Lichtscheue Sprösslinge: Anbau von Chicorée Haus & Garten | 23.01.2023 | Dorothea Wenninger

Chicorée werden geerntet Im Gewächshaus mit Fußbodenheizung und Folienabdeckung in Erde gesteckt, treiben die Wurzeln aus und bilden kräftige Sprossen.

Chicorée ist ein besonderes Wintergemüse, denn er gelangt nicht direkt vom Acker auf den Teller. Das Gemüse nimmt einen Umweg über einen dunklen Ort, wo der Spross sich Zeit lässt, bevor er das Licht der Welt erblickt. Der komplizierte Anbau ist megaspannend.

Schon der Akzent verrät’s: Chicorée kommt aus einem französischsprachigen Land. Aus Belgien soll die Züchtung stammen und von dort ihren Siegeszug in die Küche angetreten haben. In der kalten Jahreszeit, wenn die Erde kaum etwas anderes hergab und der Schnee selbst den Feldsalat begrub, waren die Sprossen als Wintersalat heiß begehrt. Als mehr und mehr Salatsorten aus dem Gewächshaus auf den Markt kamen, geriet der Chicorée aufgrund seiner natürlichen Bitterkeit immer mehr ins Hintertreffen. Deshalb hat man im konventionellen Anbau inzwischen das Bittere herausgezüchtet. Ob das aber eine gute Idee war – dazu später mehr.

Chicorée gehört zu den Zichorien, deren Stammpflanze die Wegwarte ist. Wie Radicchio und Zuckerhut ist er eine Salat- oder Treibzichorie (Cichorium intybus var. foliosum). Die nah verwandte Wurzelzichorie kam vor allem in Notzeiten aufgrund ihres bitteren Geschmacks als Kaffeeersatz zum Einsatz – geröstet und gemahlen. Auch heute enthalten manche Getreidekaffeemischungen noch Zichorien-Anteile. Eine solche „Kaffeewurzel“ soll der Überlieferung nach Mitte des 19. Jahrhunderts zur „Geburt“ des Chicorées geführt haben: Ein Gärtner des botanischen Gartens in Brüssel hatte entdeckt, dass im Keller lagernde Zichorienwurzeln ausgetrieben hatten. Diese Triebe waren essbar und schmackhaft und wurden von da an als Salat oder Gemüse gezüchtet.

Chicorée

Das Kultivieren von Chicorée erfordert zwei völlig getrennte Arbeitsschritte: das Anpflanzen der Salatzichorien auf dem Feld und das anschließende Antreiben der Chicoréerüben im Keller. Normalerweise übernimmt ein Betrieb nur einen Teil davon, entweder den Anbau oder die Treiberei. Ausnahmen bestätigen die Regel: So hat die Demeter-Gärtnerei Berg in Binzen beides gemacht, es im Jahr 2010 aber aus wirtschaftlichen Gründen aufgegeben. Nach wie vor ist Seniorchef und Chicorée-Experte Peter Berg überzeugt, dass jede und jeder die gelb-weißen Sprossen selber ziehen kann. Allerdings: „Der Hobbygärtner muss sich klarmachen, dass es, bis er seinen ersten Chicorée erntet, fast so lange dauert, wie ein Kind im Mutterleib heranwächst.“

Den Anfang machen im Frühjahr – ab Mitte April – Treibchicoréesamen: am besten an einem sonnigen Standort in gut gelockerte Erde mit 30 Zentimetern Reihenabstand aussäen. Sind die jungen Pflanzen fünf bis sieben Zentimeter hoch, müssen sie auf handbreiten Abstand in der Reihe vereinzelt werden. Ende Oktober oder im November, wenn die äußeren Blätter gelb werden, sind die verdickten Wurzeln zur Ernte bereit. Sie haben dann einen Durchmesser von 3 bis 6 und eine Länge von 15 bis 20 Zentimetern. Diese Rüben vorsichtig ausgraben, ohne sie zu beschädigen, und mit eingekürzten Blättern noch zwei bis drei Tage in einer kühlen Garage liegen lassen.

Chicorée Rübe

So sieht die Rübe aus, wenn sie aus dem Acker kommt.

