Debatte um Geflüchteten-Unterkunft in Freiburg: Soll die LEA geschlossen werden? STADTGEPLAUDER | 21.04.2021 | Lars Nungesser

Demonstrieren schon im März in Freiburg: Aktivisit·innen für eine Schließung der Landeserstaufnahmestelle (LEA)

Verbot elektrischer Geräte, Zimmerkontrollen, Mahlzeiten in der Kantine. Was nach bittersüßen Erinnerungen an Klassenfahrten klingt, bestimmt in der Freiburger Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) den Alltag erwachsener Menschen. Dort leben 100 bis 200 junge Männer, die auf der Suche nach Schutz vor Krieg, Gewalt und Verfolgung nach Freiburg gekommen sind. Organisationen fordern daher deren Schließung. Am 24. April findet dazu eine Demonstration statt, am 29. April evaluiert der Gemeinderat die Einrichtung.

Aus drei Monaten Aufenthalt wurden 18

An einem sonnigen Sonntag im März laufen etwa 150 weiß maskierte Menschen von der Unterwiehre in Richtung Lörracher Straße. Sie alle eint der Protest gegen die aktuelle Asylpolitik. Ein Mann aus Ghana in kanariengelber Jacke und Reggaemütze singt Verse aus Bob Marleys „Redemption Song“ ins Mikro. Auch Aktivist·innen der „Black Lives Matter“-Bewegung haben ihre Transparente mitgebracht. Wer den Redebeiträgen über Rassismus und Willkommenskultur, Ausbeutung und offene Grenzen zuhört, versteht schnell: Hier geht’s nicht nur um Lokalpolitik, hier geht‘s ums große Ganze.

Am 29. April evaluiert der Migrationsausschuss des Gemeinderats die Freiburger LEA. Die Massenunterkunft wird vom Land verwaltet, offizielles Hausrecht hat das Regierungspräsidium. Wer dort lebt, ist laut Gemeindeordnung dennoch Freiburger: „Einwohner der Gemeinde ist, wer in der Gemeinde wohnt“, so lautet die Regel. Die Stadt ist damit für das Wohl ihrer Bewohner·innen verantwortlich – auch bei laufenden Asylverfahren. Ursprünglich sollte der Aufenthalt in der LEA an der Lörracher Straße für niemanden länger als drei Monate dauern, inzwischen liegt die Grenze bei achtzehn Monaten. Manch einer wohnt schon seit mehr als zwei Jahren auf dem mit Stacheldraht umzäunten Gelände an der Lörracher Straße.

Von Kirchbach sieht Verantwortung anderswo

Freiburgs Erster Bürgermeister: Ulrich von Kirchbach

Die Aufnahme von Geflüchteten in Erstaufnahmestellen ist bundesrechtlich geregelt. Der Vertrag zwischen Freiburg und dem Land besagt allerdings, dass die Sammelstelle nur mit politischer Unterstützung der Stadt existieren soll. Ein konkretes Entscheidungsrecht über den weiteren Betrieb der LEA habe Freiburg laut Erstem Bürgermeister Ulrich von Kirchbach dennoch nicht. Dieser liege in der Zuständigkeit des Landes. Die Bewertung des Gemeinderats könne deshalb nur Appellcharakter haben – ohne rechtliche Konsequenzen, teilt von Kirchbach auf chilli-Anfrage mit. Soll heißen: Für eine Schließung ist das Rathaus nicht zuständig.

Wegen der als Sonderbelastung wahrgenommenen LEA wird die Stadt von der Anschlussunterbringung der Geflüchteten befreit. Bei der Entscheidung für die Erstaufnahmeeinrichtung spielte deshalb auch knapper Wohnraum eine Rolle: „Die örtliche Wohnungsmarktlage würde insbesondere im Sozialwohnungssegment in Folge des Wegfalls der Aufnahmeverpflichtung nicht noch weiter belastet“, heißt es in einer Beschlussvorlage über die Flüchtlingssituation in Freiburg von 2014.

Bewohner fühlen sich isoliert

Der Pragmatismus hat seinen Preis: Viele LEA-Bewohner klagen über mangelnde Privatsphäre und Isolation vom Rest der Gesellschaft. Für ihre Bedürfnisse wurde vom Land eine unabhängige Ombudsstelle eingerichtet, die im vergangenen Berichtsjahr mehr als 100 Anliegen zu bearbeiten hatte. Wer so lange Zeit unter diesen Bedingungen leben muss, hat Grund sich zu beschweren, finden LEA-Watch und Aktion Bleiberecht. Die Initiativen engagieren sich auf kommunaler Ebene für eine diskriminierungsfreie Flüchtlingspolitik. Am 24. April wollen sie ab 14 Uhr erneut in Freiburg demonstrieren. Das Motto der Aktion: Keine Lager – keine LEA.

