Heimspiel: Für soziale Gerechtigkeit STADTGEPLAUDER | 16.02.2022 | Erika Weisser

Porträt von Michael Moos

Mehr als 22 Jahre lang war ­Michael Moos Stadtrat der Linken Liste – Solidarische Stadt. Nun schied der 75-jährige Rechtsanwalt, der auch Co-Vorsitzender der Fraktionsgemeinschaft „Eine Stadt für Alle“ war, aus dem Freiburger Gemeinderat. OB Martin Horn verlieh ihm „in Würdigung seiner besonderen Verdienste um die Stadt und ihre Bürgerinnen und Bürger“ das silberne Stadtsiegel.

„Meine ersten Aktivitäten in Frei­burg hatten ein kommunalpolitisches Thema, die vom Gemeinderat beschlossene Fahrpreiserhöhung für öffentliche Verkehrsmittel. Ich war im WS 1967/68 von Tübingen nach Freiburg und vom dortigen SDS in die hiesige Gruppe gewechselt. Im Januar 1968 organisierten wir Demonstrationen gegen diesen Beschluss, viele Studenten, Schüler und auch Lehrlinge nahmen daran teil. Am Bertoldsbrunnen, wo es damals noch keine Fußgängerzone gab, kam es dabei auch zu Sitzblockaden.

Zu diesen hatte ich per Megaphon aufgerufen, weswegen die Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl gegen mich beantragte – wegen Rädelsführerschaft zum Landfriedensbruch. Doch der Haftrichter ließ mich gehen. Andere hatten weniger Glück und mussten über Nacht in U-Haft am Holzmarkt bleiben. Ich studierte Jura, war in den Ausein­andersetzungen an der Uni aktiv, beteiligte mich an den großen Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg und am Kampf gegen die Notstandsgesetze; im Mai 1968 fuhren wir mit über 1000 Leuten aus Freiburg zur zentralen Demo nach Bonn. Das waren für mich sehr wichtige und prägende politische Ereignisse, die auch Freiburg verändert haben: Viele junge Leute gingen damals zum ersten Mal auf die Straße und politisierten sich.

Zu diesen prägenden Ereignissen zählt auch der Kampf gegen das geplante AKW in Wyhl. Der Moment, als sich nach der zweiten Platzbesetzung im Frühjahr 1975 die Polizei vor uns zurückzog, das war so ein Erlebnis, das man nie vergisst. Das Gefühl, dass es sich lohnt, solche Kämpfe zu führen, dass man etwas bewirken kann, nicht machtlos ist.

Einen der schönsten Momente in meiner Gemeinderatstätigkeit erlebte ich vor vier Jahren, als sich alle unserem Antrag für die Einrichtung eines NS-Dokumentationszentrums anschlossen. Es hat mich sehr bewegt, dass es bei allen Unterschieden und trotz harter Auseinandersetzungen einen einstimmigen Beschluss gab.

Es gäbe noch viel zu erwähnen, was wir seit 1999, als Hendrijk Guzzoni und ich im Gremium noch als extreme Außenseiter galten und nur wenig bewirken konnten, auf den Weg gebracht haben. Mit der Zeit fanden wir für sozialpolitische Anliegen Mehrheiten, etwa für die Einführung des Sozialtickets oder der 50-Prozent-Quote für Sozialwohnungen bei Neubauvorhaben. Dank der sehr fruchtbaren Zusammenarbeit unserer Fraktionsgemeinschaft, vor allem auch mit der SPD, ist es auch gelungen, 2006 den bereits beschlossenen Verkauf der Stadtbau zu verhindern – mit einem Bürgerentscheid.

Ich scheide nun mit Wehmut aus dem Gemeinderat, aber auch zufrieden: Einige Weichen sind gestellt, einiges wurde erreicht, anderes aber noch sehr im Argen, wie die Wohnungsnot oder die fehlende Bildungsgerechtigkeit. Es liegt nun an meinen Kolleginnen und Kollegen, weitere Schritte in Richtung soziale Gerechtigkeit zu gehen.“

Foto: © Felix Groteloh