Kämpfe, Rekorde und ungenutzte Potenziale – Experten: So bremsen Politik und Verwaltung den Ausbau erneuerbarer Energien STADTGEPLAUDER | 15.07.2022 | Philip Thomas und Pascal Lienhard

Andreas Markowsky Andreas Markowsky: Einzelinteressen bremsen Klimaschutz für alle.

Russland überfällt die Ukraine und Deutschland stellt fest, dass es am Gashahn eines Despoten hängt. Energie-Experten aus Südbaden sind sich einig: Die Abhängigkeit der Bundesrepublik von Putins Gas und fossilen Brennstoffen ist hausgemacht.

Der Kampf gegen Windmühlen: Windkraft

Windkraft in Deutschland ist ein Kampf gegen Windmühlen. Vergangenes Jahr gingen hierzulande lediglich 484 Windräder ans Netz, 31 davon in Baden-Württemberg. Das ist der niedrigste Wert seit 20 Jahren und die Fortsetzung eines Negativtrends. 2018 wurden unter ausgeweiteten Ausschreibungsverfahren und verschärften Abstandsregeln 743 Windmühlen aufgestellt. Im Jahr davor waren es laut Bundesverband Windenergie (BWE) 1792.

Der Geschäftsführer der 1994 gegründeten Ökostromgruppe in Freiburg, Andreas Markowsky, zweifelt angesichts solcher Zahlen, dass das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) sein Ziel, 80 Gigawatt bis 2030 an Land zu installieren, einhält. „Dabei spielt Windkraft neben Solar eine überragende Rolle bei der Energiewende. Die werden uns die großen Brocken liefern“, sagt der 70-Jährige.

Off- und Onshore produzierten deutsche Windkrafträder laut BWE im vergangenen Jahr insgesamt 122 Terrawattstunden Strom und deckten damit mehr als ein Fünftel des deutschen Bruttostromverbrauchs von 565 Terrawattstunden. Eine von insgesamt vier bei Oberwolfach ans Netz gegangenen 4,2-Megawatt-Mühlen versorgt seit einem Jahr mehr als 3200 Durchschnittshaushalte mit Strom – und spart jährlich rund 4675 Tonnen CO2. Das entspricht wiederum so viel Treibhausgas wie 780 Hektar Wald im Jahr speichern.

Und die Windkrafträder werden immer effizienter. Markowskys erste Anlage ging vor 25 Jahren im Schuttertal ans Netz und lieferte jährlich 100.000 Kilowattstunden. Eine mit rund sechs Millionen Euro veranschlagte Anlage auf der Holzschlägermatte, nördlich vom Schauinslandgipfel, soll zehn Millionen Kilowattstunden Strom liefern. 

Durch sogenanntes Repowering können alte Windkraftanlagen durch neue ersetzt werden, mehr Standorte müssen damit nicht ausgelotet werden. Nach rund 20 Jahren Betrieb wurden in Schweighausen im Schwarzwald zwei bis zu 90 Meter hohe Anlagen durch eine neue Windmühle mit einer Höhe von 185 Metern ersetzt. Das Ergebnis: Statt einer Million Kilowattstunden werden dort nun jährlich fünf Millionen Kilowattstunden Strom produziert.

Und das vergleichsweise günstig. Eine Kilowattstunde von der Holzschlägermatte kostet 6,7 Cent. Die gleiche Menge Strom vom Deich kommt auf 4,5 Cent. Allerdings kostet der Transport von Nord nach Süd weitere acht Cent. „Es ist wichtig, lokal zu produzieren. Eine verbrauchsnahe Erzeugung ist volkswirtschaftlich immer günstiger“, kommentiert der Geschäftsführer.

42 Windräder hat Markowsky bisher in Süddeutschland bauen lassen, die meisten unter starkem Gegenwind. Die Sorgen aus der Bürgerschaft sind oftmals groß, die Liste der bürokratischen Hürden ist in der Regel lang. 1000 Seiten – in zwanzigfacher Ausführung –, mehrere 100.000 Euro und sechs Jahre sind laut dem Experten für die Genehmigung einer Windmühle notwendig. „Jeder fünfte bis sechste Antrag mit guten Chancen wird abgelehnt“, so Markowsky. 

Das Ergebnis: In den vergangenen zwei Jahren gingen in Baden-Württemberg bloß 40 neue Windanlagen ans Netz. „Das ist natürlich viel zu wenig“, findet auch Matthias Schmid, Sprecher vom Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft. Um den Ausbau im Land voranzubringen, hat die Landesregierung die „Taskforce Erneuerbare Energien“ gegründet. Sie soll Klimaneutralität und damit Energieunabhängigkeit bis 2040 bringen. Die Dauer von Genehmigungsverfahren für Windkraftanlagen sollen laut Schmid „möglichst“ halbiert werden.

