»Ganz schwierige Diskussion« – Baubürgermeister Martin Haag zwischen Team Vorsicht und Team Attacke Bauen in Baden | 15.02.2023 | Lars Bargmann

Martin Haag Sieht sich aktuell noch nicht unter Druck: Martin Haag vor dem Rahmenplan für Dietenbach.

Freiburg ist im vergangenen Jahr so stark gewachsen wie seit den 70er-Jahren nicht mehr. Laut Melderegister lebten an Silvester 231.807 Menschen in der Stadt. 4270 mehr als ein Jahr zuvor. Wie soll und kann sich Freiburg in den nächsten 20 Jahren entwickeln? Das soll der Flächennutzungsplan (FNP) 2040 aufzeigen. Baubürgermeister Martin Haag im Gespräch mit Chefredakteur Lars Bargmann über die Szenarien der Zukunft Freiburgs.

B&W: Herr Haag, aus der jüngsten Wohnungsmarktanalyse von GEWOS geht hervor, dass Freiburg in einem defensiven Szenario (Bevölkerung wächst um 2,5 %) bis 2040 14.350, in einem offensiveren (+ 8,5 %) 21.030 neue Wohnungen benötigt. Verorten Sie sich eher im Team Vorsicht oder im Team Attacke?

Haag: Ich bin im Team „Vernünftig nach vorne“.

B&W: Die Statistiker lagen in der Vergangenheit oft daneben, wenn sie die Einwohnerzahlen von übermorgen prognostizierten. Gefühlt, weil sie sich auf Bundesprognosen stützten und den besonderen Freiburg-Faktor nicht ausreichend berücksichtigten.

Haag: Ich kann sagen, dass ich an ein Wachstum von 2,5 Prozent nicht glaube. Diese Prognose ist ja jetzt schon wieder durch die Ukraine-Flüchtlinge und ausländische Studierende überschritten. Und ich glaube, dass es gut ist für diese Stadt, wenn es ein moderates Wachstum gibt. In Freiburg wächst die Zahl der Arbeitsplätze, wir haben das Thema Migration, das, selbst wenn der Krieg in der Ukraine vorbei wäre, weiter präsent bleibt, und wir haben auch anders motivierte Zuzüge.

B&W: Der aktuelle (2021) Nachholbedarf liegt bei 4000 Wohnungen, im Offensiv-Szenario allein bis 2030 bei 12.170 Wohnungen. Ist es nicht völlig unrealistisch, dass Freiburg so viel schafft?

Haag: Ich wüsste nicht, wo ich die hernehmen könnte. Ich bin momentan aber auch nicht unter Druck.

B&W: Weil?

Haag: Weil wir mit Kleineschholz ein Neubaugebiet mit 550 Wohnungen vorbereiten, auch in Lehen Im Zinklern sind es 550, wir haben die Höhe in Zähringen mit 250, das Gebiet Hinter den Gärten in Tiengen mit 500 Einheiten, die Niedermatten in Waltershofen mit 300, da kommt einiges. Und dann ja auch noch Dietenbach.

Illustration Stadt und ihre Probleme

Buntes Potpourri: Bei der Aufstellung des FNP 2040 müssen viele Aspekte berücksichtigt werden.

B&W: Für Kleineschholz sollte Ende Juni das Vermarktungskonzept stehen. Die Zinspreise und die Inflation nehmen vor allem die Zielgruppe Baugemeinschaft in die Zange. Rechnen Sie wirklich mit einem schnellen Ausverkauf der Grundstücke?

Haag: Wir stehen mit allen relevanten Akteuren in engem Kontakt, es gibt den Beratungspavillon auf dem Areal, die Gespräche drehen sich aktuell tatsächlich um die Frage, wie die wirtschaftliche Perspektive ist.

