Greensill und die Folgen: Nach der Greensill-Pleite bangt Bötzingen um Millionen business im Breisgau | 15.05.2021 | Tanja Senn

Gemeinde Bötzingen mit Weinberg Der beschauliche Schein trügt: „Die Verantwortlichen haben das Gemeinwesen auf die schrecklichste Art und Weise betrogen“, sagt Kämmerer Gervas Dufner.

In Bötzingen fehlen knapp 40 Prozent Kohle in der Kasse. Ob die Kaiserstuhl-Gemeinde ihr Geld, das sie bei der Pleitebank Greensill angelegt hat, jemals wiedersehen wird, ist offen. Sicher ist nur: Noch einmal wollen die Verantwortlichen solch eine Situation nicht erleben.

13,2 Millionen Euro. Das sind für eine rund 5300 Einwohner zählende Gemeinde wahrlich keine Peanuts. Dass dieses Geld – eventuell für immer – weg ist, schmerzt. Wie sehr, sieht man Kämmerer Gervas Dufner an, als er mit hängenden Schultern bei einer Einwohnerversammlung beklagt: „Die Verantwortlichen der Greensill Bank haben das Gemeinwesen, also uns, auf die schrecklichste Art und Weise betrogen.“

Da hilft es auch nicht, dass Bötzingen mit seinem Schicksal nicht alleine dasteht. Allein in Baden-Württemberg haben neun Kommunen Geld bei der Pleitebank angelegt. Meist waren die Beträge deutlich niedriger als in Bötzingen. So sind in Neckarsulm fünf Millionen Euro weg, Friedrichshafen, Hüfingen, Mengen und Heidenheim haben jeweils drei Millionen Euro verloren, Bad Dürrheim zwei Millionen. Nur die Gemeinde Weissach im Landkreis Böblingen hatte mit 16 Millionen Euro ebenfalls eine zweistellige Millionensumme investiert.

Damit kommt das Ländle noch vergleichsweise gut weg. Deutschlandweit sollen mindestens 343 Millionen Euro aus 38 Kommunen und dem Bundesland Thüringen geflossen sein. Glück im Unglück hatten dabei die Gemeinden, die ihr Geld schon vor 2017 angelegt haben. Bis dahin gab es noch einen Einlagensicherungsfonds des Bundes, der nun für die Verluste aufkommt.

Den anderen Kommunen bleibt nichts anderes übrig, als auf das Insolvenzverfahren zu warten, das sich aber über die nächsten vier bis fünf Jahre strecken könnte. Zudem bleibt der Rechtsweg. Dabei scheint es, als würden die meisten Gemeinden verzweifelt in alle Richtungen schlagen. Bötzingen hat sich dafür mit den anderen betroffenen Kommunen des Landes zusammengetan und zusätzlich den Freiburger Rechtsanwalt Thomas Dehlfing, Spezialist für Bank- und Kapitalmarktrecht, beauftragt. 

Die Anwälte prüfen nun, wer haftbar gemacht werden kann: die Verantwortlichen bei der Bank? Der Wirtschaftsprüfer? Die Finanzaufsicht Bafin, die bereits Anfang 2020 von Unregelmäßigkeiten bei der Bank gewusst haben soll? Oder die Finanzvermittler, die Bötzingen zu der Anlage geraten haben? Noch gibt es dabei keine Ergebnisse: „Wir fordern das Geld zurück, aber ob das gelingt, ist noch offen“, so Dehlfing.

Bleibt die Frage, inwiefern die Gemeinden selbst für ihre Misere verantwortlich sind. Deren Kämmerer und Bürgermeister müssen sich aktuell ein dickes Fell wachsen lassen. Presse-Überschriften wie „Die Zocker-Kommunen waren gewarnt“ tragen nicht dazu bei, den Unmut der Bürger zu dämpfen. In der Gemeinde sei die Stimmung „unterschiedlich“, berichtet Bürgermeister Dieter Schneckenburger (CDU). Die meisten Bötzinger hätten Verständnis für die Lage.

Sie bekommen das Loch in der Gemeindekasse – betroffen sind 37 Prozent der Finanzmittel – aktuell noch nicht zu spüren. Für 2021 seien alle Projekte gesichert. Ob aber mittelfristig alle angedachten Planungen durchgeführt werden können, wolle man Ende des Jahres im Gemeinderat besprechen, so Schneckenburger. Das hänge auch davon ab, wie sich die wirtschaftliche Lage und dadurch die Einnahmen im weiteren Lauf der Corona-Krise entwickeln.

»Keine Zinsjagd veranstaltet«

Für Bötzingen war schnell klar, dass unabhängig geprüft werden muss, ob die Verwaltung alle rechtlichen Vorgaben eingehalten hat. Damit befasst sich nun die Kommunalaufsicht des Landkreises Breisgau-Hochschwarzwald. Hier will man noch nicht über erste Ergebnisse sprechen, doch Schneckenburger ist zuversichtlich, dass die Prüfung für seine Gemeinde positiv ausfällt. „Wir haben keine Zinsjagd veranstaltet“, beteuert er.

Bei der Greensill habe es Zinsen zwischen 0,02 und 0,75 Prozent je nach Laufzeit und Anlagezeitpunkt gegeben, erläutert Dufner. Auch andere Privatbanken hätten ähnliche Zinsen geboten – dabei aber kein oder ein schlechteres Rating gehabt. Er zeigt sich zuversichtlich, dass er trotz der „täglichen Arbeitslast“ nichts übersehen hat. „Vor der kriminellen Energie der Bankakteure ist weder ein ordentlich arbeitender Kämmerer noch ein Geschäftsmann geschützt.“

Was Bötzingen nun schmerzlich lernen musste, haben andere Städte schon hinter sich. So hatte etwa Freiburg vor dem Crash der US-Investmentbank Lehman Brothers dort 47 Millionen Euro angelegt. Sie hatte Glück: Damals war die Anlage noch durch den Einlagensicherungsfonds abgesichert. Ohne diesen, betont der heutige Finanzbürgermeister Stefan Breiter, „geht die Sicherheit vor.“ Die Greensill-Pleite hätte ihm nicht passieren können. Freiburg passt die städtischen Anlagerichtlinien regelmäßig an, heute fließt das Geld nur noch zu Sparkassen, Volksbanken und Genossenschaftsbanken.

Auch Bötzingen hat diese Lektion gelernt: Der Gemeinderat hat nun beschlossen, nur noch bei Banken anzulegen, die von der Einlagensicherung gedeckt sind. Entsprechende Richtlinien arbeitet die Verwaltung nun aus. Schneckenburger ist froh über diesen Schritt: „Nach diesen Erfahrungen ist unser Vertrauen in Privatbanken weg.“

Info

Im vergangenen März hat die Bafin die Bremer Tochter des britisch-australischen Konglomerats Greensill wegen drohender Überschuldung geschlossen. Gleichzeitig hat die Behörde Strafanzeige gestellt, die Staatsanwaltschaft ermittelt. Vorgeworfen wird dem Kreditinstitut Bilanzfälschung. Zudem soll die Bank Kreditversicherungen gefälscht haben, auf denen das ehemalige A-Rating der Agentur Scope maßgeblich gefußt hat. Beim Amtsgericht Bremen wurde nun das Insolvenzverfahren eröffnet.

Foto: © Gemeinde Bötzingen, Schwarzwald Tourismus