Des Kanzlers klare Kante: Spatenstich für Dietenbach „ein guter Tag für Deutschland“ business im Breisgau | 14.03.2024 | Lars Bargmann

Eine visuelle Darstellung des Dietenbachs Visuell schon mal gebaut: Der erste Bauabschnitt im Dietenbach geht 2025 in die Vermarktung. Es wird spannend, wie groß das Interesse der Bauherren dann ist.

Ein Sandhaufen, fünf Schaufeln mit Namensschildchen und ein Riesenbanner im Hintergrund: Am 27. Februar feierte Freiburg den Spatenstich für eines der größten Wohnungsbauprojekte in der Repu­blik, für den neuen Stadtteil Dietenbach. Bundeskanzler Olaf Scholz war dabei. Und sagte: „Wir brauchen noch viel mehr Dietenbachs in Deutschland.“

„Abwarten ist keine Alternative“, hatte Martin Horn in seiner Rede erklärt. Dietenbach werde ein ökologisches Vorbild, modern, sozial und bezahlbar. Freiburgs Oberbürgermeister nutzte die Anwesenheit des Kanzlers und der baden-württembergischen Ministerin für Landesentwicklung und Wohnen Nicole Razavi, um kräftige Unterstützung aus Berlin und Stuttgart einzufordern: „Wir brauchen 200 Millionen Euro Förderung.“ Ohne Förderung, da gibt es keine zwei Meinungen, wird der Stadtteil nicht bezahlbar. Ob er es mit Förderung werden kann, ist unklar. Horn prägte auch den Slogan des Tages: „Weniger meckern, mehr machen.“

Razavi sieht ein „echtes Quartier der Zukunft“ voraus, einen „Ort der Pluralität“, der in die ganze Region ausstrahlt. Aber: „Um die Lust am Bauen wieder zu entfachen, braucht es verlässliche Förderprogramme und Energiestandards, die Sinn machen.“

Scholz verschonte die 400 Festgäste mit Polit-Phrasen. Deutschland brauche 20 Dietenbachs. Mit den Argumenten von Neubaukritikern wie Innenverdichtung, Aufstockungen oder Umsiedlungen von Menschen aus großen in kleinere Wohnungen („Da wünsche ich allen sehr viel Spaß“) sollte man sich gar nicht weiter auseinandersetzen, weil es nur von der Aufgabe abhalte, neue Wohnungen zu bauen.

Der Kanzler kritisierte detailliert die „unglaublich vielen Vorschriften, die man ändern und abschaffen kann“. Ist es vernünftig, bei Gebäudeaufstockungen neue Garagen oder Fahrstühle zu fordern? „Ich sage Nein.“ Mit vielen dieser bürokratischen Regelungen in Bund und Ländern müsse man „Schluss machen“, damit mehr gebaut, einfacher gebaut und auch billiger gebaut werden kann.

Das Besondere an Dietenbach sei, dass im Bürgerentscheid eine Mehrheit für den neuen Stadtteil votiert hat: „Das zeigt, dass unsere Demokratie nicht nur von denjenigen getragen wird, die immer auf ihre eigenen Interessen schauen, sondern von einem Gemeinschaftsverständnis, von einem Verständnis für künftige Generationen.“ Darum sei der 27. Februar ein guter Tag für Deutschland: „Nicht meckern, sondern machen.“

Auch wenn es in Freiburg nach wie vor juristische Auseinandersetzungen um einen Teil des Langmattenwäldchens, um die optimale Trasse für das Verlegen einer Erdgashochdruckleitung gibt: Der erste Bauabschnitt – er hört auf den Namen Am Frohnholz – mit rund 1600 Wohnungen wird Fakten schaffen. „Dass heute sogar der Bundeskanzler dabei war, zeigt, dass wir bundesweit eine Vorreiterrolle einnehmen. Es ist kein Stadtteil wie jeder andere und strahlt über Freiburg hinaus. Wir wollen soziale und ökologische Themen unter einen Hut bringen und zeigen, wie die Stadt der Zukunft aussehen kann“, so Baubürgermeister Martin Haag.

Zeigen, wie die Stadt der Zukunft aussehen kann

Nicht vor die zahllosen Mikrofone und TV-Kameras trat einer, der die meiste Arbeit mit dem neuen Stadtteil hat: Projektleiter Rüdiger Engel. Als er den Job Anfang 2018 antrat, hätte er sich nicht vorstellen können, dass er mal dem Bundeskanzler zum Spatenstich die Hand schüttelt.

Ganz am Anfang hatte Engel unserer Redaktion mal gesagt, dass er vielleicht 2024 die ersten Bewohner per Handschlag begrüßen könnte. Daraus wird nichts. „Dietenbach sieht den dort wohnenden Menschen als Maßstab und nimmt Rücksicht auf seine Umwelt. Unser Dietenbach ist sozial, ökologisch, lebenswert“, sagt Engel, der Ende des Jahres in den Ruhestand gehen wird. Wie Engel ist auch sein Nachfolger Mario Pfau, der am 1. April zur Projektgruppe stoßen wird, geübt im juristischen Tauziehen. Das muss er auch sein, denn die aktuellen Verfahren werden nicht die letzten sein.