Dass die Beschwerden der Bewohner nicht aus der Luft gegriffen sind, bekräftigt ein von Aktion Bleiberecht in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten. Die Hausordnung sei grundrechtswidrig, heißt es darin. Besonders die Unverletzlichkeit der Wohnung, das allgemeine Persönlichkeitsrecht und die allgemeine Handlungsfreiheit würden laut Rechtsanwältin Anja Lederer und Rechtswissenschaftlerin Anne-Marlen Engler ohne konkreten Anlass verletzt. Tatsächlich haben Bewohner keinen Anspruch auf Zimmerschlüssel, Besuche sind nur in Ausnahmefällen gestattet, das Mitbringen von Lebensmitteln ist größtenteils untersagt.

Demonstration vor der LEA: In der Unterkunft leben bis zu 200 Geflüchtete, teilweise mehr als zwei Jahre.

Bewohner reichen Klage ein

„Für derartige Grundrechtseinschränkungen fehlt es nicht nur an Verhältnismäßigkeit, sondern auch an demokratischer Legitimierung“, sagt Pia Baur von Aktion Bleiberecht. Die vom Regierungspräsidium formulierte Hausordnung könne kein Gesetz ersetzen. Deshalb wurde beim Verwaltungsgerichtshof des Landes ein Normenkontrollverfahren eingeleitet. Unterstützt wird die Klage von bundesweit aktiven Organisationen wie Pro Asyl und der Gesellschaft für Freiheitsrechte.

Das Innenministerium verteidigt die Regeln als notwendig und grundgesetzkonform. Man vertritt die Annahme, dass aufgrund des Zusammenlebens von Menschen aus „unterschiedlichen Herkunftsländern, mit unterschiedlichen Werten und politischen Ansichten“ permanent eine konkrete Konfliktgefahr bestehe. Die Hausordnung diene in erster Linie dem Schutz der Bewohnerinnen und Bewohner, so Carsten Dehner, ein Sprecher des Innenministeriums.

Dezentrales Wohnen als Lösung?

Derartige Sicherheitsmaßnahmen wären nach Ansicht von Aktion Bleiberecht nicht notwendig, würde Freiburg dezentrales Wohnen für Geflüchtete ermöglichen. Ende März übergab die Organisation deshalb zusammen mit LEA-Watch die Broschüre „Wohnen statt Massenunterkunft“ an Fraktionen, Gemeinderat und Migrationsausschuss. Ihre zentrale Forderung nach menschenwürdigem und selbstbestimmtem Wohnen unterstützen rund 50 lokale NGOs, Parteien und Vereine.

Das Wohnen für Asylbewerber·innen müsste Freiburg aber nicht im Alleingang neu erfinden. Die Basisinitiative Stadtquartier Schildacker hatte bereits 2014 ein solidarisches Wohnkonzept für das Gelände der heutigen LEA erarbeitet. Mit Hilfe des Mietshäusersyndikats wollte man bezahlbaren Wohnraum und einen Ort der Begegnung für Geringverdiener·innen, Erwerbslose, Familien und Geflüchtete schaffen.

Soziologie warnt vor Schließung

Falls Freiburgs LEA schließt, bleibt die Frage, ob sich das Problem Massenunterkunft dadurch nicht in andere Städte und Gemeinden auslagern könnte. „Unsere Kampagne richtet sich deshalb nicht allein gegen die LEA in Freiburg. Wir vernetzten uns auf Landes- und Bundesebene mit dem Ziel, alle Flüchtlingslager abzuschaffen“, sagt Melina Loser von Aktion Bleiberecht. Da die derzeitige Asylpolitik nicht auf menschenwürdige Aufnahme, sondern auf Abschreckung, Verwaltung und letztendlich Abschiebung der Ankommenden ziele, brauche es stattdessen alternative, langfristige Wohnkonzepte.

Diese Auffassung teilt auch Professor Dr. Albert Scherr, Direktor des Instituts für Soziologie an der Pädagogischen Hochschule und Mitglied des Migrationsausschusses. Er warnt jedoch, dass sich die Situation der Geflüchteten verschlechtern könnte, sollte Freiburgs LEA schließen. Das Problem sei damit nur ausgelagert, da wahrscheinlich anderswo eine neue Einrichtung entstehen werde. Besonders in ländlichen Regionen wären Geflüchtete dann noch stärker isoliert. Stattdessen schlägt er ein unabhängiges Kontrollgremium, mit einem städtischen Mandat zur Kommunikation und Berichterstattung vor.

Fotos: © Lars Nungesser