Umstrittener Hype: chilli testet zwei E-Roller STADTGEPLAUDER | 21.05.2019 | Till Neumann

In Paris, Wien oder Barcelona sind E-Roller Standard. In Deutschland hat der Bundesrat am 17. Mai grünes Licht gegeben. Die Zahl der Elektro-Scooter dürfte explodieren. Das chilli hat vorab zwei Modelle getestet. Ein besorgter Bürger warnt. Und in Basel gab’s Unfälle.

Großhändler: Jens Müller-Storz

„Einfach draufsteigen und losfahren“, sagt Jens Müller-Storz. „Da muss man nichts erklären.“ Der 48-jährige Freiburger vertreibt E-Roller an Großkunden. Mehrere Tausend habe seine Firma in den vergangenen drei, vier Jahren schon verkauft. Sein chinesisches Testmodell: der Segway Ninebot ES4. Kostenpunkt: 599 Euro.

Ich steige auf und fahre los. Beziehungsweise trete los. Der Motor geht nur an, wenn das Ding schon rollt. Einmal angeschoben, drücke ich den Hebel rechts an der Lenkstange nach unten. Der Motor schiebt lässig nach vorne. Nach ein paar Metern zeigt das Display die eingestellte Höchstgeschwindigkeit: 17 Stundenkilometer.

Vor der ersten Kurve bremse ich mit dem Hebel links an der Lenkstange. Easy. Schon wird wieder beschleunigt. Rasant kommt einem die Fahrt nicht vor auf dem asphaltierten Parkplatz. Mit dem Rad bin ich schneller unterwegs – und legal. Zugelassen sind die Roller hier noch nicht.

Etwa 15 Kilometer Reichweite hat der ES4, so Müller-Storz. Das Aufladen dauere drei, vier Stunden. Auch ein Licht hat der Ninebot. Außerdem eine Halterung für einen zweiten Akku. Und einen Hebel, um das Gerät zusammenzuklappen.

Das Gerät weckt schnell Aufmerksamkeit bei der Probefahrt. Zwei weitere Kollegen steigen auf – und eine neugierige Passantin. Die E-Flitzer machen Spaß. Keine Frage. „Ein Last Miler“, sagt Müller-Storz. Geeignet für die letzten zwei, drei Kilometer zum Büro oder nach Hause. „Zehn Kilometer oder mehr fährt damit aber keiner.“

Was genau die Roller ab Mitte Mai können müssen? „Da steht vieles im Raum“, sagt Müller-Storz. Sicher scheint: Für Gehwege werden sie in Deutschland nicht zugelassen. Für den Fachmann ist klar: „Wir werden rechtzeitig da sein, wenn es losgeht.“ Mit Freiburger Fahrradhändlern ist er in Kontakt. „Die sind heiß drauf.“ Er rechnet damit, bei einer Zulassung in den kommenden Monaten 10.000 Flitzer zu verkaufen. „Es wird eine große Welle geben.“

Sharing-Roller in Paris: Mehr als 15.000 rollen durch die Stadt der Liebe

Von Billigmodellen ab 150 Euro rät Müller-Storz ab. „Ab 500 Euro wird’s spannend“, betont er. Preislich geht’s weit nach oben: BMW und Kettler haben ein Luxus-Modell entworfen: Der X2City kostet stattliche 2400 Euro. Zweirad-Hanser in Freiburg hat den bereits zugelassenen „elektrischen Kick-Scooter“ im Angebot. Und schon „zwei, drei Mal verkauft“.

„Der Roller hat eine Schaltung“, sagt Juniorchef Jochen Hanser. Gas gegeben wird mit dem Fuß. Man tritt auf einen Hebel. So kann man 8, 12, 16, 18 oder 20 Stundenkilometer erreichen. Das fast 20 Kilo schwere Gerät liegt beim Test ruhiger auf der Straße als der ES4. Und beschleunigt zügiger. „Hier ist alles vom Feinsten: Griffe, Lichter, Bremsen“, erklärt Hanser. Ein Verkaufsschlager dürfte der X2City bei dem Preis kaum werden.

Luxusliner: Der E-Roller von BMW

E-Roller erhitzen die Gemüter – auch in Freiburg. „Gehwege sind ein Schutzraum für Zufußgehende und müssen es bleiben”, fordert Ramon Kathrein, der blind ist. E-Scooter auf Gehwegen könnten „die Sicherheit extrem beeinträchtigen“, warnt Kathrein. In Frankreich kennt man das Problem: Mehr als 15.000 Stück flitzen bisher ohne Vorgaben durch Paris. Ab September sollen die Gefährte von Gehwegen verbannt werden. Damit „Fußgänger nicht länger an Häuserwände gedrückt werden“, wie Frankreichs Verkehrsministerin Elisabeth Borne sagt.

In Basel sind E-Roller nach Unfällen aus dem Verkehr gezogen worden. Wegen Softwareproblemen sollen in voller Fahrt Bremsen blockiert haben, berichtet der escooter.blog. „Das sind keine gefährlichen Fahrzeuge“, sagt dafür Jens Müller-Storz. Zu einem Helm rät er trotzdem. Senioren ohne Radlererfahrung auf E-Bikes findet er gefährlicher.

Im Rathaus will man abwarten. „Wir werden die Lage beobachten und schauen, ob Handlungsbedarf besteht“, sagt Frank Uekermann. Der Leiter des Garten- und Tiefbauamts sieht E-Roller ambivalent: „Wenn es hilft, weniger Auto zu fahren, ist das gut. Wenn die Leute deswegen zu faul sind, um zu laufen, dann nicht.“ Für ihn gilt: „Alles, was kein Auto ist, ist gut.“

Beim ADAC Südbaden würde man das wohl nicht unterschreiben. „Wir wünschen natürlich Rechtssicherheit, damit klar ist, wer wo fahren darf und wer wann haftet“, sagt Carl Heinz Schneider, Leiter Abteilung Verkehr und Technik. „In jedem Fall wäre Helmpflicht wünschenswert.“ Sein Verein fordert, die Ergebnisse innerhalb von zwei Jahren zu prüfen und dann nachzubessern.

Für chilli-Grafiker Cedric Wojan (Bild oben) sind E-Roller dafür die Entdeckung der jüngsten Barcelona-Reise. Täglich ist er mit Freunden damit durch die Stadt gefahren. „Das war das Beste am ganzen Urlaub“, sagt der 23-Jährige. Und das bei einer Stadt wie dieser.

Fotos: © Till Neumann

Anmerkung der Redaktion: Der Text wurde nach dem positiven Entscheid des Bundesrates am 17. Mai aktualisiert.