Obskures Experiment: Kryoniker aus Reute hofft auf Leben nach dem Tod Szene | 21.11.2022 | Pascal Lienhard

Marcus Beyer vor einem Sonnenuntergang

Science-Fiction oder Wissenschaft? Der Kälteschlaf zur Überbrückung der Zeit ist in futuristischen Erzählungen ein beliebtes Stilmittel. Ein Software-Entwickler aus der Region plant die Probe aufs Exempel. Nach seinem Tod möchte sich Marcus Beyer in flüssigem Stickstoff konservieren lassen – in der Hoffnung, in ferner Zukunft weiterzuleben. Ein Münsteraner Wissenschaftler übt Kritik.

Es ist kein alltäglicher Entschluss, den der in Reute lebende Marcus Beyer getroffen hat. Der Software-Entwickler in der Medizinischen Informatik möchte sich nach seinem Tod in flüssigem Stickstoff „kryokonservieren“ lassen. Wie andere „Kryoniker“ hofft der Ex-Gundelfinger darauf, in vielen Jahrzehnten einen zweiten Frühling zu erleben. „Die Entwicklung der Menschheit fasziniert mich einfach“, erklärt der 49-Jährige seine Motivation. Er wolle wissen, wie es weitergeht.

Die Geschichte der Medizin zeige, dass sukzessive immer mehr Krankheiten geheilt werden könnten. Kryonik versuche eine Art innovativer Krankenwagen zu sein, der Personen in eine Zeit transportiert, in der sie geheilt werden könnten. Für die Überbrückung dieser langen Zeitspanne setzt die Kryonik auf extrem niedrige Temperaturen. Auf diese Weise sollen nach dem Tod keine „weiteren Schäden“ an den Körpern der „Patienten“ auftreten.

Daher wird das Blut durch eine Flüssigkeit ersetzt, die bei einer Temperatur von etwa minus 130 Grad Celsius fest wird, ohne Eiskristalle zu bilden.  Durch die Lagerung in flüssigem Stickstoff würde selbst ein Stromausfall kein Problem darstellen.

Beyer interessiert sich schon lange für die Thematik. „In den 1990ern las ich einen Artikel zum Thema Kryonik und fand es gleich faszinierend.“ Im Mai 2006 war er Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft für Angewandte Biostase (DGAB), zeitweise war er auch im Vorstand. Heute zählt die DGAB laut Pressesprecher David Peter-Gumbel rund 140 Mitglieder.

Es handle sich um den einzigen gemeinnützigen Kryonik-Verein dieser Größe in Deutschland. Beyer jedoch hat die Vereinsarbeit aufgegeben. „So kann ich mich viel unbeschwerter mit der Thematik beschäftigen, ohne gemeinnützige Regularien und sonstiges Vereinsrecht im Hinterkopf haben zu müssen.“

Doch er ist der Kryonik treu geblieben – und hat Vorkehrungen getroffen: Mit einem auf die Kryokonservierung von Menschen spezialisierten Biotech-Unternehmen hat er einen Vertrag abgeschlossen. Nach dem Tod soll sein Körper in der Schweiz „gelagert“ werden. Finanziert wird das 200.000 Euro teure Verfahren über eine Risikolebensversicherung, an die Beyer monatlich 50 Euro überweist. „Die Wahrscheinlichkeit einer Heilung vermag ich nicht einzuschätzen, nur dass sie offenbar höher ist als bei den Alternativen – also etwa Beerdigung oder Kremation“, sagt er.

Ein Innovativer Krankenwagen?

Rechtlich betrachtet handelt es sich bei der kryonischen Versorgung, so Peter-Gumbel von der DGAB, um eine Körperspende an ein wissenschaftliches Institut. Für die „Langzeitlagerung“ gebe es allerdings in Deutschland noch kein Institut. In der Schweiz wurde hingegen gerade die European Biostasis Foundation eröffnet, in Australien entsteht aktuell auch ein solches Institut. Die beiden ältesten Organisationen befinden sich in den USA. Bei Alcor in Arizona lagern aktuell circa 200 kryokonservierte „Patienten“, im Cryonic Institute in Michigan etwa 230.

Von den Verheißungen der Kryonik hält Stefan Schlatt wenig. Er ist Professor am Institut für Reproduktions- und Regenerationsbiologie am Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie an der Uni Münster. Im Gespräch mit dem chilli bezeichnet er die Kryonisierung von Menschen als „riesige und ekelhafte Geschäftemacherei“. Die Verantwortlichen würden seiner Meinung nach über die Möglichkeiten der Kryonik lügen.

Peter-Gumbel betont dagegen, dass alle Organisationen explizit darauf hinwiesen, dass es noch keine Möglichkeit gebe, kryokonservierte „Patienten“ wieder ins Leben zu holen. Zudem werde stets erklärt, dass die Chancen zur Wiederbelebung von einer Vielzahl von Faktoren abhingen. „Die Organisationen sind diesbezüglich also gerade besonders transparent“, sagt Peter-Gumbel. Zudem seien die großen Kryonikanbieter in den USA und der Schweiz Non-Profit-Organisationen beziehungsweise Stiftungen. Als solche dürften sie mit der Kryokonservierung kein Geld verdienen. Die Gelder würden ausschließlich dazu verwendet, die Langzeitlagerung sowie die Forschung zu finanzieren.

Doch auch auf der wissenschaftlichen Ebene hat Schlatt Einwände. Man könne durchaus Spermien oder auch Embryonen einfrieren und wieder auftauen – das sei Kryonik pur. Dasselbe mit Menschen zu machen, sei eine Fiktion, erklärt Schlatt. „Das wird es nie geben.“

Man könne Zellen einzeln einfrieren, aber bei verschiedenen Zellen gebe es verschiedene Protokolle, wie dies abzulaufen habe. „Der menschliche Körper besteht aus vielen volldifferenzierten Zellen“, erklärt der Wissenschaftler. „Alle auf die gleiche Art einzufrieren, das funktioniert nicht.“ Selbst wenn das bewerkstelligt werden könnte, wäre es nicht möglich, Gefäße oder Nervenzellen zu erhalten.

Ohnehin sei die Lebenserwartung für jeden Organismus fest geregelt. Nicht umsonst spreche man beispielsweise von einer Eintagsfliege. „Wir altern, das hat nichts mit Krankheiten zu tun“, fügt Schlatt hinzu. Das ließe sich nicht bremsen. „Älter als 125 Jahre zu werden, das ist nicht möglich.“

Die Kritik des Wissenschaftlers lässt Peter-Gumbel nur bedingt gelten. Dass Organe und Zellen unterschiedliche, optimale Gefrierkurven hätten, sei bekannt, erklärt er. „Ein Großteil der Forschung beschäftigt sich gerade damit und es wird laufend daran gearbeitet, die Protokolle zur Kryokonservierung dahingehend zu verbessern.“

Die meisten Menschen tun die Thematik als Science-Fiction ab. Wenn Bekannte Beyers von seinem Engagement erfahren, fänden sie es meist irgendwie schräg, mitunter seien sie interessiert. „Ich erfahre Unterstützung von allen, die mir wichtig sind“, sagt Beyer. Egal, ob sich die Welt positiv oder negativ entwickelt – der Kryoniker will es erleben. Wenn man den Biologen Schlatt fragt, hat er schlechte Karten.

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