Einmal aufladen, bitte: Kurzfristig sehen Experten Südbaden für explodierende E-Mobilität gewappnet Natur & Umwelt | 19.05.2021 | Philip Thomas

Schaubild mit verschiedenen Energiequellen Sorgenkind Ökostrom: Für nachhaltige Mobilität ist der Anteil erneuerbarer Energien zu gering.

Die Zahlen sind elektrisierend. Laut Kraftfahrt-Bundesamt wurden in Deutschland 2020 fast 400.000 Autos mit Hybrid- oder Elektroantrieb zugelassen. Im Jahr davor waren es zusammen knapp 108.000. Auch in Südbaden rüsten sich Politiker, Netzbetreiber und Wissenschaftler für die Mobilitätswende.Obwohl der Strom nicht grün genug ist, sind sich die Experten einig: Der Siegeszug elektrischer Pkw ist nicht mehr zu bremsen. 

Der Verkehrssektor ist nach Energiewirtschaft und Industrie mit rund 20 Prozent der drittgrößte Verursacher von Treibhausgas in Deutschland. Laut dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Nukleare Sicherheit verantwortet 94 Prozent davon der Straßenverkehr. Wiederum 59 Prozent davon verfahren Benzin- und Diesel-Pkw. 

Welche Rolle der Verkehr auf Freiburgs Klima-Bilanz hat, verdeutlicht eine aktuelle IFEU-Studie. Zwar lagen die CO2-Emissionen der Green City im Jahr 2018 dank Erneuerbarer Energien sowie nachhaltiger Strom- und Wärmeversorgung bei 7,41 Tonnen pro Kopf und damit 37 Prozent niedriger als 1992. Beim Verkehr stiegen die Emissionen im selben Zeitraum allerdings jährlich um 1,1 Prozent von 0,461 auf 0,466 Millionen Tonnen.

„Mobilität ist das Sorgenkind“, kommentiert Baubürgermeister Martin Haag. Unterm Strich ist Verkehr in Freiburg für 28 Prozent der ausgestoßenen Treibhausgase verantwortlich. Ein von der Stadtspitze vorgelegtes Strategiepapier „Klimaschutz und Mobilität“ soll gegensteuern, Radverkehr fördern, ÖPNV für Pendler ausbauen und Strecken bei der Siedlungsentwicklung möglichst kurz halten. Ganz allein kann die Kommune eine Mobilitätswende und die damit verbundenen Klimaziele aber nicht stemmen. Freiburgs neue Umweltbürgermeisterin Christine Buchheit betont: „Wir brauchen Richtlinien von EU, Bund und Land.“ 

Dr. Susanne Baumgartner

„Ausreichend Reserven“: Susanne Baumgartner von bnNetze

Neben Richtlinien braucht es auch neue Technik. „Auf den Straßen wird es elektrisch“, prophezeit Ingo Krossing, Professor für Molekül- und Koordinationschemie an der Freiburger Albert-Ludwigs-Universität. Der Umstieg auf emissionsarme Antriebsarten nimmt zwar Fahrt auf, ökologisch überholt das Elektroauto den Verbrenner nach einer Untersuchung der Stiftung Agora Verkehrswende allerdings erst nach 150.000 Kilometern. „Jede Produktion hat einen ökologischen Rucksack“, kommentiert Krossing. Und der werde immer kleiner – auch sozial: In Norwegen, Finnland und Katalonien werde gegenwärtig nachhaltiger und sozial gerechter Bergbau für Batterien hochgezogen. „Europäische Hersteller schießen gerade wie Pilze aus dem Boden“, so der 52-Jährige. 

Es könnte ein neuer Goldrausch bevorstehen: Das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und die Energie Baden-Württemberg (ENBW) waschen bereits Lithium aus dem Oberrheingraben. „Getrieben durch den Markthochlauf der E-Mobilität wird sich die Nachfrage nach Batterierohstoffen in den kommenden Jahren hochdynamisch entwickeln“, erklärt Michael Schmidt, Lithium-Experte der Deutschen Rohstoffagentur (DERA). Die European Battery Alliance schätzt das Marktpotenzial für in Europa produzierte automobile Batterien bis Mitte der 2020er auf bis zu 250 Milliarden Euro.