Diese Windmühlen brauchen Platz. Im Klimaschutzgesetz des Landes ist verankert, dass in Regionalplänen künftig mindestens zwei Prozent der Flächen für Wind- und Solarkraft reserviert sein müssen. Der Koalitionsvertrag verspricht Voraussetzungen für 1000 neue Windräder im Land. Aufgestellt wurden im ersten Quartal dieses Jahres in Baden-Württemberg ganze drei.

Für Markowsky ist das nicht genug. „Der Regierung ist es bislang nicht gelungen, sich gegen den Teil der Verwaltung durchzusetzen, der bremst“, betont er. Ein weiterer Faktor für die Windkraft-Flaute ist der Widerstand aus der Bevölkerung. „Viele räumen ihren Einzelinteressen mehr Priorität ein als dem für alle essentiellen Klimaschutz“, so Markowsky. Von Freiburg bis Löffingen steht keine Windkraftanlage. Die Argumente dazwischen seien immer die gleichen: Landschaftsbild, Denkmal-, Natur- und Tierschutz. 

Davon kann auch Rüdiger Ahlers ein Lied singen. Geht es nach dem Münstertaler Bürgermeister, sollen am Haldenköpfle zwei Windkraftanlagen der neuesten Generation entstehen und genug Strom für die rund 5000 Haushalte der Gemeinde liefern. Ob das allerdings geschieht, soll Ende Juli im Gemeinderat geklärt werden. Eine Prognose zur Abstimmung will der SPD-Mann lieber nicht abgeben: „Die Diskussion ist hochemotional.“

Bringt die Debatte um russisches Gas und mehr Klimaschutz nun frischen Wind? Markowsky winkt ab: „Es gibt viele Ankündigungen, aber bisher nur wenig konkrete Fortschritte. Wenn nicht noch gravierende Änderungen kommen, scheitert die Energiewende wieder.“

Mit der Sonne um die Wette: Photovoltaik

Solarzellen werden immer leistungsfähiger. Der aktuelle Effizienz-Weltmeister, eine Zelle mit einem Wirkungsgrad von 47,6 Prozent, kommt aus Freiburg. Die alte Bestmarke von 47,1 Prozent halten Wissenschaftler aus dem US-amerikanischen Colorado. „Das ist unsere Olympiade“, sagt Frank Dimroth, Abteilungsleiter für Photovoltaik und Konzentrator-Technologie am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE. Möglich gemacht hat den Rekord eine neue Antireflexbeschichtung. „Wir haben Prozesse in der Entspiegelung verbessert, dadurch prallt weniger Sonnenlicht von der Zelle ab und die Widerstandsverluste sinken“, erklärt der 51-Jährige.

Herkömmliche Silizium-Solarzellen können Sonnenlicht bis zu einer Wellenlänge von rund 1200 Nanometern absorbieren. Die vierfach entspiegelte Rekord-Zelle aus Arseniden und Phosphiden nimmt Licht bis zu 1800 Nanometer auf. Ein weiterer Kniff, um das Potenzial zu steigern: Durch Linsen wird einfallendes Licht auf wenige Quadratmillimeter kleine Bauteile gebündelt. Mittelfristig sollen die sogenannten Tandemsolarzellen einen Wirkungsgrad von 50 Prozent erreichen.

Wie skalierbar ist die neue Zelle, die in sonnigeren Ländern als Deutschland zum Einsatz kommen und dort ein Drittel Modul-Fläche sparen soll? „Es ist eine Herausforderung, neue Technik marktreif zu machen. Wir sprechen hier von Investitionen im Milliarden-Bereich“, sagt Dimroth. Letztendlich bestimmten Produktionskapazitäten den Preis und damit auch die Nachfrage.

Und die ist global nicht gering. Die Internationale Energieagentur (IEA) geht davon aus, dass allein im vergangenen Jahr Photovoltaikanlagen mit einer Leistung von rund 175 Gigawatt ans Netz gingen. Dieses Jahr soll die weltweit installierte Gesamtleistung erstmals die 1000-Gigawatt-Marke (1 Terrawatt) knacken. Zum Vergleich: Ein mittleres Kernkraftwerk leistet knapp 1,2 Gigawatt.

Für Deutschland gibt der Koalitionsvertrag der Ampel einen bundesweiten PV-Ausbau bis 2030 von „circa 200 Gigawatt“ aus. Ein weiter Weg: Aktuell stehen hierzulande laut ISE rund 2,2 Millionen PV-Anlagen mit einer Gesamtleistung von 62 Gigawatt. „Das reicht bei Weitem nicht“, sagt Dimroth. 

Frank Dimroth mit seiner Solarzelle

Die Zukunft in den Händen: Frank Dimroth, Abteilungsleiter am Fraunhofer ISE, hat die effizienteste Solarzelle der Welt konstruiert.

Der Ausbau müsste eine Aufholjagd werden. Schließlich wurde der Solar-Ausbau in Deutschland durch die Novellierung des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG) im Jahr 2012 gebremst: Ein Jahr später halbierte sich der Zubau laut Bundesverband Solarwirtschaft (BSW-Solar) von 7,6 Gigawatt auf 3,3 Gigawatt. „Das war eine Delle“, kommentiert Dimroth. Vergangenes Jahr stieg der Ausbau um 5,2 Gigawatt, 2020 waren es noch 4,8 Gigawatt Zubau. Baden-Württemberg steuerte 0,59 Gigawatt bei und hatte damit zum Jahreswechsel insgesamt 7,4 Gigawatt installiert.