B&W: Die ausschließliche Vergabe im Erbbaurecht erschwert die Finanzierung, ein geliehenes Grundstück kann ich nicht beleihen …

Haag: Wir werden nur im Erbbaurecht vergeben und wir brauchen die Einnahmen der Einmalablöse für die Liquidität im Haushalt. Aber wir überlegen momentan schon, was wir als Stadt zur Lösung noch beitragen können. Das wird uns 2023 beschäftigen.

B&W: Die Vermarktung wird also verschoben?

Haag: Wir brauchen ein marktgängiges, besser wirtschaftlich darstellbares Konzept. Wir können keine Grundstücke an den Möglichkeiten der Akteure vorbei anbieten. Dann haben wir ein Problem. Wir wollen ja, dass die bezahlbare Wohnungen bauen. Das Vermarktungskonzept soll Mitte 2023 stehen. Vielleicht haben wir dann ein bisschen mehr Sicherheit in der Kalkulation.

B&W: Wie viele der 550 Wohnungen wird die FSB bauen?

Haag: Das steht noch nicht fest.

B&W: Wetten Sie darauf, dass die drei Freiburger Baugenossenschaften dort bauen?

Haag: Wir hoffen es und sind in gutem Kontakt mit ihnen.

B&W: Das ausgegebene Ziel lautet 1000 Baugenehmigungen pro Jahr. Für 2022 haben Sie 940 angegeben. Aber wie viele Wohnungen werden für deren Bau abgerissen? Wie lautet die saldierte Zahl?

Haag: Das wissen wir nicht. Wir führen eine Genehmigungsstatistik, wir erfassen nicht den Abriss, das macht das statistische Landesamt. Wir erfassen übrigens auch die Wohnfläche nicht. Die wird pro Einheit alt gegen neu sicher viel höher sein.

B&W: Mit welchem Ergebnis rechnen Sie fürs laufende Jahr?

Haag: Ich glaube, dass wir 2023 deutlich unter 1000 landen werden. Das ist aber kein Freiburger Spezifikum, sondern gilt deutschlandweit, nicht zuletzt weil Baukosten und Bauzinsen sehr stark gestiegen sind und die Fördermöglichkeiten nicht Schritt halten. Das Land will die Förderungen überarbeiten, aber auch der Bund muss nachlegen, sonst kann er seine politischen Ziele nicht erreichen. Kommunen können das nicht leisten. Unsere Jobs sind Bauland bringen, akzeptable Genehmigungszeiten und marktfähige Grundstückspreise.

B&W: Der FNP 2040 soll nicht nur die Potenziale für den Wohnungsbau, sondern auch für Gewerbe, für Grün- und Freiflächen aufzeigen. Wo liegen die?

Haag: Das werde ich hier nicht sagen, das ist Teil des Prozesses. Wir brauchen jedenfalls keinen neuen FNP mit Flächen, die nicht funktionieren. Das Problem hatte Freiburg nicht nur mit dem aktuellen FNP 2020.

B&W: Sie wollen es nicht sagen, weil sie Bodenspekulationen verhindern wollen. Was tut das Rathaus denn konkret dagegen? Vorkaufssatzungen vorbereiten?

Haag: Ja, wir müssen jetzt durchaus überlegen, ob wir Vorkaufssatzungen erlassen müssen und wo wir selber Flächen kaufen können. Wir müssen die Liegenschaftspolitik besser mit der Stadtentwicklung verzahnen.

B&W: Kommt der Flugplatz als Flächenpotenzial für gewerbliche Bauten? Bei Gewerbeflächen gibt es kaum Spekulationen …

Haag: Der Flugplatz wird eine ganz schwierige politische Diskussion sein. An dem hängen viele Menschen. Auf der anderen Seite haben wir aber kaum Flächenpotenziale. Zum Glück konnten wir die Cerdia-Fläche erwerben. Wir brauchen aber auf längere Sicht auch wieder neue Gewerbeflächen, wir können das nicht alles dem Umland überlassen und damit unfreiwillig den Pendelverkehr fördern.

B&W: Herr Haag, vielen Dank für dieses Gespräch.

Illustration: © Stadt Freiburg, Foto: © bar