Ökologisch überholt ein E-Auto einen Verbrenner erst nach 150.000 Kilometern 

Die Boston Consulting Group prognostiziert, dass Elektrofahrzeuge ab 2030 die Hälfte des weltweiten Automobilmarktes ausmachen. Geht es nach der Bundesregierung, werden allein in Deutschland bis zum Jahr 2030 sieben bis zehn Millionen Elektrofahrzeuge zugelassen sowie zehn Millionen Ladepunkte gebaut. Laut Krossing würde das jährlich einen Strom-Mehrverbrauch von bis zu 31 Terrawattstunden bedeuten. Ein gewöhnliches Elektroauto verbraucht bei durchschnittlich 13.000 Kilometern im Jahr immerhin rund 2000 Kilowattstunden Strom und damit laut Statistischem Bundesamt annähernd so viel wie ein Ein-Personen-Haushalt. Krossing rechnet einen Schritt weiter: Würden hierzulande alle mehr als 46 Millionen zugelassenen Pkw über Nacht elektrifiziert, müsste die Stromproduktion immerhin um knapp ein Drittel erhöht werden. „Wir brauchen 28 Prozent mehr als wir derzeit haben. Das ist machbar“, findet der Chemiker.

Brennen in Südbaden deswegen bald die Sicherungen durch? „In unseren Stromnetzgebieten liegen grundsätzlich ausreichend Leistungsreserven vor“, sagt Susanne Baumgartner, Leiterin Elektromobilität bei der Badenova-Tochter bnNETZE. Der Ausbau von Normalladepunkten mit einer Leistung von elf bis 22 Kilowattstunden stelle für die Hausanschlusskapazität in aller Regel kein Problem dar. Bei Schnellladestationen mit Leistungsvolumina von 50 bis 150 Kilowattstunden auf Autobahnen sehe es anders aus: „Bei hohen Ladeleistungen kann mitunter der Aufbau eines neuen Trafos notwendig werden.“

Wie genau sich deswegen der Strompreis entwickeln wird, lässt sich laut Baumgartner nur schwer vorhersagen: „Der Strompreis wird durch die Kosten für die Strombeschaffung beeinflusst.“ Da der Stromeinkauf bei hoher Nachfrage teuer sei, könnten Spitzenlasten zu höheren Strompreisen führen. „Der zweite Faktor, der den Haushalts-Strompreis beeinflusst, sind Netzentgelte, die mitunter abhängig von der Auslastung des Stromnetzes sind und bei einer besseren Auslastung geringer ausfallen“, erklärt Baumgartner. Weitere Unbekannte in der Gleichung seien Steuern und Umlagen. Eine entsprechende ISE-Studie aus dem Jahr 2018 kommt aber zu dem Schluss, dass Strom für Haushalte wegen Elektroautos bis 2030 um vier Prozent teurer werden könnte.

Prof. Dr. Ingo-Krossing

Setzt auf elektrischen Antrieb: Batterie-Experte Ingo Krossing

„Im aktuellen Markthochlauf ist die zusätzliche Auslastung der Netzinfrastruktur in der Regel noch kein Problem“, sagt Baumgartner. Damit Ladespitzen das Netz nach Feierabend nicht zu sehr belasten, brauche es intelligentes Lastenmanagement. Der südbadische Netzbetreiber ED Netze hat daher begonnen, 250 Ortsnetzstationen mit Messtechnik auszustatten. „Die gewonnenen Daten können zu Netzsteuerung und zur Netzausbauplanung genutzt werden“, erklärt Sprecher Axel Langer.

Schließlich will morgens niemand ein ungeladenes Auto in der Garage finden. „Wenn Elektromobilität massentauglich werden soll, muss das Laden funktionieren“, bestätigt Robert Kohrs, Abteilungsleiter Intelligente Netze am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg. Auf ein Elektroauto in jedem Vorgarten seien deutsche Netze derzeit nicht ausgelegt. „In den nächsten drei Jahren wird Laden kein Problem, deutsche Innenstadt-Netze sind gut bemessen. Aber für die Zukunft muss man sich Gedanken machen“, sagt der 45-Jährige. 

