Keine Vollkasko: Wie Freiburg sicherer werden soll STADTGEPLAUDER | 21.12.2018 | Tanja Senn und Philip Thomas

Der Druck auf die Behörden ist groß, die Verunsicherung spürbar: Das schwere Sexualverbrechen in Freiburg und der Anschlag in Straßburg haben Freiburg erschüttert. „Wir können keine Vollkaskoversicherung bieten“, sagte Polizeipräsident Bernhard Rotzinger dazu auf einer Pressekonferenz mit nationaler Reichweite.

Eine Reihe von Maßnahmen soll nun zumindest das Gefühl der Sicherheit in der Studentenstadt wiederherstellen. Zwei stehen dabei im Fokus: der Ausbau der Sicherheitspartnerschaft und ein neues Konzept für das Frauennachttaxi.

„Das subjektive Sicherheitsgefühl in Freiburg ist extrem beschädigt“, sagt Simone Thomas, Frauenbeauftragte der Stadt. Mehrere Frauen im Publikum nicken zustimmend. Es ist Montagabend. Die Badische Zeitung hat zur Podiumsdiskussion in der Mensa Bar eingeladen. Das Thema: „Nachts in der Stadt. Wie sicher ist Freiburg?“

Rund 180 Menschen verfolgen die Diskussion. Wäre das vor einem Monat genauso gewesen? Sicherlich nicht. Seit der Gruppenvergewaltigung einer 18-Jährigen durch mehrheitlich Syrer bekomme sie zahlreiche Rückmeldungen von Frauen, die sich sehr unwohl fühlen, erzählt Thomas. Dieses Gefühl lässt sich mit der Statistik untermauern: Freiburg ist bereits seit 2001 Baden-Württembergs Kriminalitätshochburg. Selbst im bundesweiten Vergleich liegt Freiburg auf einem Top-10-Platz der gefährlichsten Städte. Zwar hat das Polizeipräsidium die Statistik für dieses Jahr noch nicht veröffentlicht, die Zahl der Sexualdelikte sei dieses und vergangenes Jahr allerdings gestiegen, verrät Rotzinger: „Da korrespondiert die Wahrnehmung vieler Frauen mit dem, was wir angezeigt bekommen.“

Wie kann man gegen das Unsicherheitsgefühl vorgehen? Während die Polizei auf mehr Präsenz in der Altstadt setzt, fordert der Gemeinde­rat ein verbessertes Frauennachttaxi als „niederschwelliges Angebot“.

Die aufgestockte Sicherheitspartnerschaft soll das ändern. Wie die aussieht, ist an einem Freitagabend Ende November in der Kurve vor dem Freiburger Diakoniekrankenhaus zu beobachten. Sie ist nicht zufällig gewählt. „Autofahrer sollen uns nicht schon von weitem sehen“, sagt Spencer Diringer, Leiter des Kontrollpostens. Mehrere Dutzend Beamte sind um das Krankenhaus im Einsatz und winken Fahrzeuge heraus. „Im gesamten Stadtgebiet sind Hundertschaften im Einsatz“, so Polizeisprecherin Laura Riske bei der ersten Aktion dieser Größe in Freiburg.

Immer wieder heißt es an der Schleuse aus Polizeiwagen, Pylonen und Standlichtern: „Motor abschalten und Papiere bereithalten“, bevor die Beamten mit Taschenlampen in die Fahrzeuge leuchten. Mit gespreizten Armen und Beinen wird ein Mann in Trainingshose gegen seinen Lieferwagen gestellt und abgetastet. Der Schwerpunkt liegt auf Rauschgiftkriminalität und Identitätsbetrug. „Wir achten aber auf alles“, sagt Diringer.

»Wir erhöhen unsere Präsenz noch weiter«

Ergebnis der mehr als 600 Überprüfungen: 32 Straftaten, davon 27 gegen das Betäubungsmittelgesetz, zwei Ordnungswidrigkeiten, zehn Festnahmen und drei gefälschte Dokumente. Rotzinger kündigt an: „Das war nicht die letzte Kontrolle.“

Solche „Schwerpunktaktionen“ sind Teil der Sicherheits­partnerschaft zwischen Stadt und Land, die nach der Gruppenvergewaltigung ausgebaut wurde. So haben die Freiburger Polizisten fünf zusätzliche Ermittlungsassistenten bekommen, und auch der kommunale Vollzugsdienst sowie die Streetworker werden personell verstärkt. „Wir erhöhen unsere Präsenz noch weiter“, kündigt Rotzinger an, „aber natürlich können wir nicht überall sein.“

