»Ein Kampf, den man führen muss« – Michael Hellstern ist Steinmetz und Bildhauer in vierter Generation Handwerk | 27.03.2025 | Philip Thomas

Seit mehr als 40 Jahren bearbeitet Michael Hellstern Steine. Mit jedem führt der 54-Jährige einen kleinen Kampf. chilli-Redakteur Philip Thomas hat den Handwerker in seiner Freiburger Werkstatt besucht.
„Neulich hat mich ein Kunde gefragt, wo mein Showroom ist“, lacht Michael Hellstern in seiner Werkstatt und winkt ab. Zu sehen gibt es in der Stube ohnehin allerhand: Hinter der Tür hängen Meisterbriefe. An der Wand reiht sich modernes an mittelalterliches Werkzeug. Statuen von Tieren, Menschen und Übernatürlichem zieren Regale. Am kleinen Fenster ist eine Sandstein-Miniatur der Alten Synagoge aus Freiburg zu sehen. Davor steht ein Sandstrahlgerät Marke Eigenbau, in der Mitte des Raums thront ein Außenbordmotor. „Dabei kommt man hier viel besser ins Gespräch als in so einem Kaufhaus“, sagt der Steinmetz und Bildhauer.
1986 begann Hellstern seine Ausbildung in Freiburg. „Ursprünglich wollte ich was anderes machen, und ich wollte auch mehrfach wieder aussteigen, aber ich habe einfach immer wieder den Drang, mit Steinen zu arbeiten“, sagt er. Gelernt hat Hellstern bei Steinmetz Storr am Freiburger Hauptfriedhof. „Das ging damals noch nicht per Bewerbungsschreiben, sondern per Handschlag“, erinnert er sich.
Dabei hätte sich sein Lebenslauf durchaus sehen lassen können: Hellstern ist Steinmetz und Bildhauer in vierter Generation. „Als Kind habe ich meiner Familie über die Schulter gesehen und die alten Techniken gelernt. Nach der Schule habe ich mit Steinen gespielt wie andere mit Lego“, erinnert sich der 54-Jährige.
Die Berufsschule in Freiburg habe er besucht, weil sie den besten Ruf genoss. Entwerfen, modellieren, Arbeiten am Stein und dann war da noch der fachtheoretische Teil. „Die Durchfallquote lag bei 40 Prozent, der Anspruch war der allerhöchste“, sagt er. Und ein Platz war heiß begehrt: Damals gab es laut Hellstern drei Schulklassen à 20 Azubis, dieses Jahr waren es in Freiburg nur fünf Lehrlinge.
Heute arbeitet Hellstern ohne Azubi und allein in seiner Werkstatt. Vor knapp 20 Jahren leistete er sich fünf Mitarbeiter, „das war der Mega-Umsatz, aber auch der Mega-Stress – eine Sieben-Tage-Woche und am Wochenende konnte ich die Fehler der Azubis ausgleichen“, lacht er. Eine helfende Hand könnte Hellstern schon brauchen, „aber so weißt du, dass du es selbst gemacht hast.“
Zu seinem Handwerk hat Hellstern ein ambivalentes Verhältnis. „Es ist ein Kampf, den man führen muss“, sagt er. Ausgetragen werden diese „Fehden“ überall im Freiburger Stadtgebiet: Grabsteine, Küchenplatten – die denkmalgeschützte Lokhalle auf dem Güterbahnhof bearbeitete er mit historischem Werkzeug: „Sonst sieht es nicht authentisch aus.“
2019 restaurierte er das Freiburger Holbeinpferd, striegelte zentimeterweise Farbe, Gips, Zeitungen und Tapeten vom vierbeinigen Wahrzeichen. Im selben Jahr bekam der Steinmetz auch den Auftrag, die Alte Synagoge in Freiburg aus einem Stück Stein zu hauen. „Ich weiß nicht, ob es klappt, aber ich muss es dann probieren“, so Hellstern.

Millimeterarbeit: Abbild der Alten Synagoge in Freiburg.
Seitdem arbeitet er daran. „Ich bin eben kein Fließbandarbeiter“, sagt Hellstern. Sicherlich könne man das Modell auch von einem 3D-Drucker herausfräsen lassen. „Aber dann sieht es aus wie ein Bausatz.“ Wichtiger als millimetergenaue Maße und Winkel sei ohnehin die Proportion: „Wenn es vom Auge stimmt, dann ist es perfekt.“ Auch ungewöhnliche Wünsche hat Hellstern schon erfüllt: Nachdem ein zu Hause gehaltener Affe eines Freiburgers verstorben war, verewigte er den Primaten in Stein.
Stein ist für die Ewigkeit. Trotzdem leide auch seine Branche an einer gewissen Schnelllebigkeit. „Das Handwerk ist mittlerweile sehr auf Kosteneinsparung getrimmt. Der Schein von Stein reicht Leuten oftmals schon“, bedauert Hellstern. Immerhin: „Früher musste ich eine vier Zentimeter dicke Platte in den 18. Stock tragen, heute ist sie nur noch zwei Zentimeter stark.“
Die Arbeit mit Fels und Eisen hat Hellstern nicht nur gedanklich geprägt: „Steinmetz ist wie Bergbau – nur auf den Millimeter.“ Er blickt an seinen Armen herab. „Von dem Beruf geht alles kaputt, Finger, Arme, Schulter, der Rücken sowieso.“ Im Alter von 27 Jahren hatte der Handwerker seinen dritten Bandscheibenvorfall. Dazu der ganze Staub. Schon dreißig Mal musste er wegen Absplitterungen in die Augenklinik. „Trotz Schutzbrille“, sagt er.
Hellstern bereut nicht, diesen Weg eingeschlagen zu haben. Er sagt aber auch: „Man sollte nie etwas, das man wahnsinnig liebt, zum Beruf machen.“ Erfolgszwang und Wirtschaftlichkeit verdränge Neugierde und Kreativität: „Dann ist man in einem Hamsterrad.“ Seit dem 16. Lebensjahr fährt Hellstern Motocross, spielt Handball, sammelt seltene Steine. Das ist sein Ausgleich.
Heute schlägt er ganze Grabsteine auch mal mit Augenmaß heraus. „Das stimmt dann auf vier Millimeter“, sagt Hellstern. Trotzdem: Aller Anfang ist schwer. Auch nach all den Jahren: „Anfangs habe ich immer einen quadratischen Klotz vor mir. Und ich frage mich: Verdammt, wo fängst du jetzt an?“ Rückblickend sei er aber froh um jeden Schlag mit dem Hammer und auch jeden Fehler: „Wenn ich so 20 Jahre zurückblicke, muss man einfach über diese Grenzen gehen. Sonst bleibt man immer auf dem gleichen Stand.“