Detektive des Unsichtbaren: die Messstation für Radioaktives am Schauinsland Forschung | 12.11.2022 | Till Neumann & Philip Thomas

Andreas Bollhöfer zwischen Geigerzählern Zwischen Geigerzählern: Experte Andreas Bollhöfer leitet die Messstation auf dem Schauinslandgipfel.

Andreas Bollhöfer und sein Team sind Spürnasen: Auf dem Freiburger Hausberg betreiben sie eine der weltweit führenden Messstationen für Radioaktives. Selbst Atomtests in Nordkorea können sie nachweisen, die Ukraine hat die Station besonders im Blick. Das chilli hat sich die Detektivarbeit zeigen lassen. Die Reporter stießen auf Hightech, einen gewaltigen Staubsauger und ein rotes Telefon.

Erster Erfolg 1953

Von der Bergstation des Schauinslands schlängelt sich eine kleine Straße zu einem unscheinbaren Haus am Waldrand. Wer hier unterwegs ist, geht meist Wandern oder Radfahren. Doch Andreas Bollhöfer sucht Gefahr statt Genuss: Er leitet die Messstation des Bundesamts für Strahlenschutz. Mit modernsten Geräten fahnden er und vier weitere Wissenschaftler nach der unsichtbaren Bedrohung: Radioaktivität. Elemente rund um den Globus können sie auf ihrer 1200 Meter hohen Station nachweisen.

„Das ist historisch gewachsene Detektivarbeit“, erklärt Bollhöfer. Schon 1946 begannen Freiburger Physiker hier oben Strahlungen zu messen. 1953 wiesen sie erstmals einen Kernwaffentest nach. Beim Atomunglück in Tschernobyl im Jahr 1986 waren ihre Messungen maßgebend. Heute ist die Station Teil eines weltumspannenden Kontrollnetzes, dem quasi nichts entgehen kann: „Alle bösen Buben, die heimlich etwas machen wollen, müssen wissen: Es klappt nicht“, sagt Bollhöfer. Bluffen mache keinen Sinn. Egal wann, wo und in welcher Form.

„20 Kästen Sprudel“

Grund dafür sind feinste Messgeräte. So fungiert ein weißes Häuschen vor der Station als Spurenfänger: „Das ist ein riesengroßer Staubsauger“, erklärt Bollhöfer. Er ziehe 1000 Kubikmeter Luft pro Stunde an, um radioaktive Partikel herauszufiltern. „Das sind etwa 20 Kästen Sprudel pro Sekunde“, erklärt Bollhöfer. Durch die große Menge können auch kleinste Quantitäten ausfindig gemacht werden.

Die Arbeit an der Messstation ist eine Passion für den 57-Jährigen. Auch wenn das Ziel ein kurioses ist: „Am liebsten finde ich gar nichts.“ Denn dann ist die Lage entspannt. Seit sechs Jahren leitet Bollhöfer das Team, das ein Labor in der Freiburger Innenstadt und die Station auf dem Schauinsland betreibt. Vorher hat er 15 Jahre lang in Australien für die Regierung den Abbau von Uran überwacht.

Neu und alt: Das weiße Häuschen ist ein Staubsauger, das Telefon ein Notfall-Backup.

„Gehen jedem Alarm nach“

Auf einer Wiese am Waldrand neben der Station auf dem Schauinslandgipfel stehen weitere Kontrollgeräte: Es sind rund 20 Metallstäbe, im Kreis angeordnet, sie recken sich meterhoch in die Luft. „Das sind Geiger-Müller-Zählrohre aus verschiedenen Ländern“, erklärt Bollhöfer. Sie seien fürs Grobe da, zum Beispiel, um bei einem Unfall in einem Atomkraftwerk Alarm zu schlagen. Jedes Land liefere eine etwas andere Messtechnik, so könne man die Werte vergleichen, wenn eine radioaktive Wolke komme. Rund 1700 dieser Geigerzähler stehen in Deutschland.

