„The new normal“: Neues Karriereprogramm bringt Eltern und Unternehmen zusammen STADTGEPLAUDER | 02.08.2021 | Tanja Senn

Homework Familie

Kind und Karriere – selbst im Jahr 2021 ist das nicht einfach unter einen Hut zu bringen. Vor allem nicht, wenn man in einer Führungsposition arbeitet und zugunsten der Kinder nur noch in Teilzeit arbeiten möchte. Das Freiburger Programm Adulty will da Abhilfe schaffen.

Nur 14 Prozent aller Frauen in deutschen Führungsetagen arbeiten Teilzeit. Dass solch eine Stelle wie eine „Rosine im Kuchen“ ist, weiß auch Rebecka Asal. Die Mutter von zwei kleinen Kindern war fünf Jahre lang raus aus ihrem Beruf als Verwaltungsleiterin. Als sie nach der Elternzeit wieder einsteigen wollte, merkte sie schnell: Führungsstellen in Teilzeit sind eine Rarität. „Das war eine bittere Erkenntnis für mich“, sagt die 42-Jährige aus dem Kinzigtal.

Mehr als ein Jahr lang durchforstete sie Stellenanzeigen nach einem passenden Job. Als einfache Sachbearbeiterin wiedereinzusteigen, nachdem sie 15 Jahre für ihre Karriere gearbeitet hatte, kam für sie nicht in Frage. Ebenso wenig wie die Rückkehr zu ihrem Arbeitgeber: „Meinen bisherigen Job in Teilzeit auszuführen, das hätte für beide Seiten keinen Sinn gemacht.“

»Junge Eltern gegen den Fachkräftemangel«

Als Adulty-Gründerin Marlene Körschges sie fragte, ob sie nicht als erste Teilnehmerin mitmachen wolle, war sie daher begeistert: „Mir war gleich klar, dass dieses Projekt Pioniergeist hat.“ Dabei ist die Idee eigentlich simpel: Adulty ist ein Karriereprogramm für hochqualifizierte Eltern kleiner Kinder. Unternehmen vergeben darüber anspruchsvolle, strategische Projekte, die die Teilnehmer∙innen in einer neuen Form der Arbeit bearbeiten: bei freier Zeiteinteilung, in einem begrenzten Umfang von ein bis zehn Stunden die Woche, hierarchiefrei und selbst organisiert sowie digital. Vorab gibt es Schulungen in Sachen Projektmanagement, Leadership & Co.

Dass das vonseiten des Arbeitgebers eine sehr hohe Flexibilität erfordert, weiß Körschges. Und doch soll es auch für Unternehmen ein großes Problem lindern: den Fachkräftemangel. So ist Adulty – heute eine selbstständige, gemeinnützige Gesellschaft – vor gut einem Jahr als Programm der industriellen Unternehmensgruppe f.u.n.k.e gestartet. „Der Fachkräftemangel ist ein großes Thema in der Gruppe, das uns schon die eine oder andere Entwicklungschance geraubt hat“, erzählt die 29-Jährige. Gleichzeitig bekam sie als Personalerin immer wieder die Sorgen werdender Eltern mit, nach der Elternzeit nicht mehr an den Beruf anknüpfen zu können.

Geschäftsführerin von Adulty

Selbst gerade in Elternzeit: Adulty-Geschäftsführerin Marlene Körschges.

Adulty will dabei kein alternativer Arbeitsplatz, sondern ein Qualifizierungsprogramm sein. Die Mitarbeit ist daher auf höchstens zwei Jahre begrenzt. Erster Kunde: der Pfizer Healthcare Hub Freiburg. Für dessen Leiter Peter Neske kam Adulty gerade zur richtigen Zeit: „Ich hatte das Problem, dass mein Team von heute auf morgen implodiert ist und ich mit einem riesigen Berg an Aufgaben dastand.“ Eine davon: die Erstellung eines Kommunikationskonzepts, eine „strategisch anspruchsvolle Aufgabe“, wie Neske weiß. Als sich über Adulty schnell drei Teilnehmerinnen fanden, war er zunächst skeptisch. „Ich hatte die Sorge, dass ich jetzt drei neue Leute managen muss.“

Die erwies sich jedoch als unbegründet. Die drei Mütter – darunter auch Rebecka Asal – organisierten sich selbst, teilten die Aufgaben selbstständig untereinander auf, legten ihre Arbeitszeiten selbst fest. „Dazu braucht es Vertrauen, gute Spielregeln und den Mut, Arbeit neu zu denken“, weiß Körschges. Damit das auch funktioniert, nimmt Adulty nur Eltern mit Projektleitungs- oder Führungserfahrung auf, die ein strenges Assessment Center durchlaufen müssen.

»Es braucht Mut, Arbeit neu zu denken«

Asal, ist sich sicher: Es lohnt sich. Durch das Pfizer-Projekt konnte sie wieder ins Berufsleben eintauchen – und das komplett flexibel, was Arbeitszeiten und -ort angeht. Da habe es auch Meetings gegeben, die abends um 20.30 Uhr gestartet sind. Eine Uhrzeit, zu der andere nach einem anstrengenden Tag die Füße hochlegen … „Ich möchte die Adulty-Arbeitswelt nicht idealisieren“, sagt Körschges, „oft arbeiten die Eltern auch abends oder am Wochenende. Doch für viele ist der Beruf eben auch eine Form der Selbstverwirklichung.“

Neske glaubt: Was Adulty heute vormacht, ist die Arbeitsform von morgen. „Was ist ‚the new normal‘? Sicher ist, es wird nicht mehr das gleiche sein, wie vor der Pandemie.“ Auch Körschges, die seit Ende Juni selbst in Elternzeit ist, glaubt an die Zukunft dieser neuen Arbeitswelt: „Vielleicht ist Adulty in ein paar Jahren gar nicht mehr nötig, weil es dann schon so viele Arten des neuen Arbeitens gibt.“

Nach der Elternzeit

… haben Arbeitnehmer∙innen eigentlich das Recht auf einen gleichwertigen Arbeitsplatz bei ihrem bisherigen Arbeitgeber. Die Realität sieht oft anders aus: Bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes wurden seit 2006 rund 400 Beschwerden wegen Diskriminierung eingereicht – die Dunkelziffer dürfte weit darüber liegen. Daher hat sich im März die Initiative #proparents gegründet, die Elternschaft als Diskriminierungsmerkmal gesetzlich festschreiben möchte. Hier finden sich zahlreiche Beispiele für Diskriminierungen wie ungerechtfertigte Ablehnungen von Teilzeitanträgen, Kündigungen am ersten Tag nach der Elternzeit etc.

Fotos: © pixabay, adulty