Heimspiel: „Gelebte Verkehrsgeografie“ STADTGEPLAUDER | 24.04.2021 | Erika Weisser

­Ulrich Heilgeist

Mehr als 20 Jahre lang war ­Ulrich Heilgeist als überaus auskunftsfreudiger Berater im kleinen DB-­Reisezentrum im Wiehrebahnhof beliebt. Wegen seines schier unendlichen Wissens über in- und ausländische Eisenbahnlinien, Fahrpläne und ­Zugverbindungen kamen Leute aus ganz Freiburg zu ihm – und wegen seiner Geduld, mit der er selbst auf die komplexesten Anliegen der Kunden einging und passgenaue Reiserouten fand. Jetzt ist der 65-Jährige im Ruhestand und tüftelt nur noch für Familie und Freunde Zugfahrten aus.

„Eigentlich wollte ich gleich nach dem Abi bei der Bundesbahn anfangen. Doch damals herrschte strikter Einstellungsstopp. Also jobbte ich während meines Elektrotechnik-Studiums in Stuttgart beim dortigen Verkehrsverbund. Eisenbahnen waren ja seit meiner Geburt eine Art Lebenselixier. Vermutlich galt schon mein erster Blick nicht meiner Mutter, sondern vorbeifahrenden Zügen, denn das Krankenhaus, in dem ich zur Welt kam, lag direkt an der Bahnlinie in Marbach. Mein Interesse am Zugfahren hat aber vor allem mein Vater geweckt. Er war ein so begeisterter Kursbuch-Leser, dass er überall ‚der wandelnde Fahrplan‘ genannt wurde.

Er hat mir früh das Kursbuchlesen beigebracht, dafür bin ich ihm bis heute dankbar. Denn das war die beste Voraussetzung, um hier anzufangen. Natürlich haben dabei auch meine eigenen Reisen eine Rolle gespielt. Ich war immer gerne im Zug unterwegs, habe etwa während der Wehrdienstzeit jeden freien Tag genutzt, um mit der Bahn durch die Gegend zu fahren. Dabei habe ich stets darauf geachtet, mein Reiseziel auf möglichst umwegigen Nebenlinien mit vielen Umstiegen zu erreichen. Die kürzeste Hauptstrecke war ja keine Herausforderung, außerdem wollte ich alle Besonderheiten der jeweiligen Gegend kennenlernen. Gelebte Verkehrsgeografie nenne ich das.

Zudem bin ich ein leidenschaftlicher Landkartenfetischist, kann mich stundenlang damit beschäftigen, um schöne Reiseziele zu finden. Im Sommer 1986 stellten sich bei einer solchen Reise per Zufall auch meine eigenen Weichen neu. Ich kam von Stuttgart über verschiedene Quer- und Parallelstrecken nach Freiburg und las auf einem Zettel im Hauptbahnhof, dass man hier zum 1. November neues Personal einstellte. Ich bewarb mich und hatte Glück, konnte endlich mein Hobby zum Beruf machen.

Zunächst war ich als Zugbegleiter unterwegs – ins Elztal, nach Breisach, das Höllental rauf und runter. Ich nahm auch an sämtlichen Lehrgängen teil, im Stellwerk, bei der Gepäckausgabe, am Fahrkartenschalter. Das hat mir natürlich am besten gefallen. Doch es dauerte, bis ich nur noch im Schalterdienst war. Als Zugbegleiter auf der Höllentalbahn kam ich zwar mehrmals täglich am Wiehrebahnhof vorbei, doch erst um die Jahrtausendwende war es dann so weit. Ich habe immer mein Bestes getan, habe mich jeden Morgen auf die Kunden und ihre Geschichten und Wünsche gefreut. Ich wollte auch besser sein als der Computer, genauso exakte Informationen liefern, dabei aber auch um die Ecke denken. Denn das macht den Unterschied zu Online-Angeboten aus. Eine gute Reise beginnt schließlich mit einer gescheiten persönlichen Beratung.“

Foto: © Erika Weisser