Dimroths Kollege Christoph Kost, Leiter der Gruppe Energiesysteme und Energiewirtschaft am ISE, schätzt, dass bundesweit die sechs- bis achtfache PV-Leistung installiert werden müsste, um den Strombedarf zu decken. Damit das geschieht, müssen die Rahmenbedingungen für Investitionen günstiger werden. Private PV-Anlagen kosten je Kilowatt installierter Leistung zwischen 1200 und 1800 Euro. Das ist historisch preiswert. „In 50 Jahren ist Silizium-Photovoltaik um den Faktor 100 günstiger geworden“, sagt Dimroth.

Weil auch die Einspeisevergütung gesunken ist, amortisieren sich solche Anlagen – je nach Energieverbrauch – allerdings erst nach vielen Jahren: Vier Cent zahlt die Badenova derzeit für eine Kilowattstunde aus einer PV-Anlage mit einer Maximalleistung von 10 Kilowattstunden. Vor zehn Jahren waren es fast 40 Cent.

Fast grenzenlose Potenziale: Tiefengeothermie

Der Begriff sorgt nach wie vor für Unbehagen. Zu viele Negativschlagzeilen hat die Geothermie über die Jahre gesammelt, nicht zuletzt in der Region. Dabei birgt diese regenerative Wärmegewinnung große Potenziale; bei wissenschaftlich korrektem Vorgehen ohne größere Risiken. Darauf baut das Projekt „Erdwärme Breisgau“ der Badenova-Tochter Wärmeplus.

„Das Potenzial der Erdwärme ist in menschlichen Dimensionen gerechnet quasi unerschöpflich“, sagte der technische Geschäftsführer Klaus Preiser vergangenen Herbst auf einer Regionalkonferenz. Nach Einschätzung des Energieversorgers könnten mit Nutzung der Tiefengeothermie bei einer Investitionssumme von etwa 50 bis 60 Millionen Euro im Endausbau circa 75.000 Tonnen CO2 pro Jahr eingespart werden und rund 40.000 Personen mit CO2-freier Wärme versorgt werden. Allein in München und Umgebung sind bereits über 15 Tiefengeothermie-Anlagen zur Wärme- und Stromerzeugung in Betrieb.

Es sind vor allem die Erinnerungen an Staufen, aber auch an Basel und Straßburg, die Geothermie ein Imageproblem angehängt haben. In Staufen haben Bohrungen zu Hebungsrissen und einem Millionenschaden geführt, in Basel und Straßburg führten Bohrungen zu Erschütterungen. Preiser und Projektleiter Simon Laub betonen die Unterschiede zu den Negativbeispielen. In Staufen war der sogenannte Gipskeuper durchbrochen worden, das ist in Baden-Württemberg inzwischen verboten. In Basel und Straßburg wurde mit dem petrothermalen Verfahren gearbeitet, das im Ländle unzulässig ist.

Tiefengeothermie

Die Tiefengeothermie endet bei circa 2000 bis 3500 Metern Tiefe. Oben hat das Bohrloch einen Durchmesser von ungefähr 80 Zentimeter.

Bei „Erdwärme Breisgau“ soll derweil die hydrothermale Tiefengeothermie zum Einsatz kommen. Hierbei wird heißes Wasser in einem geschlossenen Kreislauf aus der Erde nach oben gepumpt, in einem Wärmetauscher abgekühlt und zurück in die Erde transportiert. Dabei wird 2000 bis 3500 Meter in die Tiefe gebohrt.

Ein Aufsuchungsgebiet auf dem Gebiet von 19 Kommunen hat die Badenova auf ein Potenzialgebiet auf der Fläche der Kommunen Bad Krozingen, Breisach am Rhein, Ehrenkirchen, Freiburg, Hartheim, Merdingen und Schallstadt eingegrenzt. Anfang des Jahres fanden 3D-seismische Messungen statt, die über die geologischen Strukturen des Untergrunds aufklären sollen. Bohrungen sollen nicht vor 2024 beginnen. Die ersten Haushalte können frühestens ab 2026 versorgt werden.

Bevölkerung und Politik sind ins Projekt eingebunden, etwa in Form des Bürgerschaftsrats mit zufällig ausgewählten Bürgern. Nach intensivem Austausch und Meinungsbildung durch Anhörung von Kritikern, Befürwortern, Wissenschaftlern, Projektierern sowie Vertretern von Verbänden und Organisatoren wurde der Badenova und der Politik im Mai ein 60 Seiten starker Schlussbericht übergeben. Fazit: Von 34 Bürgern sprechen sich 31 bei einer Gegenstimme und zwei Enthaltungen für die Umsetzung des Projekts aus.

Foto: © Eberle, Fraunhofer
Illustration: © Wärmeplus