Warnungen gibt’s nur bei Doppelmeldungen: „Wenn zwei Sonden im Abstand von 30 Kilometern Alarm schlagen, werden wir benachrichtigt“, erklärt Bollhöfer. Immer ein Kollege sei in Rufbereitschaft. Rund 80 Mal im Jahr komme eine solche Warnmeldung. „Meist am Wochenende und dann nachts“, sagt Bollhöfer und lacht. Normalerweise seien die Auslöser Zerfalls­produkte wie Radon, die vom Regen konzentriert zur Erde gebracht werden. Ein harmloser Vorgang mit einem natürlichen Element. Doch auch wenn es bisher immer glimpflich ausging, betont der Experte: „Wir gehen jedem Alarm nach.“

„Gehen jedem Alarm nach“

Im Gebäude hängen Karten an der Wand, sie zeichnen die Konzentration radioaktiver Elemente über Jahre nach. Der Vorfall von Tschernobyl ist dort nicht abzubilden. Die Skala ist zu klein, erklärt Bollhöfer. Die Werte sind damals explodiert, das Messgerät musste umgestellt werden. Auch ein weinrotes Telefon mit Wählscheibe steht im Büro. „Das ist für Notfälle, wenn alle anderen Systeme ausfallen“, erklärt Bollhöfer. Ein analoges Gerät wie das hier funktioniere auch dann noch. Die alte Technik habe sich bewährt.

Von Freunden wird der Freiburger gerne mal gefragt, was im Ernstfall zu tun sei. Zum Beispiel bei einem Supergau in einem nahe gelegenen AKW. Er rät: „Steigt nicht ins Auto, um wegzufahren. Macht lieber das Radio an und folgt den Hinweisen der Behörden.“ Das Problem sei: Wenn alle gleichzeitig die Flucht ergreifen, droht Chaos. Außerdem sei man zu Hause oder in einem anderen Gebäude viel besser geschützt als im Auto.

Andreas Bollhöfer

So wird gemessen: Andreas Bollhöfer zeigt, was auf dem Schauinsland alles möglich ist.

Krieg hat einiges geändert

Mit dem russischen Angriffskrieg hat sich auch die Arbeit hier verändert. „Seitdem haben wir viel mehr zu tun“, erklärt Bollhöfer. Jeden Morgen wertet sein Team Daten Hunderter Sonden aus – darunter auch von Geräten, die direkt in der Ukraine messen. Auffällige Werte gab es bisher nicht. Doch die Blicke sind geschärft. Wenn beispielsweise am Unglücksreaktor in Tschernobyl heftige Winde wehen, ist es noch heute gut möglich, wenige Tage später am Schauinsland erhöhte Radioaktivität zu messen. Auch aus der Sahara weht es hin und wieder Radioaktives in den Breisgau – Folgen von Atomtests Frankreichs in den 1960er-Jahren.

Ein Spezialgebiet der Freiburger: das Messen von sogenannten Edelgasen wie Xenon oder Krypton. Diese sind ungefährlich, lassen aber Schlüsse auf Atomtests zu. Mit Rückwärtsmessungen können die Experten fast metergenau nachweisen, wo etwas passiert ist. Gibt es dabei eine Art sportliche Konkurrenz unter den Stationen? „Wir haben nicht die Competition: Ich kann’s besser messen, sondern: Ich kann’s besser interpretieren“, sagt Bollhöfer. So war das, als vor einigen Jahren kleinste Mengen eines  Isotops aus Russland gemessen wurden. „Es gibt dann schnell viele Meinungen“, erklärt Bollhöfer. Am Ende war die wahrscheinlichste Erklärung: Es ist aus einer Wiederaufbereitungsanlage ausgetreten.

„Relativ viel Aufregung“

Das Extremste für Bollhöfer bisher geschah 2017: Damals gab es zwei Kernwaffentests in Nordkorea. „Die Community fängt dann an zu rotieren, es war relativ viel Aufregung“, erinnert sich der Freiburger. Als Wissenschaftler leide er bei solchen Ereignissen mit. Wie nur wenige kennt er die Gefahr im Detail. Umso mehr Spaß macht ihm die Arbeit, da er weiß: Sie ist wichtig.

Am Ende des Tages sind Detektive wie er dafür da, radioaktive Kernwaffentests durch ein dichtes Kontrollnetz zu entdecken. Fingerabdrücke genau zu lesen, darauf kommt es an. Die Schauinsland-Station hat daran großen Anteil. Sie ist nicht nur die älteste Messstelle Europas, sondern auch eine der am besten ausgerüsteten weltweit.

Besichtigungen

Die Messstelle auf dem Schauinsland ist offen für Besuchergruppen. Beispielsweise Schulklassen können sich für eine Besichtigung anmelden, erklärt Andreas Bollhöfer. Interessierte können sich beim Bundesamt für Strahlenschutz melden. Mehr Infos gibt es auf: www.bfs.de.

Fotos: © Till Neumann