Herkunft und Aufbruch – Freiburger Herbstabende Kulturtipp | 14.10.2022 | Erika Weisser

Klara Deutschmann, Robert Stadlober, Daniel Moheit

Frische Luft will das Literaturhaus Freiburg in diesem Herbst. Das legt zumindest das Motto des 36. Freiburger Literaturgesprächs nahe, das vom 10. bis 13. November über die Bühnen geht: „Vom Aufstoßen der Fenster“. Mit von der Partie sind bekannte und weniger bekannte Gäste, die zusammen ein sehens- und vor allem hörenswertes sowie sicherlich gesprächsanregendes Programm auf die Bühne bringen. 

Auftakt ist wie immer am Donnerstagabend im Ratssaal des Neuen Rathauses. Dort verrät Saša Stanišić, Autor des 2019 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneten Romans „Herkunft“, der Literaturkritikerin Insa Wilke, was er als Nächstes vorhat. Man darf gespannt sein, kennt sich der Geschichtenerzähler nach den Worten der Veranstalter doch bestens aus „mit Magiern, liebenswürdigen Heuchlern und Betrügern, mit Drachen, Drahtseilakten und Doppelbödigkeiten aller Manier“. Und mit den Wurzeln von Heimatlosen.

Um diese geht es auch am Freitagabend auf der Bühne des Literaturhauses. In einem Lesekonzert präsentieren Robert Stadl-ober und Daniel Moheit die frühe Lyrik von Stefan Heym, die sie zusammen mit Klara Deutschmann vertont und in dem Ende 2021 erschienenen Hörbuch eingespielt haben, das das Motto für das diesjährige Literaturgespräch lieferte. In den 19 zwischen 1931 und 1935 entstandenen Gedichten thematisiert Heym, der damals noch Helmut Flieg hieß, Entwurzelung, Emigration, Hoffnung, Zukunft, Antifaschismus – und seine eigene Flucht vor den Nazis nach Prag, im Frühjahr 1933.

Unter den sechs Autor·innen, die den Samstag gestalten, ist Anna Kim, deren Rassismus-kritische „Geschichte eines Kindes“ für den diesjährigen Deutschen Buchpreis nominiert ist. Außerdem Emine Sevgi Özdamar, die am 5. November den Georg-Büchner-Preis 2022 erhält. Sie liest aus ihrem Opus Magnum „Ein von Schatten begrenzter Raum“, in dem sie auf 800 Seiten einen Bogen vom osmanischen Reich bis ins heutige Berlin spannt – als Spiegel und Erkundung der Weltpolitik und den daraus resultierenden Aufbrüchen, Grenzüberschreitungen und vergeblichen oder geglückten Asylsuchen. 

Doch schon vor dem Literaturgespräch gibt es eine Reihe von Lesungen, die zum Thema Herkunft und Aufbruch passen: So ist am 18. Oktober Andrei S. Markowits zu Gast, der in „Der Pass mein Zuhause“ seine Lebensgeschichte als Sohn staatenloser Shoa-Überlebender aus Rumänien erzählt, der in New York landet. Am 17. Oktober liest der ukrainische Autor Juri Andruchowytsch aus seinem neuen Roman „Radio Nacht“, über den Musiker Josip Rotsky, der sich in der Schweizer Emigration als Salonpianist verdingt und die Revolution in den heimatlichen Karpaten unterstützt. 

Und danach, am 1. und 2. Dezember, beginnt eine ganz neue Reihe, bei der es weniger um geografische als vielmehr um soziale Herkunft geht. Mit Daniela Dröscher, Martin Kordić und Christian Baron. Und mit Édouard Louis als Gast am 20. Dezember.

HEYM CoverLesekonzert: Stefan Heyms frühe Lyrik beim Literaturgespräch vertont von
Klara Deutschmann (o.l.),
Robert Stadlober (o. Mitte),
und Daniel Moheit (o.r.).

Info: 
www.literaturhaus-freiburg.de

Foto: © Melanie Willmann