Aus dem Jammertal: Wie kleine Einzelhändler den Online-Riesen die Stirn bieten STADTGEPLAUDER | 20.07.2021 | Tanja Senn

Einzelhandel in Freiburg Kampagne fürs Shopping vor Ort: „Kauf lokal!“ von z’Friburg in der Stadt

Die Corona-Krise hat den Einzelhandel schwer getroffen. Einige Händler haben die Lage genutzt, um ihr Geschäft attraktiver zu machen und kreative Strategien gegen die Konkurrenz von Amazon & Co. entwickelt. Schützenhilfe bekommen sie dabei von unerwarteter Seite.

Wenn es nach den nackten Zahlen geht, kann von einer Krise des Einzelhandels keine Rede sein. Im Corona-Jahr 2020 haben die Händler in Baden-Württemberg 2,1 Prozent mehr Umsatz erwirtschaftet als noch im Jahr zuvor. Warum in einigen Läden das „Geschlossen“-Schild trotzdem dauerhaft bleibt, zeigt ein Blick auf die einzelnen Branchen. Denn während im Online-Handel sowie bei Möbel- und Baumärkten die Kasse geklingelt hat, ist etwa der Textilhandel um knapp ein Viertel eingebrochen. Kauf- und Warenhäuser mussten immerhin noch ein Minus von sechs Prozent hinnehmen.

Nun sind die Läden wieder geöffnet, die Innenstädte voll. Manche Bereiche wie der Modehandel durften sich im Juni über einen Nachholeffekt freuen – mit einem Umsatz über Vorkrisenniveau. Und doch herrscht nicht bei allen stationären Einzelhändlern gute Stimmung. „Bei einigen wird es in den kommenden Monaten zu der Entscheidung kommen, ob sich das Geschäft noch trägt oder nicht“, weiß Peter Spindler, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Südbaden. Wo es möglich ist, würden Händler beginnen, Flächen zu reduzieren. Denn nicht nur die Pandemie macht ihnen zu schaffen. Die Probleme gehen tiefer.

Leere Innenstädte

In vielen Innenstädten werden die Besucher seit Jahren weniger, sagt Spindler und spricht von einem „teils extremen Rückgang“. Die Verlagerung ins Online-Geschäft dürfte daran nicht unschuldig sein. Einige Experten fordern daher von stationären Einzelhändlern, ihr Geschäft hybrid aufzustellen – Ladengeschäft und Online-Shop aus einer Hand. Spindler sieht das skeptisch: „Für kleine Einzelhändler ist es schwierig, online neben den Großen zu bestehen“, sagt er, „wenn sie einen Shop unter ihrem eigenen Namen aufbauen, findet sie zunächst ja nur der eigene Kundenkreis.“

Das spiegeln auch die aktuellen Zahlen wider: Während der Anteil von Amazon am gesamten Einzelhandelsumsatz mit 6,7 Prozent im Jahr 2020 noch überschaubar war, vereinte der Gigant im Online-Handel mehr als die Hälfte der Umsätze auf sich. Warum also nicht den Versandriesen mit seinen eigenen Waffen schlagen? Warum schließen sich lokale oder regionale Händler nicht auf einer Plattform zusammen, die für den Käufer so unkompliziert funktioniert wie Amazon?
Spindler winkt angesichts dieser Idee nur ab: „Das würde unglaublich viel Geld kosten und letztendlich nicht funktionieren, weil die Händler nicht die gleiche Tiefe abbilden können wie Amazon.“ Für kleine Einzelhändler wäre der Aufwand zudem nicht zu stemmen, den es darstellt, solch eine Plattform laufend zu bestücken. „Die meisten solcher Regional-Anbieter scheitern“, weiß Spindler.

Doch es gibt Ausnahmen. Eine davon: das Freiburger Netzwerk „Regional bringt’s“ von Katharina Mensch. Der Online-Bauernmarkt ist Anfang 2020 mit acht Landwirten gestartet, mittlerweile verkaufen hier 33 Erzeuger ihre Waren – von der Brauerei bis zum Imker. Rund 500 Käufer haben sich die lokalen Waren bereits liefern lassen, etwa zehn Prozent davon seien Stammkunden, berichtet Mensch. Sie legt besonderes Augenmerk auf die Nutzerfreundlichkeit für Erzeuger und Kunden. „Wenn es nicht einfach ist, dann funktioniert es nicht“, weiß sie. Von den Verkäufern bekomme sie oft mit, dass die Zufriedenheit mit anderen Plattformen gering ist: „Viele werden auf Dauer nicht überstehen, weil das alles nicht gut organisiert ist.“

