Weibliche Waldgeister – „Das kalte Herz“ als Graphic Novel Kunst & Kultur | 16.03.2025 | Erika Weisser

Vor fast 200 Jahren erschien das im Schwarzwald spielende Märchen „Das kalte Herz“ von Wilhelm Hauff. Seither wurde die Geschichte um Habgier, Verblendung, Weisheit, Güte und Erlösung vielfach interpretiert – in Nacherzählungen, in Verfilmungen, in Hörspielen. Nun hat der Comic-Künstler Sascha Hommer eine neue, ganz besondere Version des berühmten Märchens geschaffen.
Auf dem Tannenbühl stehen die Bäume so dicht, dass auch am Tag Nacht ist. Hier soll ein freundlicher kleiner Waldgeist hausen, der angeblich drei Wünsche erfüllen kann. Und hier steht der Köhler Peter Munk und versucht, sich an einen in der Kindheit aufgeschnappten Zauberspruch zu erinnern, mit dem er dieses Geistlein hervorlocken will. Denn der arme Schlucker hat dringende Wünsche: reich und bedeutend will er sein, und er will eine eigene Glashütte, um dem schmutzigen und armseligen Köhler-Dasein zu entkommen und endlich heiraten zu können. Also strengt er sich an, reimt den Spruch mühsam wieder zusammen und beginnt: „Schatzhauserin im Tannenwald …“ Plötzlich steht ein zierliches, fast durchsichtiges, in den Rauch seiner Pfeife gehülltes Wesen vor ihm: das Glasweiblein.

Sascha Hommer hat Hauffs Schwarzwald-Märchen in stimmungsvollen Bildern, mit ganz eigenen Akzenten – wie einem Glasweiblein (oben.) – gezeichnet.
Ein Weiblein? Bei Hauff ist der gute Waldgeist doch ein Männlein? Ja, sagt Sascha Hommer. Er habe sich aber die künstlerische Freiheit genommen, die in der Literatur der Romantik „als handelnde Figuren sehr unterrepräsentierten Frauen“ in den Vordergrund zu rücken. Und da habe sich dieses Waldgeistwesen, das ja ohnehin beides sein könne, geradezu angeboten: Viele Sagen und Legenden seien von weisen Frauen bevölkert, die durch ihre Intuition in der Lage seien, die Dinge zum Guten hin zu entwickeln. Also habe er sich in seiner Graphic Novel für ein weibliches Waldwesen entschieden. Eine Frau, die den Kohlenmunk-Peter und seine Familie mit ihrer Besonnenheit schließlich aus den Fängen des herz- und skrupellosen Holländer-Michel rettet.
Schwarzwaldatmosphäre in Bilder gebannt
Etwa fünf Jahre hat der 45-jährige Comic-Künstler an dem Buch gearbeitet, das bereits sein achtes größeres Werk ist. Seit 2002 beschäftigt er sich professionell mit diesem Genre, das „schon immer meins“ war: Hommer, der bei Löffingen aufgewachsen ist, fing bereits als Kind mit dem Comic-Zeichnen an. Als Schüler am Kreisgymnasium Titisee-Neustadt gab er ein Comic-Magazin heraus, das er „von vorne bis hinten“ selbst zeichnete, kopierte und zusammentackerte. Als Jugendlicher sei er oft „in d’Stadt“ gefahren, habe sich im Freiburger Comic-Buchladen X für U mit neuem Lesestoff eingedeckt – und über dessen Inhaber Ulrich Pröfrock „ganz neue Comic-Welten entdeckt“. Der habe ihn auch überzeugt, sich ernsthaft mit dieser literarisch-künstlerischen Ausdrucksform zu beschäftigen, die damals, anders als etwa in Frankreich oder Japan, in Deutschland noch „ziemlich verpönt“ war.
Bald nach dem Abi zog er nach Hamburg, wo er an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften bei Anke Feuchtenberger studierte und seit 2016 selbst unterrichtet. Zehn Jahre lang gab er dort mit der Anthologie „Orang“ wieder ein Comic-Magazin heraus, seit 2006 ist er einer der Organisatoren und Kuratoren des Comicfestivals Hamburg.
Es sei „einer dieser biografischen Zufälle“ gewesen, freut er sich, dass seine Kindheitsutopie tatsächlich zu seinem Beruf wurde, von dem er „mit einer Mischkalkulation aus Brotjob, Büchermachen und freier Kulturarbeit“ sogar leben könne: Zu der Zeit seiner Lebenswegssuche habe der Comic auch hierzulande erheblich an Bedeutung gewonnen, auch wenn „noch viel Luft nach oben“ sei.
Nach ganz unterschiedlichen Themen hat er sich nun also wieder der Gegend zugewandt, aus der er stammt. Das lag nicht nur daran, dass Hauffs Märchen, mit dem er „irgendwann in seiner Kindheit“ in Berührung kam, ihn „plötzlich wieder gepackt“ habe, als er es als Hörbuch hörte. Sondern auch daran, dass sich der Stoff bestens für eine grafische Umsetzung eigne. Dabei musste er, um die soghafte Atmosphäre des dunklen Tannenbühls in seine Zeichnungen zu bannen, nicht einmal in den Schwarzwald reisen: „Die Bilder dieser Landschaften, mit denen ich aufgewachsen bin, habe ich immer im Kopf.“
Das Kalte Herz
Sascha Hommer
Nach einem Märchen von
Wilhelm Hauff
Verlag: Reprodukt 2024
142 Seiten, gebunden
Preis: 24 Euro
Lesung in Freiburg: 6. Juni, 20 Uhr, Haus 37 im Stadtteil Vauban
Foto: © lodz Kacper Zamarło
Illustration: © Sascha Hommer