»Viel Umdrehung, aber kein Wind« – bib-Interview mit dem HWK-Präsidenten Johannes Ullrich business im Breisgau | 17.11.2023 | Lars Bargmann
Tritt 2024 noch einmal an: Johannes UllrichJohannes Ullrich ist seit 2014 Präsident der Handwerkskammer Freiburg. Und er wird, das kündigt er exklusiv im Wirtschaftsmagazin business im Breisgau an, auch im kommenden Jahr für eine weitere Amtsperiode, es wäre seine dritte, kandidieren. Im Gespräch mit bib-Chefredakteur Lars Bargmann spricht der 61-Jährige über die Krise am Wohnungsmarkt und fordert von der Politik endlich konsequentes Handeln.
bib: Herr Ullrich, das Statistische Landesamt meldete unlängst, dass der Umsatz im Bauhauptgewerbe von Januar bis einschließlich Juli mit 8,8 Milliarden Euro fast 600 Millionen über dem Vorjahreszeitraum lag. Wieso sagten Sie bei der Bekanntgabe der jüngsten Konjunkturumfrage: „Das Bauhandwerk bleibt unser großes Sorgenkind“?
Ullrich: Aus unserer Konjunkturumfrage Anfang Oktober geht deutlich hervor, dass das Bauhandwerk nicht mehr zurück zu alter Stärke findet. Die Betriebe werten die aktuelle Geschäftslage noch negativer als vor einem Jahr. Und die Geschäftserwartungen liegen bei minus 11,8 Punkten und somit weit von den guten Werten der anderen Handwerksbranchen entfernt. Mittlerweile sorgt die schlechte Stimmung auch bei den nachgelagerten Ausbaugewerken für deutliche Sorgenfalten. Auch hier ist der Erwartungssaldo nun deutlich negativ.
bib: Der Hauptverdächtige bei der Ursachenforschung ist die EZB?
Ullrich: Ja. Vor allem die hohen Bauzinsen, aber auch verteuerte Materialien sorgen vor allem im privaten Wohnungsbau für massive Auftragsrückgänge. Die seit Monaten stetig sinkenden Baugenehmigungen sprechen eine deutliche Sprache. Weniger Baugenehmigungen, weniger Baustellen, weniger Aufträge.
bib: Im Jahrzehnt des billigen Geldes wurden viele teure Immobilien für mittlere Einkommen finanziert …
Ullrich: … was durchaus ein weiteres Problem ist. Da hat es Finanzierungen gegeben, die es eigentlich nicht hätte geben sollen. Längst nicht alle Haushalte werden die Anschlussfinanzierungen stemmen können.
bib: Die Zahl aller Handwerksbetriebe, die im Vergleich zum Vorjahr einen gestiegenen Auftragseingang meldeten, hat sich verdoppelt. Der Bau ist der große Trendbrecher?
Ullrich: Anders als bei anderen Branchen, vom Bäcker über den Augenoptiker und den Elektriker bis zum Zweiradmechatroniker, wo die Zeichen auf Erholung stehen, hat zwar der Bau jetzt noch zu tun, aber alle Indikatoren signalisieren: Wir steuern mit zunehmender Geschwindigkeit auf eine massive Krise in der Baubranche zu. Die Auftragslage geht spürbar zurück. Wenn sich das fortsetzt, droht ein Personal- und Kapazitätsabbau, der sich nicht wieder umkehren lässt.
bib: Und der bei besserer Konjunktur für weitere Probleme sorgt?
Ullrich: Das wird uns langfristig schmerzhaft auf die Füße fallen, wenn es darum geht, genügend handwerkliche Baufachkräfte für den Wohnungs- und Infrastrukturausbau oder energetische Gebäudesanierungen zu haben. Was wiederum gravierende Auswirkungen auf die großen gesellschaftlichen Aufgaben wie den Klimaschutz und die Energiewende haben wird.
bib: Die Zahl der Baugenehmigungen für neue Wohnungen ist auf rasanter Talfahrt. Im vergangenen Juli stolze 32 Prozent unter dem Juli 2022. Medien schreiben über die „tiefste Krise in der Geschichte der Bundesrepublik“. Übertrieben?
Ullrich: Keineswegs. Der August war bereits der elfte Monat in Folge mit zweistelligen rückläufigen Genehmigungszahlen, ein neuer Negativrekord. Allein zwischen Januar und Juli sank die Gesamtzahl der Baugenehmigungen um mehr als 6000 auf 19.436. Die Wohnungsnot wird sich weiter zuspitzen.
bib: Beim jüngsten Wohnungsgipfel hat die Regierung einen 14-Punkte-Plan vorgelegt. Mehr als nur heiße Luft?
