Catcalling ankreiden: Freiburgerinnen bemalen Straßen mit Belästigungen STADTGEPLAUDER | 17.02.2022 | David Hamann

Menschen malen mit Kreide auf den Boden

Sprüche wie: „Hey Süße, renn doch nicht weg vor uns!“ Sie sind ein verbaler Angriff, der die Betroffenen fassungslos zurücklässt. „Eine von vielen Belästigungen auf der Straße, gegen die etwas unternommen werden muss“, findet Sandra Emrich (20). Zusammen mit Nele Wiemhoff (21), Frauke de Vries (21) und Sophie Hunhold (25) betreibt sie seit gut einem Jahr den Instagram-Kanal @catcallsoffr.

Die Studentinnen sind mit ihrem Freiburger Ableger Teil der internationalen Jugendbewegung #Chalkback. In 150 Städten weltweit werden Belästigungen Wort für Wort an der Stelle auf die Straße geschrieben, an der sie passiert sind – das sogenannte Ankreiden. Dann fotografieren sie das Geschriebene und laden es auf Instagram hoch. So können Betroffene die Belästigungen anonymisiert veröffentlichen lassen.

Gemeinsam knien die Aktivistinnen vor dem Eingang des Freiburger Hauptbahnhofs. Menschen strömen vorbei. Mit neonfarbener Kreide schreiben sie die Erfahrung einer Userin auf die Straße, die am Bahnsteig belästigt wurde: „Ich aß ein Eis. Ein Mann (circa 50) macht Blowjobbewegungen, stößt seine Hüfte und schlägt sich auf den Hintern.” Trauriger Alltag. Und nur einer von knapp 50 Catcalls, den die vier bereits öffentlich gemacht haben. „Für mich hat der Schockfaktor mit der Zeit abgenommen, das macht es zum Glück leichter, damit umzugehen”, erzählt Wiemhoff.

Frauke de Vries, Sandra Emrich und Nele Wiemhoff

Auf die Straße schreiben, was andere verletzt: Das machen auch Frauke de Vries, Sandra Emrich und Nele Wiemhoff (von links).

Der englische Begriff „Catcalling“ beschreibt verbale Straßenbelästigung. Wie einer Katze wird Menschen, meist Frauen, auf der Straße hinterhergerufen. „Der Raum dafür ist leider vorhanden”, merkt Emrich an, „es fehlt an negativer Resonanz.“ Sie wünscht sich: Wer selbst Zeuge wird, sollte reagieren, Betroffenen helfen und den oder die Täter direkt ansprechen.

Einige latschen noch während des Ankreidens über das Geschriebene. Eine ältere Dame wird neugierig, bleibt stehen. „In Portugal habe ich das auch schon mal gesehen“, berichtet sie erfreut. Die Gespräche auf der Straße sind ein großer Teil der Aufklärungsarbeit.

Erfahrungen mit Beleidigungen während des Ankreidens oder Auseinandersetzungen mit der Polizei haben die Freiburgerinnen bisher nicht gemacht. In anderen Städten kommt sowas jedoch vor. Die Resonanz nach über einem Jahr @catcallsoffr sei für Freiburg überwiegend positiv. „Wir wollen den Menschen die Chance geben, sich wehren zu können“, sagt Emrich – und das Angebot wird dankend angenommen. Im Schnitt bekommen sie vier Catcalls pro Woche, alltägliche Grenzüberschreitungen, die sie öffentlich machen. Die Hemmschwelle soll auf diese Weise steigen, damit Straßenbelästigung weniger wird. Bis dahin werden sie weiter ankreiden gehen.

Chalkback-Bewegung

@catcallsofnyc wurde 2016 in New York von der Aktivistin Sophie Sandberg ins Leben gerufen – als erster Instagramaccount der „Chalkback“-Bewegung. Der erste Account in Deutschland ist Anfang 2019 in Berlin online gegangen. Mittlerweile gibt es hierzulande 73 aktive Accounts – allein 10 davon in Baden-Württemberg. Online sind diese unter @catcallsof mit dem jeweiligen Städtenamen zu finden.

Fotos: © David Hamann