Gedächtnis der Region Oberelsass Kunst & Kultur | 02.02.2024 | Erika Weisser

Archivierte Schriften und Bücher

Einen ganz besonderen kulturgeschichtlichen Schatz birgt die mitten in Colmar gelegene Bibliothèque des Dominicains. In den Räumen des ehemaligen Klosters sind auf etwa zehn Regalkilometern acht Jahrhunderte Buchgeschichte versammelt. Die historischen ­Bestände werden auf mindestens 400.000 Dokumente geschätzt.

Wer von der Place des Martyrs de la Résistance aus durch die Straßen und Gassen der stets sehr belebten Altstadt Colmars flaniert, nimmt die Dominikanerkirche zunächst vielleicht gar nicht richtig wahr. Zumindest nicht als sakrales Gebäude: Zwar ist das für gotische Verhältnisse ziemlich wuchtige Gemäuer mit den hohen Spitzbogenfenstern nicht zu übersehen, doch der Blick richtet sich nicht sofort nach oben: Es gibt keinen Turm; auf dem First des mit bunten glasierten Ziegeln schön gemusterten Dachs thront lediglich ein bescheidener Dachreiter. Noch weniger äußere Beachtung erfährt das direkt angrenzende ehemalige Kloster der Dominikanerbrüder – es reicht von Ruf und Berühmtheit nicht an den ganz ähnlich gestalteten früheren Konvent der Dominikanerschwestern heran, der nur wenige Schritte entfernt ist und das Musée Unterlinden beherbergt.

Wer aber innehält, sich dem touristischen Trubel entzieht und die beiden Gebäude auch einmal innen erkundet, wird hier Schätze von hohem kunst- und kulturhistorischem Rang und Wert entdecken. So ist im lichten Chor der Kirche Martin Schongauers ikonisches Gemälde „Madonna im Rosenhag“ zu bewundern, das 1473 entstand und zu den Hauptwerken deutscher Malerei gehört. In den Räumen des benachbarten Klostergebäudes ist die Bibliothèque des Dominicains untergebracht, die als Bücherei und Museum geführt wird und ohne Übertreibung als verschriftlichtes Gedächtnis einer Region bezeichnet werden kann: 800 Jahre Buch­geschichte und -kunst aus dem Oberelsass werden hier gegenwärtig – vom frühen und hohen Mittelalter über die Blüte des oberrheinischen Humanismus und den Beginn des Buchdrucks im 15. und 16. Jahrhundert bis zur Aufklärung des 18. Jahrhunderts, die in Colmar eines ihrer Zentren hatte.

Archivierte Schriften und Bücher

Schätze der oberelsässischen Buchkunst in den Gewölben des früheren Klosterkreuzgangs.

Kostbare Unikate

Zu den historischen Beständen der Sammlung gehören etwa 1800 Handschriften – 400 davon stammen aus dem Mittelalter. Zu diesen raren, in den bedeutendsten Abteien des Oberelsass gefertigten Unikaten gesellen sich 2300 Inkunabeln. Diese in der Frühzeit des Buchdrucks (1450 bis 1500) mit beweglichen, noch deutlich an der Kalligraphie orientierten Lettern erstellten Bücher bilden nach der Bibliothèque Nationale in Paris die größte derartige Sammlung in Frankreich. Dazu kommen gut 10.000 schön gestaltete Bände aus dem 16. Jahrhundert – Schriften, die durch die ständige Weiterentwicklung der Buchdruckkunst höhere Auflagen hatten und damit auch Verbreitung außerhalb ihrer Entstehungsorte erfuhren.

Viele dieser einmaligen Dokumente sind in einer auf 500 Quadratmetern eingerichteten Dauerausstellung im Ostflügel des Anwesens zu bewundern – neben wertvollen liturgischen Handschriften, die in der früheren Sa­kristei präsentiert werden. Nach einer vierjährigen Umbauphase – und der Verlegung der Bestände der städtischen Leihbibliothek an einen anderen Ort – können diese wichtigen Zeugen der Übergänge von mündlicher zu schriftlicher Literatur nun öffentlich besichtigt werden. Ebenso die offene Werkstatt im Westflügel, wo die Buchbinderei einen Einblick in ihre Arbeit zum Erhalt und zur Präsentation der wertvollen Bestände bietet. Alle Erläuterungen sind mehrsprachig, es stehen Medien und Mitmach­­stationen zur Verfügung, und selbstverständlich sind die Räume barrierefrei zugänglich. Und alles bei freiem Eintritt. Doch der Besuch lohnt sich nicht nur deshalb.

 

Info

Bibliothèque des Dominicains
1, Place des Martyrs de la Résistance, F-68000 Colmar
Öffnungszeiten: Mo.–Sa. 14–18 Uhr
Dauerausstellung: Mo. & Di., Do. & Fr. 13–18 Uhr; Mi. & Sa. 10–18 Uhr
Dominicains.colmar.fr

Fotos: © Bibliothèque des Dominicains