Zu viel des Guten

Ein Rundumblick im Netz bestätigt ihre Aussage: Im Lockdown sind die regionalen Amazon-Alternativen aus dem Boden geschossen – durchsetzen konnte sich kaum eine. Iris Weidemann, Inhaberin des Freiburger SiRiPiRi Concept Store, sieht genau darin das Problem: „Keiner dieser Shops hat die nötige Marktdurchdringung.“ Sie selbst hat den Lockdown genutzt, um einen eigenen Webshop aufzubauen – ein „Wahnsinnsaufwand“, sagt die Marketingfachfrau. Finanziell machbar sei das durch die Überbrückungshilfe III des Bundes gewesen, die eine Digitalisierungsförderung von bis zu 20.000 Euro enthalten hat.

Zudem bekommen kleine Händler Schützenhilfe von unerwarteter Seite – von Amazon selbst. Seit September 2020 bieten der deutsche Handelsverband, die Initiative „Händler helfen Händlern“ und Amazon kostenlose Online-Trainings für bislang rein stationäre Einzelhändler an. Ob es eine geschickte Marketing-Maßnahme des Online-Riesen ist, um sein Image aufzupolieren, oder ob er tatsächlich der Auffassung ist, dass „die Vielfalt des Handels … wichtig für eine breite Auswahl an Produkten und die Lebensqualität aller“ ist, wie es auf dem Amazon-Blog heißt, sei dahingestellt.

Doch was für Händler schon schwierig ist, ist für Erzeuger meist unmöglich. „Viele versuchen krampfhaft, einen Online-Handel aus dem Boden zu stampfen“, sagt Mensch. „Doch das kann man nicht einfach nebenher machen.“ Ihre Plattform richtet sich mittlerweile auch an Hersteller aus dem Non-Food-Bereich – bislang mit mäßigem Erfolg. „Wahrscheinlich machen wir zu wenig Werbung und sind deshalb nicht bekannt genug.“

Einkaufen als Erlebnis

Ob die Menschen on- oder offline kaufen, hängt für den Handelsverband Baden-Württemberg vor allem von drei Faktoren ab: „Klare Wettbewerbsvorteile sind Beratung, Service und ein hochwertiges Einkaufserlebnis“, heißt es in einem Bericht. Dafür lassen sich auch die Freiburger Händler einiges einfallen: Einkaufen mit einer persönlichen Beratung, Vernissagen in den Geschäften, Feierabendshopping, Lieferangebote, Reparatur- oder Schneiderservices …

Auch Weidemann hat sich im Lockdown eine ganz besondere Strategie einfallen lassen, um Menschen in den Laden zu bekommen: Shopping per Video-Telefonat. So kann sich der Kunde umschauen und persönlich beraten lassen. „Das war aus der Not heraus geboren“, sagt die Händlerin, „wurde aber sehr gut angenommen. Mir ging es dabei auch nicht um riesige Umsätze, sondern um den Kundenkontakt.“

Handelsexperte Spindler sieht in solchen Erlebnissen einen guten Weg: „Damit Leute in die Innenstädte kommen, muss man ihnen etwas bieten.“ Dazu könnten neben den Angeboten des Einzelhandels auch die Gastronomie, Begrünungen, Sitzbänke oder Veranstaltungen der Stadt beitragen. Eine herausragende Rolle spiele die Erreichbarkeit.

Das hat auch der Freiburger Gemeinderat erkannt und Ende Juni mehrere Maßnahmen für die Belebung der Innenstadt verabschiedet – darunter ein kostenfreier ÖPNV an vier Samstagen in diesem Jahr, eine „wohlwollende Erteilung von Sondernutzungen“ für kulturelle Veranstaltungen und Aktionen des Einzelhandels, eine zusätzliche Begrünung oder die Übernahme der Kosten für die Weihnachtsbeleuchtung in der Innenstadt. Zudem gibt es Überlegungen, spezielle Shopping-Tickets für Bus und Bahn anzubieten und leerstehende Läden für Pop-up-Stores oder Ausstellungsflächen zu nutzen.

Sicher ist: Die Laden-Händler müssen sich etwas einfallen lassen. Denn die Amazon-Konkurrenz geht möglicherweise bald über das Internet hinaus. Mit temporären Pop-up-Stores testet der Global Player aktuell das stationäre Geschäft in Deutschland – mit Läden ohne Kassen.

Foto: © z´Friburg in der Stadt e.V.