hat noch keinen gebissen.“ „Das bringt mir nix, wenn ich die Erste bin“, erwidert Mohally-Willig im Gehen.

Bis 14 Uhr sollte der Dienst eigentlich gehen. Doch heute wird’s 15 Uhr. „Die Stunde über Plan ist gang und gäbe“, sagt die immer noch emsige Postbotin. Ihre Mittagspause bestand aus einem Apfel. Andere Kollegen machten die Pause, sie gehe lieber früher nach Hause. „Manche sagen, ich radel wie eine Wildsau“, erzählt sie und lacht.

2000 Briefe hat sie heute zugestellt. Was das Schwierigste am Job ist? „Ein Hund, der mich vom zügigen Zustellen abhält, oder glatte Straßen im Winter“, sagt Mohally-Willig. Auch Absteigen kostet Zeit.

Fotos: © tln