Das zähe Ringen um die Energiewende: Warum Südbadens Experten die Politik kritisieren business im Breisgau | 20.07.2019 | Philip Thomas

Die Pro-Kopf-Emission von Kohlendioxid (CO2) in Deutschland ist mit 9,6 Tonnen knapp doppelt so hoch wie der internationale Durchschnitt (4,8). Um den Wert zu senken, die Erderwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts möglichst unter 1,5 Grad zu halten und den Klimakollaps zu verhindern, wird auch im Breisgau geforscht, gebaut und gestritten. Alle sind sich einig: Die Technologie ist da. Nur die Zeit wird knapp. Andreas Bett vom renommierten Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) fordert einen industriepolitischen Kurswechsel in Europa.

„Die Axt ist am Baum“, sagt Klaus Preiser, Geschäftsführer der Badenova-Tochter Wärmeplus GmbH & Co. KG. „Heute leben 100 Millionen Menschen einen Meter über dem Meeresspiegel. Diese Leute werden sich auf den Weg machen, wenn das Eis schmilzt“, sagt er. Wirklich etwas gegen die Schmelze tun würde die Weltbevölkerung nicht. Dabei seien alle notwendigen Technologien vorhanden. Auf jede einzelne müsste man setzen. Ob Sonne, Wind, Wärme, Wasser oder Biogas: „Es geht nur im Mix.“

Für diese Mischung müsse man Geld in die Hand nehmen. Und das sei derzeit leicht zu kriegen. „Geld kostet nichts. Das Zinsniveau könnte aktuell nicht niedriger sein“, sagt Preiser. Auch deswegen nehme die Badenova gerade Kredite auf, um sich noch stärker im Bereich Erneuerbare Energien zu engagieren: „Das ist ein riesiges Geschäft.“ Und nehme immer mehr Fahrt auf. 2007 ist Preisers Unternehmen mit 20 Leuten gestartet, heute sind es 95. Mit denen erlöste er im vergangenen Jahr vier Millionen Euro Gewinn. „Wir machen damit Geld. Und mit dem Geld machen wir mehr Energiewende.“

Ist die Zukunft grün?: Kohle- und Erdgaskraftwerke müssen schon bald verschwinden, wenn die Erderwärmung noch ­aufgehalten werden soll. Es braucht neue Mobilitätskonzepte, noch mehr Erneuerbare Energien und vor allem aber ein beherztes Handeln der Politik.

Laut Geschäftsbericht hat die Badenova-Gruppe in 2018 mit allen Klimaschutzaktivitäten 907.537 Tonnen CO2 vermieden. So viel, wie jährlich 337.125 Autos in die Atmosphäre blasen. Der Energieversorger speiste 331 Millionen Kilowattstunden (kWh) aus Wärme ins Netz. Das möchte Preiser steigern. Denn im selben Jahr kamen noch fast 16 Millionen kWh aus Erdgas dazu. Ohne ginge es derzeit nicht: „Wenn wir morgen alle Kohle- und Gasanlagen abschalten, haben wir ein Problem.“

Die Umweltminister Sigmar ­Gabriel (SPD) und Peter Altmaier (CDU) könnten Konzerne wie EON und RWE nicht pleitegehen lassen. Trotzdem wünscht sich Preiser mehr Mut aus Berlin und hofft auf die aktuelle politische Lage. „Die Politik geht nach den Wählern, die Europawahl und Fridays for Future haben eine Bremse gelöst.“ Eine CO2-Abgabe könnte den Zug weiter beschleunigen. Preiser plädiert dafür, diese kontinuierlich zu steigern: „Heute 40 Euro pro Tonne und 2050 dann 200.“

Eine Abgabe wird politisch an mehreren Fronten gefordert. Nicht nur Fridays for Future (180 Euro pro Tonne) oder die Grünen (Einstieg mit 40 Euro) machen sich dafür stark. Auch aus Reihen der CDU gibt es Forderungen, den Klimakiller mit einer Abgabe zu belegen. Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) hat Anfang Juli mehrere Gutachten zu den Folgekosten vorgestellt.

