„Immer den doppelten Aufwand“: Wie ein Blinder das Studium in Freiburg meistert STADTGEPLAUDER | 13.01.2022 | Nathalie Baumgartner

Gibt auch mal kantige Antworten: Psychologie-Student Nico Berth in Freiburg

Der 29-jährige Nico Berth studiert Psychologie an der Uni Freiburg – und ist blind. Im Interview mit chilli-Autorin Nathalie Baumgartner erzählt er, wie das Studium für ihn abläuft, was seiner Meinung nach verbesserungswürdig ist und wann er dumme Antworten gibt.

chilli: Herr Berth, was für Tools haben Sie an Ihrem Laptop, die Ihnen das Lernen vereinfachen?

Berth: Das Programm nennt sich Screenreader. Das ist eine kostenlose Sprachausgabe. Außerdem habe ich eine Braille-Zeile, die man über USB am Laptop anschließt. So kann man auch Blindenschrift auf dem PC lesen. Die wurde mir von der Krankenkasse gezahlt.

chilli: Durch die Pandemie ist die Uni auf Distanz-Lehre umgestiegen. Sehen Sie für sich selbst Vorteile darin?

Berth: Im Prinzip hat sich nur das Faktum verändert, dass ich da halt nicht hingehen muss. Es gibt Dozenten, die die Vorlesung aufzeichnen. Das kommt mir natürlich zupass, weil man die Sachen nochmal abspielen kann. Natürlich hat die Distanz-Lehre auch Nachteile: Man hat dieses Uni-Feeling nicht mehr und lernt auch weniger Leute kennen, auch wenn die Dozent•innen oft bemüht sind, das zu ermöglichen.

chilli: Unterstützen Ihre Dozent•innen Sie?

Berth: Das ist schon auch ein schwieriges Thema. Ich find’s sehr schade, dass im Zuge der Distanz-Lehre das Thema Barrierefreiheit immer noch nicht auf den Tisch gekommen ist. Ich bin der Einzige in meinem Studiengang, der blind ist. Zu Beginn der Veranstaltungen mache ich immer einen Termin mit meinen Dozent•innen aus und spreche das halt an. Viele Lehrenden gehen auch auf mich ein, die sind in der Regel total offen dafür. Und das klappt dann meistens auch. Oft wird es aber schon eher vergessen. Das versteh‘ ich aber auch, weil es ja nicht um eine Masse geht, sondern einfach nur um einen einzelnen Menschen, der halt nichts sieht.

Blind studieren in Freiburg

Weiß sich zu helfen: Student Nico Berth

chilli: Wie laufen Prüfungen bei Ihnen ab?

Berth: Ich kann mir in jedem Fall aussuchen, welches Prüfungsformat ich möchte: mündlich oder schriftlich. Man könnte meinen, dass es total entspannt wird, wenn man mündlich abgefragt wird. So ist’s nicht. Also das ist komplett fair, auch in der Bewertung. Und mehr will ich ja nicht. Wenn ich mal eine Hausarbeit schreiben muss und merke, dass ich das in der Zeit nicht schaffe, da der Aufwand für mich größer ist, zeigen die Dozent•innen auch meistens Verständnis. Natürlich müssen Verlängerungen mit dem Prüfungsamt geklärt werden, aber die sind da echt cool. Wenn man weiß, was man will, dann kriegt man das in der Regel auch.

chilli: Wie könnte die Uni Ihrer Meinung nach sehbehinderten Studierenden das Studium vereinfachen?

Berth: Vor allem durch Barrierefreiheit, zum Beispiel bei Arbeitsmaterialien. Ich hab‘ Assistenten, die mir von der Krankenkasse bezahlt werden, die Sachen für mich umsetzen und Grafiken zum Beispiel einfach beschreiben. Aber das dauert halt. Dementsprechend hab‘ ich immer den doppelten Aufwand, wenn ich für eine Prüfung lerne. Wenn das besser laufen würde, wäre das auf jeden Fall viel weniger stressig für mich. Ich hab‘ das auch schon öfter angesprochen und darum gebeten, dass generell dem Lehrkörper auch mal gesagt wird: „Da ist ein blinder Mensch, der irgendwann in eurem Kurs landen wird.“ Und das wurde halt eben auch nicht gemacht.

chilli: Was wünschen Sie sich von der Gesellschaft?

Berth: Was ich immer ein bisschen nervig finde ist, dass man sehr schnell als hilflos abgetan wird. Man wird oft einfach unterschätzt. Ich find’s cool, wenn man auf der Straße eine blinde Person sieht und sie fragt, ob man ihr helfen kann – dann sagt die Person halt entweder ja oder nein. Aber es gibt auch Leute, die das nicht so ganz akzeptieren können und auch penetrant werden. Manchmal bekomme ich auch Fragen gestellt, wo ich mir denke: „Denk doch mal erstmal selbst ein bisschen nach.“ Ich werde zum Beispiel gefragt, ob ich in der Lage bin, mich selbst zu rasieren oder mir die Zähne putzen. Ich find’s voll ok, wenn man Fragen stellt. Aber wenn man mich dumm fragt, geb‘ ich halt auch dumme Antworten.

Beratung an der Universität

Eine genaue Zahl der Studierenden mit Sehbehinderung an der Uni Freiburg gibt es nicht, da sie nicht zentral erfasst werden. Neuanfragen zum Thema Studium mit Sehbeeinträchtigung machten an der Beratungsstelle der Uni im akademischen Jahr 2019/2020 jedoch 7 Prozent, und im Jahr 2020/2021 3 Prozent aus. Ansprechpartnerin ist Solveig Roscher, die Beauftragte für Studierende mit Behinderung oder chronischer Erkrankung.

In der Beratung werden Betroffene besonders bei der Sicherstellung eines barrierefreien Zugangs zu den Veranstaltungsräumen, bei Nachteilsausgleichen bei Prüfungen und auf der Suche nach einer Assistenzkraft oder finanziellen Hilfen unterstützt. Außerdem hat die Uni Freiburg einen Hilfsmittelpool und barrierefreie Arbeitsplätze in der Universitätsbibliothek.

Fotos: © Nathalie Baumgartner

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