Hickhack um Schwarmstadt STADTGEPLAUDER | 20.04.2021 | Lars Bargmann

Freiburg Panorama

In Freiburg waren am 31. Dezember – knapp 2700 Zweitwohnsitze eingerechnet – 229.425 Einwohner gemeldet. 324 weniger als Ende 2019. Der Verein ECOtrinova, Teil der Bewegung gegen den geplanten neuen Stadtteil Dietenbach, nimmt das zum Anlass, in einer Pressemitteilung von einem „beachtlichen Einwohnerrückgang“ zu sprechen.

Der Rückgang liegt bei 1,4 Promille. Das ist beim Autofahren sicher beachtlich. Bei Einwohnerzahlen eher nicht.

Für den Verein zeigt der Rückgang „Anzeichen eines Trendbruchs“, der von der Kommunalpolitik „nicht mehr länger übersehen werden“ dürfe. Kurzum: Dietenbach dürfe unter diesen statistischen Evidenzen gar nicht gebaut werden. Nach einer unlängst veröffentlichten Prognose des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) werden in Freiburg im Jahr 2040 etwa 253.700 Menschen leben. Gut zehn Prozent oder auch 24.000 mehr als heute.

Nun ist das nur eine Prognose unter vielen. Das Freiburger Rathaus erstellt solche, das GEWOS-Institut, das Statistische Landesamt. Bei allen Deutungsversuchen, ob nun nicht-öffentlich oder auch in lokalen Medien, darf berücksichtigt werden, dass es zum Wachstum neue Wohnungen braucht. Wenn es keine Bauflächen gibt, wenn sich größere Pläne wie in Zähringen-Nord oder im Zinklern in Lehen jahre- oder jahrzehntelang verzögern, wenn nur wenig genehmigt wird, kann Freiburg gar nicht wachsen.

Das Presseamt des Rathauses hatte im März gemeldet, dass im vergangenen Jahr „trotz schwieriger Verhältnisse“ 668 Wohnungen genehmigt worden seien. Im städtischen Informationsportal „fritz“ hingen sind nur 581 dokumentiert. Die durchaus beträchtliche Abweichung könne mehrere Gründe haben, so Sören M. Werner vom städtischen Amt für Bürgerservice und Informationsmanagement.

Die statistischen Erhebungsbögen, die Bauherren jedem Bauantrag beifügen müssen, träfen in der Statistik des Amts verspätet ein. Bei Umbaumaßnahmen zieht die Statistik die bereits bestehenden Wohnungen von der Zahl neuer ab – diese Differenz könne das Baurechtsamt jedoch nicht aus seinem Fachverfahren ermitteln. Zudem zählen die Statistiker keine Änderungsbaugenehmigungen hinzu, die im Wege von Nachträgen genehmigt werden. Und schließlich lege die kommunale Statistikstelle den Fokus auf die Baufertigstellungen, da erst die Manifestation einer genehmigten Wohnung überhaupt „wirklichkeitsrelevant“ ist. Sagt Werner. Und das mit durchaus gutem Grunde. Am Ende ist es einerlei, ob es 668 oder 581 waren: Es sind zu wenig.

Vermutlich kennt so gut wie jeder einen, der nach Freiburg ziehen will, wenn es geeigneten Wohnraum gäbe. Die BSSR-Studie sieht zwar bundesweit einen negativen Saldo, in Baden-Württemberg aber einen positiven (plus 3,7 Prozent), am südlichen Oberrhein einen noch positiveren (plus 5 Prozent) und in Freiburg mit einem Plus von 10,5 Prozent den positivsten. Das überrascht nicht.

Das Gewos Institut für Stadt-, Regional- und Wohnforschung sagt bis 2035 rund 240.000 Einwohner vorher, das Statistische Landesamt liegt mit 239.000 fast gleichauf, und nach der jüngsten Schätzung des Rathauses hat Freiburg 2030 schon 234.000 Einwohner. Dietenbach kann nach der aktuellsten Planung bis zu 16.000 Bewohner haben. Im Jahr 2040. Wer dagegen wettet, dass dann dort auch so viele Menschen leben werden, liebt das Risiko. Freiburg wird Schwarmstadt bleiben.

Foto: © Neithard Schleier