Ullrich: Die Richtung stimmt, der Plan greift aber in vielen Bereich noch zu kurz. Um Betrieben und Kunden für die kommenden Monate Sicherheit zu geben, müssen weitere Schritte erfolgen. Die Rücknahme des EH-40-Standards ist ein positives Signal für den Neubau. Allerdings muss noch konkretisiert werden, ob der EH-55-Standard zukünftig auch für die KfW-Förderung gilt. Denn das ist erforderlich, um das kleinteilige Bauen und den Eigentumserwerb zu stärken. Auch die attraktivere Ausgestaltung der KfW-Neubauprogramme ist von großer Bedeutung. Mit den neuen Obergrenzen können mehr Familien von den Fördermitteln profitieren. Die Anhebung der Kredithöchstsätze um lediglich 30.000 Euro ist aber noch zu zögerlich. Vor allem aber steht nirgendwo geschrieben, welches Ministerium was macht, wer zuständig ist und vor allem ab wann.
bib: Hat die Regierung das Handwerk in ihren Plan einbezogen?
Ullrich: Ich sage es mal so: Nach der Weltfinanzkrise 2008/2009 hat die damalige Regierung vieles richtig gemacht. Pakete geschnürt, die direkt umsetzbar waren. Die jetzige Politik macht viele Gesetze, zieht sie aber nicht durch. Da ist viel Umdrehung, aber kein Wind. Zudem kann man die Kommunikation mit der ministeriellen Ebene durchaus als schlecht bezeichnen. Da kommt kurz vor Ostern ein Gesetz, das man kurz nach Ostern kommentiert haben soll. Und die Kompetenz der Mitarbeiter in den Ministerien ist leider nicht besser geworden.
bib: Und bei der finanziellen Ausstattung der 14 Punkte kann man auch nicht gerade von einem Wumms sprechen?
Ullrich: Das reicht natürlich nicht. Da muss mehr passieren, sonst machen wir in einem Jahr ein Interview darüber, wie viele Bauunternehmer pleite sind.
bib: Bauen soll einfacher werden, wird quasi täglich auf der politischen Bühne erklärt. Glauben Sie dran?
Ullrich: Die bisherigen Gesetze und Entwürfe der aktuellen Bundesregierung haben nicht gerade die Hoffnung gesteigert, dass einfachere und entschlacktere Vorgaben zu erwarten sind. Bei der Kostenreduzierung wurden jetzt immerhin zentrale Forderungen des Handwerks aufgegriffen: Der „Gebäudetyp E“ ermöglicht es Bauherren und Bauunternehmen nun, rechtssicher und einvernehmlich auf Baunormen zu verzichten, die über den gesetzlichen Schutzvorschriften liegen. Hier müssen das Bundesjustizministerium und die Länder jetzt schnell in die Umsetzung kommen. Die Spielräume müssen konsequent genutzt werden – vom Bund, von den Ländern und den Kommunen. 1996 hatten wir 5000 Bauvorschriften, heute haben wir 22.000.
bib: Was könnte der Gesetzgeber tun, der selbst für mehr als ein Drittel der hohen Baukosten verantwortlich ist, um die Krise im Wohnungsbau zu meistern?
Ullrich: Am wichtigsten ist eine zeitnahe Umsetzung der Maßnahmen, damit sie noch 2024 wirksam werden, und ein konsequentes Mitwirken der Länder. Wichtig ist eine an die Zinssteigerungen angepasste und stabile Förderkulisse, die gezielte Unterstützung der Eigentumsbildung, bessere Abschreibungsmöglichkeiten, eine Abkehr von überschießenden Standards und eine konsequente Beschleunigung von Planungs- und Bauprozessen.
bib: Würde ein Absenken der Mehrwertsteuer etwas bringen?
Ullrich: Grundsätzlich gibt es diverse andere Kosten, die schneller und sinnvoller gesenkt werden könnten – etwa die Grunderwerbssteuer, vor allem im Ersterwerb.
bib: Man kann die hohen Bauzinsen an der EZB festmachen, die hohen Baupreise aber nicht.
Ullrich: Sicher, da gibt es viele Faktoren. Nach der Pandemie waren wir gerade wieder auf dem Weg, dann kam der Ukraine-Krieg. Da hat man erst mal gesehen, was alles von dort kommt, Stahl, Holz, OSB-Platten. Und dann haben sich in die gerissenen Lieferketten auch noch Marktteilnehmer gesetzt …
bib: … Trittbrettfahrer, die sich kräftig die Taschen vollmachen …
Ullrich: … das ist unsere Marktwirtschaft. Wo eine hohe Nachfrage herrscht, wird an hohen Preisen mitverdient.
bib: Wenn der Wohnungsbau kriselt, sinkt die Nachfrage, dann rutschen die Preise wieder nach unten?
Ullrich: Das bleibt abzuwarten. Wir haben ja parallel auch Lohn- und Tarifsteigerungen.
bib: Wie wirkt das auf den Handwerkskammerpräsidenten, wenn bei einem neuen Bauvorhaben in Günterstal Quadratmeterpreise ab 12.600 Euro aufgerufen werden?
Ullrich: Ich frage mich: Wie weit geht es denn noch? Das ist wirklich nicht gut. Beim Handwerker landet die Summe jedenfalls nicht.
bib: Herr Ullrich, vielen Dank für dieses Gespräch.
Foto und Grafik: © hwk Freiburg