Freiburger Start-up will landwirtschaftliche Daten aus dem All senden STADTGEPLAUDER | 20.04.2021 | Tanja Senn

Satellit

Woran ESA und NASA bislang gescheitert sind, will nun ein Freiburger Start-up umsetzen: Satelliten, die Bauern vom Weltall aus melden, ob ihre Pflanzen gewässert oder gedüngt werden müssen. Schon in wenigen Jahren soll das dazu beitragen, den globalen Hunger zu bekämpfen.

Rund 400 Kilometer über der Erde schwebt der Mini-Satellit durchs Weltall. Von wo aus das menschliche Auge gerade einmal Kontinente und Weltmeere erkennt, sieht er einzelne Felder – und im Endeffekt sogar die nur Mikrometer großen Zellen der Pflanzen, die hier wachsen. Verschließen sich diese, weil die Pflanze Stress hat – etwa durch zu wenig Wasser, Dünger oder Pilzbefall –, steigt die Temperatur auf dem Feld an. Das bemerkt der Satellit und meldet es an die Erde. Hier gehen diese Daten – aufbereitet und verknüpft mit weiteren Faktoren – an den Bauern. Der kann direkt handeln und sorgt so für das optimale Wachstum seiner Pflanzen. Das ist die Vision.

Die Entwickler dieses Satelliten sitzen weder bei der NASA noch bei der ESA, sondern übergangsweise in ein paar alten Büroräumen in der Freiburger Innenstadt. Nach etwas Dauerhaftem sucht das Start-up ContsellR GmbH noch nicht – zu rasant ist das Wachstum der kleinen Firma. Was vor einem Jahr als Neugründung von vier Wissenschaftlern begonnen hat, ist mittlerweile auf 16 Mitarbeiter angewachsen. Bis Anfang nächsten Jahres sollen es etwa doppelt so viele sein.

Wer trotzdem erwartet, ein hochmodernes Spacecenter vorzufinden, wird enttäuscht. Das einzige Ungewöhnliche in den Büros sind die Maispflanzen, die in Kübeln wachsen. Sie dienen als erstes Versuchsobjekt. Der Satellit selbst wird in den Reinräumen des Ernst-Mach-Instituts gebaut. Im Februar 2022 muss er fertig sein. Dann wird er ins All geschossen, wo er an der ISS andocken soll.

Team von ConstellR

Starten groß durch: Die drei Gründer Max Gulde (m., mit Kind), Raumfahrtingenieur Marius Bierdel (li. daneben) und Business Manager Christian Mittermaier (4. v. re.) und ihr Team wollen im Februar 2022 ihren ersten Satelliten zur ISS (li.) schicken.

Das Besondere an ihm: Er ist nicht größer als eine Schuhschachtel. Und darum deutlich günstiger. Während ein normaler Satellit zwischen 850 Millionen und 1,3 Milliarden Euro kostet, hat es für die Miniaturausgabe nur eine gute Million gebraucht. Das macht eine ganz andere Technologisierung möglich, erklärt Max Gulde, einer der noch aktiven drei Gründer: „Der Space Sektor ist extrem konservativ. Das ist auch logisch: Wenn man etwas für mehrere Milliarden baut und keine Chance hat, es zu reparieren, wenn es einmal im All ist, dann muss man von der eingesetzten Technologie felsenfest überzeugt sein.“ Das Resultat: Die Technik im Weltraum hinke der auf der Erde um rund zehn Jahre hinterher.

Vertreter der New-Space-Bewegung, zu denen auch ConstellR gehört, wollen das ändern. Indem sie Satelliten auf das Nötigste beschränken, machen sie sie kleiner und billiger. „Wir schicken eine erste Satellitengeneration hoch, von der wir wissen, dass sie nicht perfekt ist“, erklärt Gulde die Idee. „Die ist nach drei Jahren passé und dann kommt die nächste, die doppelt so viel kann.“

NASA und ESA seien daran bisher gescheitert: Bereits seit den 90er-Jahren sei bekannt, dass die Berater von Landwirten händeringend nach Temperaturdaten aus dem All suchen. Seit dieser Zeit versuchen die Agenturen, Missionen zu starten – bislang erfolglos. „Die aktuellen Missionen werden nicht vor Ende der 20er-Jahre starten“, glaubt der Physiker, „doch das ist viel zu spät.“

Denn die vielleicht einmal bis zu 84 Mini-Satelliten von ConstellR verfolgen nicht einfach das Ziel, Landwirtschaft lukrativer zu machen. Das kleine Start-up will eine maßgebliche Rolle dabei spielen, den Hunger auf der Welt zu bekämpfen. Nach einer Prognose der Vereinten Nationen muss die Menschheit in den nächsten 30 Jahren ihre Nahrungsmittelproduktion um 50 Prozent steigern. Das wird ohne neue Technologie – aber auch ohne einen Wandel der Ernährungsgewohnheiten – nicht möglich sein, ist sich Gulde sicher.

Verdunstungskarte Split ConstellR

Pflanzenzellen im Stresstest: Der Satellit von ConstellR macht Probleme frühzeitig sichtbar (o.), anders als herkömmliche Technik (u.).

ConstellR soll dabei eine maßgebliche Rolle spielen: „Wenn unsere Technologie auf etwa 30 Prozent der bewässerten Felder eingesetzt wird, dann hätten wir die Möglichkeit, bereits 2026 etwa sieben Prozent mehr Nahrung zu erzeugen.“ Das gesparte Wasser könne auf anderen Feldern eingesetzt werden, was einen riesigen Einfluss darauf habe, wie viel Nahrung erzeugt wird. „So könnten wir zwischen 500 und 550 Millionen Menschen ernähren.“

Dass nicht nur die Gründer selbst an diese Idee glauben, zeigt sich an den namhaften Organisationen, die dahinter stehen. Gestartet als Projekt am Fraunhofer-Institut ist ConstellR eine Ausgründung von dessen Ernst-Mach-Institut in Freiburg, des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt und des Instituts für Optische Sensorsysteme. Unterstützt werden sie von Deutschlands größtem Satellitenbauer OHB, von Airbus und der ESA.

Gulde und seine Mitstreiter hoffen, in vier, fünf Jahren so weit zu sein, dass ihre Technologie „auf einer globalen Skala einen Effekt“ hat. Das sei dringend nötig: „Wir werden bis 2030 etwa 40 Prozent mehr Wasserbedarf haben, dabei ist Wasser jetzt schon knapp“, warnt der 36-Jährige. „Wenn wir nicht bald handeln, dann könnte das in einer Katastrophe enden.“ 

Fotos: © ConstellR, Airbus