„Welten aufmachen“ – Wie eine junge Freiburgerin den „lyrix“-Wettbewerb gewonnen hat Kultur & Medien | 02.10.2024 | Paula Brand

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Emotionen in Wörter fassen. Die Freiburgerin Angelina Schülke ist eine der Gewinnerinnen des Bundes-Gedichtwettbewerbs „lyrix“ 2024. Im f79-Interview mit Paula Brand spricht die 21-Jährige über ihre Erfahrungen, Inspiration und über ein Leben ohne das Schreiben.

f79 // Angelina, worum geht es im Gedicht „Der Geruch von alten Häusern“, mit dem du angetreten bist?
Angelina // Das vorgegebene Thema war Gerüche, die bestimmte Erinnerungen und Assoziationen hervorrufen. Ich bin auf dem Land aufgewachsen, in einem alten Bauernhaus. Der Geruch in vielen dieser alten Gebäude hat bei mir immer zwiespältige Emotionen ausgelöst: einerseits das Gefühl von Geborgenheit, aber gleichzeitig auch von einer gewissen Schwere. Davon ausgehend geht es in meinem Gedicht um die Zerrissenheit zwischen Nostalgie und Abgrenzung. Um das Spannungsfeld zwischen familiären Erwartungen und dem eigenen Weg. All das steckt für mich in diesem Geruch drin.

f79 // Wie lange hast du an dem Gedicht geschrieben?
Angelina // Ein paar Tage. Es ist immer sehr viel Arbeit, solche Texte zu verfassen, hauptsächlich muss viel gekürzt werden. Aber das ist auch das Schöne an der Lyrik. Sie kann auf ganz knappem Raum richtig weite Welten aufmachen.

f79 // Hast du mit dem Sieg gerechnet?
Angelina // Nein, überhaupt nicht. Das hat mich total vom Hocker gehauen. Es war ein richtig toller Moment, als ich die Post im Briefkasten gesehen habe.

f79 // Was bedeuten Gedichte für dich?
Angelina // Gedichte bedeuten für mich, den Moment einzufangen, mit all seinen Nuancen.

f79 // Wann hast du dein erstes Gedicht geschrieben?
Angelina // In der 8. Klasse habe ich an der Kulturakademie teilgenommen. Dieses Programm der Baden-Württemberg-Stiftung richtet sich an Schülerinnen und Schüler und bietet Workshops in den Bereichen Literatur, Musik, MINT und Kunst an. Das war für mich der erste Kontakt mit Lyrik und eigenen Gedichten. Allerdings hat es eine Weile gedauert, bis ich mich getraut habe, mein Geschriebenes bei Wettbewerben einzureichen.

f79 // Verfasst du auch andere Texte?
Angelina // Neben Lyrik schreibe ich auch gerne Prosa, und das eigentlich schon seit ich denken kann. In der Schule waren Aufsätze meine Lieblingsaufgabe. Mir macht es Spaß, mir Geschichten auszudenken und die Handlung zu steuern, indem ich entscheide, wie es mit den Charakteren weitergeht.

f79 // Hast du lyrische Vorbilder?
Angelina // Marie T. Martin mag ich sehr gerne. Sie kam tatsächlich auch aus Freiburg. Ich finde ihre Poesie super schön und bewegend. Außerdem lese ich gerne Gedichte von Nadja Küchenmeister. Bei ihr hatte ich schon das Glück, während der Kulturakademie einen Workshop machen zu dürfen. Jan Wagner mag ich ebenfalls sehr gerne.

f79 // Willst du beim Schreiben bleiben?
Angelina // Ich habe auf jeden Fall vor, weiterzuschreiben. Das hilft mir, über die Welt zu reflektieren. Es macht auch Spaß, mit Sprache zu spielen und zu experimentieren. Manchmal habe ich mehr Zeit dafür, manchmal weniger, aber ganz aus meinem Leben wegzudenken ist das Schreiben nicht. Ich glaube, ich kann einfach nicht ohne.

Das Gedicht:

der geruch von alten häusern

von Angelina Schülke
wir sogen den muffigen geruch der wände ein bis unsere lungen
kapitulierten
vor beklemmender nostalgie
kam geborgenheit kamen honigfarbene nachmittage
kam der streit

zu ostern weidenkätzchen im flur
knotige hände entfernter verwandter
raue wangen geschichten vom feld
entbehrung damit wir es besser haben
filterkaffee vermischt mit schuld

lyrix – Bundeswettbewerb für junge Lyrik

Der Bundeswettbewerb „lyrix“ fördert Talente zwischen 10 und 20 Jahren auf dem Weg in die junge Lyrikszene. Ziel ist es, junge Dichter*innen für das kreative Schreiben zu begeistern. Für Lehrer*innen werden im Internet kostenfreie Unterrichtsmaterialien zum Download angeboten.

Die Teilnehmenden senden ihre selbst verfassten Gedichte zu monatlich wechselnden Themen per E-Mail an lyrix@dradio.de. Monatlich kann ein Gedicht pro Teilnehmer*in eingereicht werden. Jeweils im Folgemonat werden die fünf gelungensten Gedichte vom Deutschlandfunk veröffentlicht. Eine unabhängige Jury ermittelt am Anfang des folgenden Jahres aus den 60 Monatsgewinner*innen die zwölf Preisträger*innen eines Jahrgangs.

Sie gewinnen eine Reise nach Berlin zu mehrtägigen Schreibwerkstätten und Performance-Trainings. Zudem präsentieren die Preisträger*innen ihre Gedichte vor großem Publikum bei Lesungen auf den Buchmessen in Frankfurt und Leipzig.

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