Im Dunkeln sprießt‘s

Dann folgt der zweite Arbeitsschritt, die Treiberei. Die rübenartigen Wurzeln dicht nebeneinander senkrecht in ein Gefäß mit Erde oder Sand stecken. Dazu eignen sich Eimer, große Schüsseln, alte Kochtöpfe oder Kisten. Dann an einem dunklen Ort unterbringen und einmal lauwarm angießen. Die Rüben müssen jederzeit völlig abgedunkelt sein, sonst werden die Triebe grün und schmecken weniger gut. Mit Erde bedecken muss man die heutigen Sorten nicht mehr. Die Temperatur sollte idealerweise zwischen 12 und 18 Grad betragen, ein Keller oder Heizraum ist in der Regel also gut geeignet.

Nach drei bis vier Wochen können die weiß-hellgelben Sprossen abgeschnitten werden. Wer nicht möchte, dass alle Chicorées auf einmal ernte­reif werden, lässt am besten mehrere Eimer mit einer Wochenration in der kühlen Garage stehen und holt sie nach und nach in den Keller zum Antreiben.

Chicorée im Treibraum

Das Antreiben von Chicoréesprossen in Erde ist auch für Gärtnereien, die es professionell betreiben, eine relativ aufwendige Sache. Peter Berg hat es damals mit einer Fußbodenheizung im Gewächshaus hinbekommen. Chicoréeliebhaber schwören auf die erdgetriebenen Sprossen, die sie an ihrem intensiven Geschmack erkennen. Heute gibt es dennoch im ganzen Südwesten nur noch einen Biobetrieb, der Chicorée in Erd­treiberei hervorbringt: die Demeter-Gärtnerei Rengoldshausen in Überlingen.

Wasser statt Erde

In der modernen Chicoréetreiberei, wo es wirtschaftlich zugehen muss, ist die Erde durch nährstoffreiches Wasser ersetzt worden: Die Rüben sitzen in mit einem Plastikgitter ausgestatteten flachen Behältern, die – übereinandergestapelt – pausenlos mit Wasser durchspült werden. Beim Besichtigen des Treib­raums beschlägt nicht nur die Brille, sondern auch das Objektiv des Fotoapparats. Das beständig fließende Wasser und die angenehme Temperatur von 19 Grad sorgen für eine hohe Luftfeuchtigkeit im absolut dunklen Raum. Seit gut 40 Jahren betreibt der Bohrerhof in Hartheim-Feldkirch diese Art der Chicoréetreiberei im großen Stil: So gedeihen im betonierten Feuchtraum rund 750.000 Sprossen pro Saison. Die Wurzelrüben dafür wachsen auf sechs Hektar Anbau­fläche in Holland.

Sebastian Bohrer vor erntereifen Chicoréesprossen

Gemüsegärtnermeister Sebastian Bohrer zeigt die 21 Tage alten, erntereifen Chicoréesprossen, die frisch aus dem Treibraum gekommen sind.

Gesunde Bitterstoffe

Eingekauft hält sich Chicorée am besten in ein Tuch eingeschlagen im Kühlschrank. Als Salat ist er in feine Streifen geschnitten eine erfrischende Bereicherung für die Wintertafel. Besonders lecker ist die Kombination mit Mandarinenstückchen und Walnüssen sowie Spritzern flüssiger Sahne oder mit einem Honig-Senf-Dressing. Als Gemüse kann man ihn längs geteilt oder in grobe Streifen geschnitten mit Sojasauce anbraten, oder mit Béchamelsauce übergossen in einer Auflaufform in den Backofen schieben.

Die glatten Sprossen öfter auf den Speiseplan zu setzen, ist durchaus vorteilhaft: Sie enthalten nicht nur viel Kalium, Calcium, die Vitamine A, B und C, sie können auch beim Abnehmen helfen, weil sie viel von dem Ballaststoff Inulin enthalten. Natürliche Bitterstoffe regen Magen, Leber, Galle und Bauchspeicheldrüse dazu an, bei der Verdauung aktiv mitzuwirken. Das macht die Speisen bekömmlicher. So gesehen war es also keine gute Idee, die Bitterstoffe aus den Zichorienpflanzen herauszuzüchten.

Fotos: © iStock/MahirAtes; dw; Gärtnerei Berg