Dem zugrunde liegt ein Einstiegspreis von 35 Euro. Eine Mehrbelastung für Bürger soll die Abgabe nicht werden. Über eine Klimaabgabe von 75 bis 100 Euro sollen sie entlastet werden. Wer CO2-sparsam lebt, kann vielleicht sogar Geld sparen. Zumal Familien besonders profitieren sollen, da auch Kinder die Prämie erhalten.

Schon lange aktiv in dem Bereich ist Jörg Lange. Er ist Vorsitzender des bereits im März 2017 gegründeten Freiburger Vereins „CO2-Abgabe“. Der hat mittlerweile mehr als 1000 Mitglieder und Büros in Freiburg und Berlin. „Wir sind in der Politik komplett hintendran“, schimpft der 55-Jährige.

Ist die Zukunft grün?: Kohle- und Erdgaskraftwerke müssen schon bald verschwinden, wenn die Erderwärmung noch ­aufgehalten werden soll. Es braucht neue Mobilitätskonzepte, noch mehr Erneuerbare Energien und vor allem aber ein beherztes Handeln der Politik.

Die Forderung seines Vereins ist ein Einstiegspreis von 40 Euro pro Tonne. In den Folgejahren müsste der Betrag für die verursachergerechte Abgabe dann weiter steigen. Fossile Energieträger wie Kohle, Heizöl, Erdgas oder Kerosin würden damit teurer. Eine Lenkungswirkung kann das bringen, davon ist Lange überzeugt. Länder wie Schweden, die Schweiz oder England hätten es vorgemacht – und es funktioniere. Bestehende Steuern und Abgaben, beispielsweise die EEG-Umlage oder die Stromsteuer, könnten dafür wegfallen. Finanziell schwächere Bürger würde die Abgabe nicht belasten, erklärt Lange. Da müsse man bei der Entfernungspauschale ansetzen. Wer weniger Geld habe, könne stärker unterstützt werden. „Freizeitfahrer würden die Abgabe spüren“, ist er sicher. Und der Kohleausstieg komme von alleine, denn Kohle sei bei einer Abgabe nicht länger rentabel. Nach Vereinsberechnungen wären die letzten Meiler 2030 vom Netz.

Und das europäische Ausland? „Viele ermuntern uns“, betont Lange. Nationale Initiativen würden internationale Vereinbarungen beschleunigen. Man könne so Anreize setzen, anders zu investieren. Und das am besten bald: Denn die Energiewende werde jetzt gestaltet, nicht in zehn Jahren. Unternehmer bräuchten Planungssicherheit.

Die braucht auch die Ökostromgruppe Freiburg. Seit 1986 hat sie mit Partnern rund 200 Anlagen für Erneuerbare Energien in Südbaden gebaut. Darunter sieben Wasserkraftwerke, 38 Windräder und mehr als 150 Photovoltaik-Anlagen. Zusammen produzieren sie 140 Millionen kWh Strom. „Das entspricht etwa dem Gesamtverbrauch von Emmendingen“, sagt Geschäftsführer Andreas Markowsky. Derzeit habe die Gruppe elf Projekte in Arbeit, alle im Windbereich. Unter anderem auf dem Taubenkopf (wir berichteten), wo sich aber erneut auch heftiger Widerstand formiert.

