Der Klärwerktaucher arbeitet dort, wo es sonst niemand will STADTGEPLAUDER | 15.11.2020 | Liliane Herzberg

Klärwerk

Alle Wege führen nach Forchheim. Zumindest die des Abwassers aus den Waschbecken, Duschen und Toiletten Freiburgs und der Region. Denn in der Gemeinde am Kaiserstuhl befindet sich die Kläranlage, in der das Abwasser des rund 650 Quadratkilometer großen Verbandgebietes zusammenfließt. Wenn es in den Tiefen der Anlage etwas zu reparieren oder auszutauschen gilt, kommt der Klärwerktaucher. Und arbeitet in der Dunkelheit, umgeben von einer Masse, in der wohl niemand gerne schwimmt.

Es ist eine zähe, dicke, braune Flüssigkeit mit Temperaturen um die 37 Grad, in die Berufstaucher bei einem Einsatz im Faulturm eintauchen. Ein 80 Meter langer Schlauch sorgt während des Tauchgangs für die Luftzufuhr in der dunklen Tiefe, ein spezieller Überdruck-Anzug für das Wohlbefinden. „In den kann nichts eindringen“, erzählt Karlheinz Vitt, Geschäftsführer der Sasbacher Nautik GmbH Keppler und Vitt lachend. Ansonsten sind da nur Dunkelheit und das blinde Vertrauen zu den Männern draußen; ein Telefon im Helm verbindet den Taucher mit den Kollegen und der Außenwelt.

Die Nautik GmbH ist oft gefordert. Etwa wenn sich im Faulturm eines Klärwerks ein Rührwerk löst, Müll die Filter verstopft oder ein Schieber verrostet ist. Dann gilt es in der Dunkelheit defekte Teile auszutauschen, zu reparieren, Fehlerquellen zu finden. Und dabei auszublenden, was umgebend ist. Denn im Faulturm wird der gesamte aus dem Abwasser herausgeholte Schlamm weiter behandelt.

Mann der in Faulturm einstieg

Los gehts: Alles bereit für den Einsatz.

Zuvor entfernen Rechen den groben Dreck aus dem Wasser. Alles, was etwa in der Toilette runtergespült wird, bleibt dort hängen. Tampons, Kondome, tote Tiere, Müllreste. Grob gesäubert fließt das Wasser weiter in den Sandfang und schließlich in das Vorklärbecken. Dort setzen sich organische Schmutzteilchen ab. Als sogenannter Klärschlamm werden diese in einen Trichter geschoben und wandern von dort weiter in den Faulturm. „Es ist halt unsere Arbeit, man hat mit der Flüssigkeit ja keine Berührung, in den Anzug kann nichts reinkommen“, erzählt Vitt wie es ist, in den Klärschlamm einzutauchen. Und fügt im nächsten Atemzug hinzu: „Aber das muss man schon verkopfen.“

Nicht nur im Klärwerk, sondern überall dort, wo es ein wässriges Problem gibt, werden Berufstaucher gebraucht. „Wir kommen zum Beispiel, wenn ein Schiff untergegangen ist, wenn Solarmodule im Wasser einen Anker brauchen oder eine Kiesgrubenschaufel in 60 Metern Tiefe kaputt ist“, erzählt Vitt. Die Arbeit im Klärwerk ist nur ein kleiner Teil der Aufgaben. Werbung schalten muss das Unternehmen schon lange nicht mehr. „Wir werden viel angefragt, bis Hannover, Wolfsburg, Italien, ganz Europa. Als Firma mit Spezialequipment sind wir in Südbaden alleine.“

Mann der im Faulturm auftaucht

Ab in den Faulturm: Dieser Taucher bahnt sich seinen Weg in die Tiefe.

Wer Berufstaucher werden will, muss zuerst eine handwerkliche Ausbildung absolvieren. Oben drauf ist zusätzlich eine dreijährige Ausbildung zum Berufstaucher erforderlich. Vor rund 20 Jahren hat Vitt das Unternehmen mit seinem damaligen Freund Klaus F. Keppler gegründet. „Ich mache den Beruf immer noch mit Leib und Seele.“ Der Verdienst sei überdurchschnittlich, aber die Taucher müssen auch an Wochenenden und in der Nacht zu Einsätzen, erklärt Vitt. „Die Arbeitszeiten sind unsicher und man bekommt Tiefen- und Gefahrenzuschläge. Oft ist das echt hartes Brot, und man kriegt nichts geschenkt.“ Aber dafür sei Abwechslung garantiert und immer wieder der eigene Grips zur Problemlösung gefragt: „Jede Idee ist willkommen.“

Um in dem dicklichen Schlamm in den Faultürmen überhaupt erst in die Tiefe zu gelangen, tragen die Taucher über ihrem Anzug zusätzlich eine 15 Kilo schwere Bleiweste. Erst lassen sie ein Gewicht hinab zur Problemstelle. Der Taucher tastet sich an der daran befestigten Schnur entlang und wird zusätzlich per Telefon gelotst. „Man hat im Klärwerk keine Sicht, sondern kann nur greifen und fühlen“, erklärt der 63-Jährige.

Um wieder aufzutauchen, lässt der Taucher durch den Schlauch zusätzliche Luft in den Anzug ein. Danach ist duschen angesagt. Erst entfernen die Kollegen mit einem Wasserschlauch den groben Dreck, danach wird der Helm abgezogen. „Den kann man nicht alleine absetzen, der wiegt etwa acht Kilo.“ Wieder an der frischen Luft, setzt sich der Taucher in eine Wanne voll mit Desinfektionsmittel, „wir wollen ja keinen ekligen, stinkenden Anzug im Wagen“. 

Fotos: © iStock/ BKhamitsevich, Nautik GmbH