Wirkung ohne Wirkstoff: Auch offensichtliche Placebos heilen laut Freiburger Forschern Gesundheit | 22.07.2021 | Till Neumann

Placebo Können heilen: Tabletten, die eigentlich keine sind.

Tabletten schlucken, die eigentlich keine sind. Kann das helfen? Ja, zeigt ein Team des Freiburger Uniklinikums. Das Kuriose dabei: Die Gruppe um Stefan Schmidt belegt,
dass Placebos auch wirken, wenn die Patientinnen wissen, dass sie ein Scheinmedikament schlucken.

„Rückenschmerzen, Depression oder ADHS? Nehmen Sie einfach diese absolut wirkstofffreie Brausetablette!“ Überspitzt gesagt könnte so ein Werbeslogan für Placebos lauten. Denn die drei Beschwerden lassen sich auch mit bewusst eingenommenen Placebos behandeln. Das zeigt eine Untersuchung aus Freiburg, die 13 internationale Studien mit insgesamt 834 Teilnehmer·innen ausgewertet hat.

„Sinnstiftendes Potenzial“

Sie belegt erstmals ­wissenschaftlich mit einer größeren Datenmenge, was Pharmakonzerne ungern hören dürften: Scheinmedikamente wirken, auch wenn Patienten vorher wissen, dass sie ein Placebo bekommen. Veröffentlicht wurde das Ergebnis im ­Februar in der Fachzeitschrift Scientific Reports.

Überrascht vom Ergebnis ist Studienleiter Stefan Schmidt nicht. Der 53-Jährige ist Chef der Sektion Systemische Gesundheitsforschung an der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. 1993 hat er sich erstmals mit Placebos und deren Wirkung befasst – und weiß um das Potenzial. „Die Medizin hat einen physiologischen Effekt, aber auch sinnstiftendes Potenzial“, sagt der Forscher. Genau dieses Sinnstiftende funktioniere bei Placebos.

Placebo

Ist wenig überrascht von der Placebo-Wirkung: der Freiburger Forscher Stefan Schmidt.

„Wir behalten das Ritual, aber entfernen den Wirkstoff“, sagt Schmidt. Entscheidend sei das Narrativ. Also was die Behandelnden ihren Patient·innen sagen, wenn sie das Placebo verabreichen. Schmidt nennt vier Punkte: „Das wirkt gut. Es hat auch vielen anderen schon geholfen. Es ist kraftvoll. Sie müssen nicht daran glauben, aber nehmen Sie es regelmäßig.“

Und bei einer Impfung?

Im Verabreichen einer Tablette sieht Schmidt einen entscheidenden Akt: „Wir machen dabei auch etwas Psychisches: Wir entscheiden uns bewusst für die Einnahme und generieren Hoffnungen oder positive Erwartungen.“ Wenn etwas psychisch gut sei, könne es auch körperlich wirken.

Bei Knochenbrüchen funktionieren Placebos nicht, erklärt Schmidt. Dort sei die Heilung vor allem ein biomechanischer Vorgang. Und bei einer Corona-Impfung? „Sie stärken vielleicht das Immunsystem, haben aber keinen Impfschutz.“ Auch das sei ein hauptsächlich biomechanisches Programm.

Schwere Forschung

Kritische Rückmeldungen hat Schmidt nicht bekommen: „Das ist wissenschaftlich solide.“ Aber auch schwer zu erforschen: Denn die Psyche ist komplex. Im nächsten Schritt müsse das Narrativ genauer untersucht werden. Also welche Aussagen wie wirken.

Für die Medizin könnte die Placebo-Forschung ein Anstoß sein. „Das Optimierungspotenzial beim Biochemischen ist nahezu ausgereizt“, sagt Schmidt. Da könne man nur mit hohem Forschungsaufwand Ergebnisse erzielen. Beim Sinnstiftenden sei die Lage anders – da wäre mit wenig Einsatz vieles möglich.

Start als Morphium-Ersatz

Placebos – auch ein Mittel der Täuschung
Im Zweiten Weltkrieg verabreichte der amerikanische Arzt Henry Beecher Verwundeten notgedrungen Kochsalzlösung statt Morphin. Über die erstaunliche Wirkung veröffentlichte er 1955 den Artikel „The Powerful ­Placebo“ und rückte damit die Heilkraft von Placebos in den wissenschaftlichen Fokus.

Heute werden Placebos eingesetzt, um die Wirkung von ­Medikamenten zu testen. Beispielsweise beim Erforschen von Corona-Impfstoffen. Sie werden auch bei der Behandlung von Patienten verwendet, um keine zu hohen Dosen zu verabreichen. Ein Vorteil solcher „offen verabreichter Placebos“ ist, auf die gezielte Täuschung von Patienten zu verzichten.

Fotos: © privat, iStock.com/Olivier Verriest

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