Der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof in Mannheim (VGH) hatte am 6. Februar die Klage des Freiburger Umweltverbands Plan B gegen den Gewässerausbau des namensgebenden Dietenbachs zurückgewiesen und weitere Rechtsmittel nicht zugelassen. Kurz nach dem Spatenstich hatte der VGH dann die aufschiebende Wirkung einer Klage des NABU bestätigt, wonach ein Teilstück des Langmattenwäldchens noch nicht gerodet werden darf.

Ein Bild von Kanzler Olaf Scholz und Oberbürgermeister Martin Horn im Festzelt.

Kanzler und OB: Olaf Scholz und Martin Horn im Festzelt. Draußen demonstrierten Landwirte und Dietenbach-Gegner.

Der NABU hatte eine alternative Trasse für die Erdgasleitung unter dem geplanten Sportplatz gefordert, weil dafür keine Bäume gefällt werden müssten. Das Rathaus will die Leitung ­neben der Tramtrasse unter den Rad- und Fußwegen verbuddeln. Ausgang offen.

Der Verein Ecotrinova stellt dagegen die gesamte Tramtrasse durchs Wäldchen in Frage, da das faktisch Vogelschutzgebiet sei. Auch das RegioBündnis pro Landwirtschaft, Natur & ökosoziales Wohnen trommelt weiter gegen den neuen Stadtteil und hatte Scholz schriftlich sogar gebeten, den Spatenstich abzusagen.

Dietenbach habe mit „null Wohnungen bis 2028“ die wichtigste Vorgabe der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme verfehlt, damit sei das Vorhaben nach dem Baugesetzbuch „rechtlich hinfällig“. Das Bündnis bat den Kanzler, die Stadtverwaltung und die Ratsmehrheit „von den Dietenbach-Illusionen zu befreien“. Scholz kam und zeigte klare Kante: „Nicht meckern, sondern machen.“

Am Wäldchen wird sich Wohl und Wehe nicht entscheiden

Das Aktionsbündnis „Hände weg vom Dietenbach“ hatte am Tag des Spatenstichs eine Demonstration veranstaltet. Und mit einer roten Linie am Langmattenwäldchen darauf hingewiesen, dass der Wald nicht gerodet werden darf. Eine entsprechende Petition hatten bis zum Redaktionsschluss 4685 Menschen unterzeichnet. 3252 aus Freiburg.

Am Wäldchen indes wird sich Wohl und Wehe des neuen Stadtteils in Freiburg nicht entscheiden. Sondern am Wirtschaftlichen. Egal ob Horn, Haag, Engel oder die Mehrheit im Gemeinderat: Sie alle ordnen die Attribute sozial – mit 3500 öffentlich geförderten Wohnungen, in denen die Miete ein Drittel unter dem Mietspiegel liegt –, ökologisch vorbildlich, klimaneutral, architektonisch hochwertig, inklusiv und bezahlbar wie Brüder und Schwestern in eine Familie ein.

Ein Bild des Spatenstichs in Dietenbach mit Martin Haag, Martin Horn, Olaf Scholz, Nicole Razavi und Bärbel Schäfer

Beim Synchronspateln noch nicht olympisch (v. l.): Martin Haag, Martin Horn, Olaf Scholz, Nicole Razavi und Bärbel Schäfer

Bezahlbar aber steht auf der anderen Seite der Anforderungen, bezahlbar wird Dietenbach nur, wenn die anderen Familienmitglieder kräftige Zugeständnisse machen. Zumal die Grundstücke alles andere als günstig sind. Die Nachfrage nach diesen Grundstücken am Frohnholz wird im kommenden Jahr weisen, an wie vielen Stellschrauben noch zu drehen ist.

Dass es im Gemeinderat immer noch Stimmen gibt, die den kompletten Stadtteil nur im Erbbaurecht vergeben wollen, ist dabei als Ausgangslage gelinde formuliert bedenklich. Geliehene Grundstücke können Häuslebauer nicht beleihen. Dabei geht es gar zuvorderst nicht um die Frage, um wie viel die Finanzierung schwerer wird, sondern um die, ob sie überhaupt klappen kann.

Der Erbbauwunsch ist politisch verständlich, aber auf dem Bauplatz ein zusätzliches Hindernis auf dem Weg zum bezahlbaren Wohnen. Beim Neubaugebiet Kleineschholz hat das Rathaus den Wunsch bereits an die Wirklichkeit angepasst. Und Kleineschholz wird oft als Blaupause für Dietenbach gesehen.

Illustration: © LINK 3d, Fotos: © bar