Blockflöte mit Swag: Johann Sundermeier erfindet sein Instrument neu STADTGEPLAUDER | 24.05.2022 | Till Neumann

Johann Sundermeier am Mischpult mit der Flöte in der Hand

Blockflöte. Das klingt nach Schulunterricht. Ein Instrument für Einsteiger. Doch der Freiburger Johann Sundermeier zeigt, dass es auch anders geht: Der 22-Jährige macht elektronische Musik. Er arbeitet mit Effekten, Synthesizern, Loops und Beatbox. Damit ist er möglicherweise der Erste, der das verrufene Instrument in die Urban Music trägt.

Wenn der Student Blockflöte spielt, leuchten nicht nur seine Augen. Hinter Johann Sundermeier blinken LEDs: Neben seinem Laptop stehen ein Stagepiano, ein Drumpad, eine Soundkarte. Sein WG-Zimmer in Freiburg-Kappel ist sein Studio. Hier feilt der Student der Freiburger Musikhochschule an Kompositionen. Er ist im 6. Semester – einer von neun Studenten, die dort den Bachelor machen.

Selten sind die, die das Instrument studieren. Noch seltener ist Sundermeiers Art, es zu spielen. „Ich kenne niemanden, der das sonst so macht“, sagt Sundermeier. Er arbeitet mit der Software Ableton und bis zu sechs Flöten: Große Instrumente liefern die tiefen Töne, kleine die hohen. Effektbeladen wabern die Sounds zu Elektrodrums durch die Boxen. Dass er fast alles mit Flöten eingespielt hat, ist kaum zu erkennen. Der hypnotische Track könnte auch auf dem Sea You Festival laufen.

„Ich mag den Klang von Blockflöten“, sagt Sundermeier. Er sei weich, warm und voll – vor allem mit seinen High-End-Instrumenten, die bis zu 3000 Euro kosten. Wichtig für ihn: „Man kann wahnsinnig virtuos spielen.“ Virtuoser als auf einer Geige. „Die BPM-Zahl ist einfach höher.“ Entscheidend seien neben Artikulation und Blasdruck vor allem flinke Finger. Eine Stunde täglich übe er Fingermotorik.

Der Ruf des Instruments ist für ihn schon lange ruiniert

Dass er das Instrument beherrscht, zeigen Videos auf seinem YouTube- und Instagram-Kanal. Man sieht ihn auf Festival-Bühnen, bei Home-Sessions mit anderen Musikern und auf dem Schlossberg. Die Reaktion auf seine Kunst sei oft dieselbe, berichtet Sundermeier: „Wow, krass, so habe ich eine Blockflöte noch nie gehört.“ Der Ruf von Blockflöten ist für ihn schon lange ruiniert: „Sie gilt als Anfängerinstrument.“ Das liege vor allem daran, dass in der Schule früh damit begonnen wird: „Alle kennen sie so, wie sie im Anfangsstadium klingt: 20 Leute spielen schief im Klassenzimmer durcheinander.“ Seine Musik ist daher auch ein Kampf gegen Klischees, eine kleine Revolution in der Blockflötenwelt. Die jedoch viel Lob bekommt: „Ich finde das großartig“, sagt Musikprofessor Ralf Schmid. Der Freiburger experimentiert selbst mit Datenhandschuh und Piano – und unterrichtet Sundermeier. Schmid lobt: „Johann setzt sich mit musikalischen Möglichkeiten der heutigen Zeit auseinander und erfindet sein Instrument neu.“ Für die barocke und klassische Bläserwelt könne er ein Role Model sein.

Eine Sammlung verschiedener Blockflöten

Elektrosound: Mit diesen Flöten kreiert Johann Sundermeier überraschende Kompositionen.

Auch Professor Stefan Temmingh (43) ist angetan: „Johann sticht heraus.“ Er sei fleißig, kreativ und könne besonders schnell spielen. Der Leiter des Blockflötenstudiengangs der Musikhochschule findet es „sehr schön, wenn junge Menschen ihren eigenen Weg gehen“.

Sundermeier macht keinen Hehl daraus, dass es ihn reizt, Konventionen zu brechen. Die Rolle des Außenseiters gefällt ihm. Dennoch ärgert es ihn, dass er selten nach Qualität beurteilt werde, sondern meist danach, dass er aus der Reihe tanzt. Er ist überzeugt: „Ich kann mich musikalisch auch unabhängig von Blockflöte behaupten.“ Sein Repertoire hat er gerade um eine Sparte erweitert: Sundermeier kann jetzt auch beatboxen – während er Flöte spielt.

„Ich bin ready für den Musikmarkt“

Seine Leidenschaft hat Familientradition: Die Mutter des gebürtigen Hildesheimers spielte Blockflöte – genau wie seine Großmutter. Sie war es, die ihn auf den Geschmack brachte. „Sie war professionelle Blockflötenspielerin“, erzählt Sundermeier. Als er sie in einer Kirche spielen sah, war er angefixt: „Das war voll bewegend und emotional.“ Der Waldorfschüler nahm Unterricht und merkte schnell: Das Instrument liegt ihm. Sein zweiter Lehrer in Hildesheim, Eugen Iburg, habe ihn bei der Arbeit mit Effektgeräten supportet. Iburg meldete ihn für Jugend musiziert an, Sundermeier komponierte sein erstes Stück „Delute“. Dazu drehte er ein Video. Von da an kamen Anfragen für Auftritte. Sundermeier spielte und komponierte weiter. Mit 17 begann er seine Musikerkarriere, seit zweieinhalb Jahren ist er als Student in Freiburg und tritt auch hier auf. Vielen ist er im Breisgau jedoch noch kein Begriff. Das könnte sich bei seinen Fähigkeiten ändern. Auf Festivals in anderen Städten spielt er schon jetzt solo einstündige Shows.

„Ich bin ready für den Musikmarkt“, sagt Sundermeier. Er möchte von der Musik leben. Dennoch kann er sich vorstellen, erstmal noch einen Master in Musikproduktion dranzuhängen. Am liebsten in Berlin. Auch als Flötist in einer Band zu spielen, würde ihn reizen. Elektro, Techno, Balkan und Klezmer gefallen ihm. Absichern kann er sich auch finanziell als Lehrer. Bei allem Ärger über die Blockflöte als Einsteigerinstrument. Das sichert ihm einen Pool an vielen jungen Menschen, denen er etwas beibringen kann. Möglicherweise auch, wie man das Instrument so spielt, dass es Swag hat.

Fotos: © tln