Biografische Brücken: Das Blaue Haus Breisach startet ein Zukunftsprojekt Kunst & Kultur | 11.09.2024 | Erika Weisser
„Brücken für die Zukunft“ bauen will der Förderverein des ehemaligen Jüdischen Gemeindehauses „Blaues Haus“ in Breisach. Das Projekt, das über verschiedene Ansätze in der Erinnerungsarbeit nachhaltige Verbindungen über den Rhein schaffen soll, wird von der Stiftung „Erinnerung Verantwortung Zukunft“ (EVZ) mit 500.000 Euro gefördert.
Gemächlich fließt der Strom unter der Brücke durch, die sich zur Rheininsel spannt. Dort mündet sie in ein weiteres Viadukt, das über den Rheinseitenkanal und das Stauwehr der EDF bei Vogelgrun führt. Große und kleine Schiffe liegen am Breisacher Ufer, der tiefblaue Himmel ist wolkenlos, das klare Wasser glitzert in der spätsommerlichen Sonne. Selbst die Autos fahren gemächlich auf der Brücke, die auf den Fundamenten der Eisenbahnlinie errichtet wurde, auf der zwischen 1878 und 1945 Züge von Freiburg nach Colmar fuhren. Kurz vor Kriegsende wurde sie gesprengt, die Strecke stillgelegt. Inzwischen gibt es jedoch eine erste Machbarkeitsstudie für ihre Reaktivierung.
Beim Neubau eines Schienenwegs ins Elsass will auch das Blaue Haus in Breisach mitwirken. Mit einem von Künstlerhand geschaffenen Memorial, dessen Ausschreibung gerade vorbereitet wird: Es soll bereits an der bestehenden Brücke „an die kriegerischen Etappen und leidvollen Erfahrungen deutsch-französischer Geschichte zwischen 1870 und 1945 erinnern“, wie Valeska Wilzcek sagt. Die Kulturwissenschaftlerin ist seit 2017 bei dieser Gedenk- und Bildungsstätte für die Geschichte der Juden am Oberrhein angestellt; sie leitet das Zukunfts-Brückenprojekt, das anlässlich des 2025 bevorstehenden 80. Jahrestags des Endes von NS-Herrschaft und Krieg konzipiert wurde.
Darin spielt das Brücken-Memorial eine wichtige Rolle. Denn alle sieben Züge, in denen Ende Oktober 1940 mehr als 6500 jüdische Menschen aus ganz Baden in das Internierungslager Gurs am Fuß der französischen Pyrenäen deportiert wurden, überquerten genau hier die Grenze. „Der Breisacher Bahnhof war für die meisten dieser Kinder, Frauen und Männer der letzte Blick auf ihre deutsche Heimat“, sagt Christiane Wallisch-Schneller, Vorsitzende des Fördervereins für das Blaue Haus: Viele von ihnen starben in Gurs, etwa 4000 wurden ab 1942 in die Todeskammern von Auschwitz gebracht. Wenige wurden gerettet oder konnten fliehen.
Das Verbindende in den Vordergrund rücken
Das Leitmotiv des Projekts bezieht sich indes nicht allein auf das konkrete (Neu)Bauwerk. Gemeint sind damit auch die in mehrfacher Hinsicht symbolischen Brücken, die entstehen, wenn Angehörige verschiedener Länder und Generationen in den Dialog über die Vergangenheit treten und dabei der jeweils anderen Sichtweise Verständnis und Respekt entgegenbringen. Sandra Butsch, Lehrerin und Wilczeks Projektleitungskollegin, sieht in einem solchen oft biografisch geprägten Austausch eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass Unterschiede und Konflikte überbrückt werden und im künftigen Umgang das Verbindende in den Vordergrund rückt.
Butsch ist zuständig für die Erarbeitung der Biografien von „Personen, die unter NS-Unrecht gelitten haben“, aber auch für Geschichten, die ganz allgemein „die Zerrissenheit der Menschen zwischen dem Elsass und Baden zeigen“. Diese Arbeit findet ab Oktober in Schulen beidseits des Rheins statt, mehr als 20 sind schon dabei. Dabei ist auch die elsässische Künstlerin Francine Mayran, die kreative „Lebenserinnerungskoffer“-Workshops anbietet. Die Ergebnisse sind im Mai 2025 in einer Ausstellung im Kulturzentrum Art Rhena auf der Rheininsel zu sehen. Ebenfalls im Mai wird dort (und auf der Brücke) auch das Tanzprojekt „Dancing to Connect“ aufgeführt; darin setzen Jonathan Hollander und seine New Yorker Battery Dance Company die wechselvolle französisch-deutsche Geschichte mit Leuten von hier choreografisch um.
Selbstverständlich ist auch historische Forschung Bestandteil des Projekts, das nun mit EVZ- Mitteln des Finanzministeriums so großzügig gefördert wird. Doch das gehört zum Alltagsgeschäft der vorwiegend ehrenamtlich tätigen Mitarbeiter:innen des Blauen Hauses, die seit 2003 recherchieren und dokumentieren: zur Geschichte der seit 1638 in der Stadt beheimateten und einst sehr großen jüdischen Gemeinde oder zum Alltag und Zusammenleben von Juden und Nichtjuden in den 300 Jahren der Existenz dieser Gemeinde. Aber auch zum Camp de Gurs, wohin 116 Breisacher:innen deportiert wurden. Dank akribischer Spurensuche gelang es, schon viele Lücken zu schließen.
Info
blaueshausbreisach.de
brueckefuerdiezukunft.de
Fotos: © Erika Weisser