Seelsorger der Straße: Karsten Koeleman verkauft seit sechs Jahren die Zeitung Frei(e)bürger STADTGEPLAUDER | 16.06.2018 | Erika Weisser

Vor 20 Jahren erschien die erste Ausgabe der Zeitung Frei(e)bürger. Das Straßenmagazin, dessen Themen sich bis heute vorwiegend um Arbeits-, Geld- oder Obdachlosigkeit drehen, wurde gegründet, um für Menschen in sozialen Notlagen über den Zeitungsverkauf eine legale Alternative zum damals in der Stadt verhängten Bettelverbot zu schaffen.

An jedem verkauften Exemplar verdienten sie eine Mark. Und so tauchten überall in Freiburg plötzlich Leute mit teilweise verwegenem Erscheinungsbild auf und boten eifrig den Frei(e)bürger feil. Der Verkäufersprecher Karsten ­Koeleman ist seit sechs Jahren dabei.

„Ich kam im Mai 2012 von Hamburg nach Freiburg, wo ich bis 1995 schon einmal gelebt hatte. Anfangs wohnte ich in meinem Zelt am Hirzberg, als aber der Winter kam, habe ich über die Oase im Erika-Kramer-Haus eine Notunterkunft für drei Monate gefunden. Danach wohnte ich abwechselnd in einem Zimmer oder im Zelt, je nach Jahreszeit. Seit zwei Jahren habe ich eine Zwei-Zimmer-Wohnung, der Teilzeit-Arbeitsvertrag beim Frei(e)bürger hat mir das ermöglicht.

Ich habe von meinem ersten Tag in Freiburg den Frei(e)bürger verkauft, davon und vom Pfandflaschensammeln gelebt. Der Zeitungsverkauf hat mir sofort großen Spaß gemacht, man kommt mit den unterschiedlichsten Menschen zusammen, hat seinen Tag strukturiert, eine Aufgabe und ein erarbeitetes Einkommen. Ich habe nur positive Erfahrungen gemacht, es mit meinem Standort beim Westhoff-Kaffeeladen auch gut erwischt. Hier kommen zur Münstermarktzeit viele Leute vorbei, einige sind schon Stammkunden geworden.

Wenn ich mal ein, zwei Tage nicht da bin, fragen sie hinterher gleich, ob etwas nicht stimmt, laden mich schon mal auf einen Kaffee ein. Solche Zuwendungen freuen mich sehr, das Gefühl, dazuzugehören und so was wie alte Bekannte zu haben, tut gut. Hin und wieder schüttet eine oder einer auch sein Herz bei mir aus. Manchmal gibt es dann richtig schwierige Gespräche. Aber ich mag das.

Es gibt tolle Erlebnisse. Hier kam ziemlich lange eine Frau vorbei, die an Krebs erkrankt war und gerne mit mir plauderte. Als sie es überstanden hatte, hat sie mich zum Dank für meine „Seelsorge“ zu einer Reise nach Jerusalem eingeladen. Das war sensationell, das hätte ich mir nie leisten, nicht einmal erträumen können.

Danach habe ich einen sechsteiligen Urlaubsbericht für den Frei(e)bürger geschrieben. Das hat mir aber nicht so gut gefallen wie der Straßenverkauf. Obwohl ich auch in der Redaktion mitarbeite, liegen meine Stärken eindeutig im Vertrieb und der damit verbundenen Kommunikation. Deshalb bin ich auch gerne Verkäufersprecher, koordiniere die Zusammenarbeit untereinander und mit der Redaktion. Und suche neue Verkäufer. Wer Lust hat, soll sich melden.“

Foto: © ewei