Bei Wind und Sonne seien die Potenziale längst nicht ausgeschöpft – und am Ende höher als der aktuelle Stromverbrauch. „Alte Anlagen leisten zwei Millionen Kilowattstunden, moderne zehn“, sagt der 67-Jährige. Nach dem neuen Windatlas der Landesregierung kommt für den Bau von Windkraftanlagen nun doppelt so viel Fläche infrage wie bisher gedacht. Insgesamt etwas mehr als 220.000 Hektar in Baden-Württemberg – das sind 320.000 Fußballfelder. Die beiden Energiequellen seien zudem eine starke Kombination: „Im Sommer und tagsüber gibt es mehr Sonne, im Winter und nachts mehr Wind.“ Die Zahlen vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie bestätigen Wind- und Sonnenenergie als die wichtigsten erneuerbaren Energieträger. Im ersten Halbjahr 2019 produzierten 1,6 Millionen Solaranlagen 24 Terawattstunden. Windenergie ist das Zugpferd und kommt im gleichen Zeitraum ohne Räder jenseits der Küste auf 55,8 Terawattstunden.

2500 Bürger haben sich bislang an den Projekten der ­Ökostromgruppe beteiligt. „Wir wären schon viel weiter, wenn die Energiewende nicht immer wieder auf allen Ebenen massiv ausgebremst würde.“ Schuld sei in erster Linie die Politik. Die vergangenen Bundesregierungen, inklusive des aktuellen Kabinetts, hätten versucht, die Energiewende zugunsten der Kohle-Indus-trie zu bremsen. „Auf Landesebene sind wir willkommen“, sagt ­Markowsky. 100 Windräder seien dort das Ziel. Aktuell sind es nur zwei Dutzend.

„In Deutschland ist der Windausbau stark rückläufig“, so Markowsky. Wurden auf deutschem Festland 2016 noch 1624 und 2017 insgesamt 1792 neue Anlagen errichtet, waren es nach dem Bundesverband WindEnergie im vergangenen Jahr nur noch 743. Schuld daran seien die geringen Genehmigungszahlen. Nicht einmal die Hälfte der möglichen Förderkontingente der Bundesnetzagentur werden angezapft. „Das Verfahren ist absurd“, kritisiert Markowsky, der auf eine Genehmigung im Schnitt vier Jahre wartet. Auch der Artenschutz macht dem Geschäftsführer zu schaffen. Zwar würden vereinzelt Tiere an den Anlagen sterben, die Bestände insgesamt würden aber nicht sinken.

„Die Vorschriften sind exorbitant gestiegen“, bestätigt auch Sebastian Sladek, Vorstandsmitglied der Elektrizitätswerke Schönau. Mit 7300 Mitgliedern ist sie die größte Energiegenossenschaft in Baden-Württemberg. Es werde immer schwieriger, Projekte zu realisieren. So brauche es mittlerweile bis zu 15 Jahre, um alle Genehmigungen für eine Wasserkraftanlage zu bekommen. „Das gibt keine Rendite mehr“, sagt der 41-Jährige, der für 2017 einen Gewinn von 4,5 Millionen Euro verbucht hat.

Wünscht sich bei der Energiewende mehr Gemeinschaft: Sebastian Sladek von der EWS Schönau.

Laut Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) werden in Deutschland aktuell 600 Terawattstunden (600 Milliarden kWh) Strom verbraucht. Markowsky schätzt, dass diese Zahl durch Einsparungen und technischen Fortschritt bis 2030 zwar auf 540 gesenkt werde. Durch den steigenden Bedarf bei der Elektromobilität und der Wärme werde der Verbrauch aber letztendlich auf 800 Terawattstunden ansteigen. Er betont: „Wenn Öl und Gas verdrängt werden, wird der Stromverbrauch erheblich zunehmen.“