Private Ladepunkte, sogenannte Wallboxen, müssen deswegen seit März 2019 in Deutschland beim Netzbetreiber angemeldet werden. Immerhin haben Elektroautos zum Laden viel Zeit: Laut Andreas Müller, Abteilungsleiter Verkehr, Technik und Umwelt beim ADAC Südbaden, fahren Pkw in Deutschland statistisch täglich nur eine Stunde lang und 37 Kilometer weit.  Kohrs arbeitet bereits daran, Kapazitäten gezielt auf Lade-Boxen zu verteilen. Wenn die ökologischen Vorteile ausgeschöpft werden sollen, müsse Strom daraus möglichst nachhaltig sein.

Bis 2030 soll der Anteil erneuerbarer Energien laut Bundesregierung auf 65 Prozent erhöht werden. Ob diese Marke geknackt wird, ist laut Max Gierkink vom Energiewissenschaftlichen Institut an der Universität Köln allerdings fraglich: „Die Berechnungen für den Ausbau Erneuerbarer Energien und die Entwicklung der Stromnachfrage deuten darauf hin, dass Deutschland das 65-Prozent-Ziel im Jahr 2030 verfehlen wird.“

Vergangenes Jahr lag der Ökostrom-Anteil im Bundesgebiet laut Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) bei 46 Prozent. Das Problem: „Man sieht Strom leider nicht an, ob er grün ist oder nicht“, so Kohrs. Entsprechende Systeme, die gezielt E-Fahrzeuge laden, befinden sich aber bereits in der Testphase. 

Die Zeit läuft, das 2015 in Paris ausgerufene Wettrennen zur 1,5-Grad-Marke befindet sich auf der Zielgeraden. „Das wird eine enorme Anstrengung, aber bis 2050 bin ich zuversichtlich. Wir haben die Lösungen in der Schublade“, so Krossing. Entscheidend sei, bereits vorhandene Technologien rechtzeitig marktreif zu machen. „Das Problem ist die Skalierung“, sagt Krossing, der im Labor aus Kohlenstoffdioxid grammweise synthetische Kraftstoffe erzeugen kann. Allein das Upscaling um Faktor Hundert habe ihn zwei Jahre gekostet: „Zwischen Gramm und den benötigten Tonnen liegt eine Welt von Entwicklungsarbeit.“

Die ist noch notwendig: Betankt mit deutschem Strom aus dem Jahr 2020 setzt ein Elektroauto pro Kilometer noch 69 Gramm CO2 frei. Krossing geht aber davon aus, dass der Kilometer-Ausstoß in Zukunft weiter sinkt: 2030 auf 34 Gramm und 2050 auf bis zu 1,2 Gramm. „Das wäre praktisch klimaneutral“, so Krossing. Ein vergleichbarer Benziner bläst pro Kilometer aktuell knapp 200 Gramm CO2 in die Luft. Mit einer vergleichbaren Effizienzsteigerung ist beim Verbrenner nicht mehr zu rechnen.

Ein weiterer Vorteil von E-Autos: Sie geben ihre Energie aus der Steckdose direkt auf die Achse, Fahrzeuge mit Brennstoffzellen oder Verbrenner müssen ihre Kraftstoffe erst umwandeln. Während ein batteriebetriebener Pkw zwischen Freiburg und Baden-Baden also rund 23 Kilowattstunden verfährt, benötigt ein Brennstoffzellen-Fahrzeug Krossing zufolge dreieinhalb- und ein Verbrenner sechsmal so viel Energie. 

Doch die Rechnung, wie grün Elektrofahrzeuge sind, beginnt nicht beim Tritt aufs Gaspedal. Laut Krossing beträgt der komplette Wirkungsgrad vom Bohrloch bis zum Rad bei Elektrofahrzeugen 69 Prozent. Bei Benzinern liegt dieser Wert von der Bohrinsel bis zum Rad bei 23 Prozent. „Der Wirkungsgrad beim Elektrofahrzeug ist optimal. Und die Kapazitäten werden sich noch verbessern.“

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Fotos: © badenova, Sandra Meyndt