„Diese Frauen sind unglaublich stark“: Beratungsstellen gegen sexualisierte Gewalt melden verstärkte Nachfrage Gesellschaft | 15.08.2022 | Sarah Heimberger

21 Vergewaltigungen, sexuelle Nötigungen sowie schwere Übergriffe listet die polizeiliche Kriminalstatistik für das vergangene Jahr im Stadtkreis Freiburg. Das sind acht weniger als im Jahr 2020.

Freiburger Beratungsstellen zeichnen ein anderes Bild: Sie bemerken verstärkte Nachfrage. Sexualisierte Gewalt bekomme immer mehr öffentliche Aufmerksamkeit, sagen Expertinnen. Betroffene finden demnach häufiger den Mut, ihr Schweigen zu brechen.

Betroffene sexualisierter Gewalt haben oft mit Scham- und Schuldgefühlen zu kämpfen, weiß Beate Biederbick, Beraterin von Wildwasser. Der Freiburger Verein hat sich deswegen zur Aufgabe gemacht, Mädchen und Frauen zu unterstützen, die in der Kindheit und Jugend sexualisierte Gewalt erfahren haben.

Laut Biederbick brauchen Betroffene oftmals einen Raum, um sich innerlich zu sortieren. Darin können sie herausfinden, was ihnen zur Verarbeitung der sexualisierten Gewalterfahrung guttut und ob eine Therapie, ein Klinikaufenthalt oder strafrechtliche Verfolgung infrage kommt. Möchte eine Betroffene Anzeige erstatten, kann der Weg von der Tat über die Anzeige bis zum Gerichtsprozess lang sein, betont Biederbick, die beim Gang zu den Behörden unterstützt.

Bei den Betroffenen entstehe häufig ein großer Druck, das Geschehene geheim zu halten – nicht zuletzt, weil Täter·innen laut Biederbick oft drohen. Umso mehr Mut erfordere es, sich an eine Beratungsstelle zu wenden, um das Erlebte aufzuarbeiten. „Ich habe Demut vor den Betroffenen, diese Mädchen und Frauen sind unglaublich stark“, erzählt Biederbick.

Auch Frauenhorizonte setzt sich in Freiburg gegen sexualisierte Gewalt ein. Ab einem Alter von 15 Jahren können sich Frauen – auch anonym – an den Verein wenden. „Wir bieten psychosoziale Beratung mit Prozessbegleitung an“, sagt Sprecherin Pia Kuchenmüller. Weil viele Übergriffe nachts und am Wochenende stattfinden, hat die Akutfachberatungsstelle rund um die Uhr geöffnet. „Wir haben viele Rufbereitschaftseinsätze“, kommentiert Kuchenmüller.

Hilft Betroffenen von sexualisierter Gewalt: Pia Kuchenmüller von Frauenhorizonte

Laut der Sprecherin steigt die Anfrage bei Frauenhorizonte: 367 Frauen aus Freiburg, Emmendingen und dem Gebiet Breisgau-Hochschwarzwald hat der Verein 2021 begleitet. Vor allem die Zahl derer, die sich zum ersten Mal an Frauenhorizonte wenden, geht nach oben. 2021 waren es 285 Betroffene – im Vergleich zum Jahr 2015 fast 50 Prozent mehr. Kuchenmüller erklärt den Anstieg auch mit Präventionsprogrammen, Kampagnen und Öffentlichkeitsarbeit. Um diese weiter voranzutreiben, wünscht sich die Sprecherin flächendeckende Präventivprogramme. Sie hebt hervor: „Seit 2017 kommt sexualisierte Gewalt gegen Frauen aus der Tabu-Ecke heraus.“

Biederbick von Wildwasser rechnet damit, dass die Anfrage bei Freiburger Beratungsstellen gegen sexualisierte Gewalt weiterhin steigen wird. Sie betont: „Das liegt unter anderem daran, dass mehr Menschen informiert sind und Betroffenen Unterstützung anbieten, wodurch der Umgang mit sexualisierter Gewalt gegen Frauen gesellschaftlich nicht mehr komplett tabu ist.“

INFO

Sie kennen möglicherweise Opfer von sexualisierter Gewalt? Auch Mitwissende können eine enorme Belastung erfahren – melden Sie sich bei den Beratungsstellen, um Hilfe zu erhalten.
Wildwasser e.V.: 0761 33 64 5
Frauenhorizonte Fachberatungsstelle gegen sexuelle Gewalt: 0761 2 85 85 85

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