Wichtig sei, Strom lokal zu erzeugen. „Produktionskosten für Energie sind oftmals geringer als die Transportkosten“, sagt Markowsky. Die Produktion einer Kilowattstunde am Taubenkopf koste sechs, der Transport nach Freiburg vier Cent. Eine Anlage in Bremen produziere zwar für vier Cent, der Transport in den Süden koste aber acht und somit insgesamt zwei Cent mehr. Mit sechs Energiegenossenschaften baut Markowsky gerade drei Windräder bei Emmendingen. Eine Anlage koste inklusive Genehmigungen und Anschluss rund 5,5 Millionen Euro. Für Markowsky gut investiertes Geld: „Die Energiewende ist ein großer volkswirtschaftlicher Vorteil.“ Die Technik werde immer preiswerter. „Neue Gas-, Kohle- und Atomkraftwerke produzieren teurer als Erneuerbare Energien.“ Das beschlossene Kernkraftwerk Hinkley Point C im ­Südwesten von England verlange beispielsweise 11,8 Cent pro Kilowattstunde. Garantiert über 30 Jahre und mit Inflationsausgleich. Markowsky: „Wir erhalten hier sechs Cent für 20 Jahre – ohne Inflationsausgleich.“ Und dennoch sagt Markowsky: „Wir werden gewinnen.“ Auch an anderen Stellschrauben in der Region wird gedreht: Die Windstromproduktion des Bürgerwindrades der Stadtwerke Emmendingen vermeidet jährlich rund 4000 Tonnen CO2. Zudem produzieren zehn Bürger-Solarkraftwerke per anno 430.000 Kilowattstunden Ökostrom. Das entspricht etwa 285 Tonnen „gespartem“ CO2. Ein Wert, der durch den geringen Preis von nutzbar gemachter Sonnenenergie noch steigen soll.

Freut sich über Fridays for Future: Klaus Preiser, Geschäftsführer Wärmeplus der Badenova.

„Die Photovoltaik ist heute die kostengünstigste Stromquelle überhaupt“, sagt Andreas Bett, Institutsleiter am ISE in Freiburg. Nicht nur in sonnigeren Regionen, auch in Deutschland könne man heute für weniger als fünf Cent pro Kilowattstunde Solarstrom erzeugen. Ob der Massenproduktion wurden die Kosten für Solarmodule um 90 Prozent gesenkt.

„Das ist eine rasante Entwicklung, die aber noch nicht am Ende ist“, sagt Bett. Photovoltaik sei eine noch junge Technologie. Bei Solarzellen habe man bereits einen Wirkungsgrad von einem Drittel erzielen können, um Sonnenlicht in elektrische Energie zu wandeln. „Und das ist noch nicht das Ende der Fahnenstange“, so der Forscher. „Um die Energiewende mit bis zu 100 Prozent CO2-Freiheit in allen Sektoren zu realisieren, müssen wir mehr als 10 Mal so viel Photovoltaik installieren wie wir heute haben.“ Das sei ohne Probleme machbar. Allerdings müsse man dazu nicht nur auf Dächern und Freiflächen bauen, sondern Solarmodule auch an den Fassaden bestehender Gebäude montieren.

Zwar habe man in Deutschland eine weltweite Spitzenstellung, allerdings gebe es hierzulande sowie in Europa keine Hersteller von Solarzellen. Die Technologie werde zwar noch hier entwickelt, die produzierenden Firmen seien allerdings in Asien. „Es bedarf industriepolitischer Entscheidungen, konkret einer Wiederansiedlung einer Produktion in Europa, um uns nicht für alle Zukunft bei unserer Energieversorgung ähnlich abhängig zu machen wie heute von Öl und Gas“, fordert Bett.

Fordert Reformen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes: Andreas Markowsky von der Ökostromgruppe.

„Elektrizität ist nur ein Schlachtfeld“, sagt Sladek. „Wir haben erst zehn Prozent geschafft.“ Die nächsten zehn Jahre seien entscheidend. „Wir haben die Energiewende zu lange ohne Plan gemacht“, sagt sein Mitstreiter Preiser. Das Deutsche Umweltministerium wurde 1986 gegründet – fünf Wochen nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl. Sladek scherzt: „Die Energiewende scheint nur in Gau-Einheiten zu funktionieren.“

 

 

 

 

 

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Fotos: © Albert Schmidt/EWS, badenova, Privat