Daher soll die geplante Videoüberwachung an Brennpunkten wie dem Bermudadreieck bis zum Frühjahr eingerichtet werden. Teil des Pakets ist auch die landesweit erste Außenstelle für eine Ermittlergruppe, die sich um Intensivtäter kümmert. Laut Polizeipräsidium hat die Sicherheits­partnerschaft, die seit März 2017 läuft, vergangenes Jahr erste Erfolge gezeigt: Zwar wurde das Ziel, die Gewaltkriminalität in ganz Freiburg um zehn Prozent zu senken, weit verfehlt – sie ist um 50 Fälle und damit nur um fünf Prozent gesunken –, allerdings war der Rückgang in der Altstadt mit 16 Prozent deutlich höher. Auch wenn das Freiburger Präsidium für dieses Jahr noch keine Zahlen bekanntgibt, es würden sich weiter deutliche Rückgänge abzeichnen.

Zwar ist unwahrscheinlich, dass durch die neuen Großrazzien Straftaten wie vor dem Hans-Bunte-Areal verhindert werden können, Julian Würtenberger, Staatssekretär aus Stuttgart, geht es aber auch um Abschreckung. „Wir wollen Licht ins Dunkel bringen“, sagt er im Schein von Blaulicht und Taschenlampen. JPG-Stadträtin Monika Stein bezweifelt den Erfolg: „Da wird eine große Welle geschlagen, aber wenn man sich anschaut, was dabei rauskommt, ist das ernüchternd.“ Für die Sicherheit der Freiburger Frauen sei ein funktionierendes Frauennachttaxi wichtiger.

Das ist bislang keine Erfolgsgeschichte: Monatlich nutzten mal nur 4, in der Spitze 33 Frauen das im Dezember 2017 eingeführte Taxi. Kritiker führten die geringe Nutzung vor allem auf den abgelegenen Abfahrtsort „Auf der Zinnen“ zurück. Deswegen fahren die Taxis ab sofort beim besser ausgeleuchteten und zentralen Siegesdenkmal ab. Einigen Stadträten reicht das nicht. Vor allem die Frauen von Bündnis 90/Die Grünen, Unabhängige Listen und JPG sprechen sich für ein Ruftaxi aus, das Frauen an allen Wochentagen ab 22 Uhr von jedem Punkt der Stadt aus nutzen können. Frauen würden nach ihrem Modell sieben Euro pro Fahrt zahlen, den restlichen Betrag übernehme die Stadt. „Die notwendigen Haushaltsmittel sind außerplanmäßig einzustellen“, heißt es im Antrag.

„Die peinliche Konzeption muss sofort geändert werden“, fordert Grünen-Fraktionsvorsitzende Maria Viethen. Sofort heiße dabei nicht erst nach der nächsten Gemeinderatsitzung im kommenden Februar, sondern beim nächsten Treffen des Hauptausschusses am 17. Dezember. Aus diesen Plänen wird allerdings nichts: Rechtlich ist so eine Entscheidung ohne Gemeinderatsbeschluss gar nicht möglich. Zudem würden „bürokratische Bedenken dem ganz niederschwelligen Angebot, wie wir es wollten, im Weg stehen“, berichtet Irene Vogel von den Unabhängigen Listen nach einem interfraktionellen Gespräch.

Luisa in noch mehr Clubs

Die Ideen für mehr Sicherheit von Frauen gehen den Stadträtinnen dennoch nicht aus. Dazu gehört, die Stadt – engagierter als bisher – auf Angsträume zu prüfen oder die Themen „Gleichberechtigung“ und „sexualisierte Gewalt“ in den Lehrplänen zu verankern. Auch das Programm „Ist Luisa hier?“ soll gestärkt werden.

Mit diesem Satz können sich Frauen an Club-Mitarbeiter wenden, die dann in einem geschützten Raum mit der Frau gemeinsam überlegen, wie sie weiter vorgehen: Soll ein Taxi gerufen werden, eine Freundin oder gleich die Polizei? „Da war ein dickes Brett zu bohren“, erinnert sich Claudia Winker vom Verein Frauenhorizonte an den Start des Projekts vor gut einem Jahr.

„Viele Clubs wollten sich nicht schulen lassen.“ Die Gruppenvergewaltigung hat auch hier ein Umdenken einsetzen lassen. Danach hätten sich einige zusätzliche Diskos für Schulungen angemeldet, berichtet Frauenhorizonte-Pressesprecherin Pia Kuchenmüller, darunter auch erstmals große Locations wie das Hans Bunte oder das neu eröffnete Neko. „Wir halten es für notwendig, dass alle mitmachen“, fordert Vogel. „Deshalb wollen wir rechtlich prüfen lassen, ob man das nicht an die Konzessionsabgabe binden kann.“ Auch Rotzinger macht deutlich: „Es gibt Taten, die zwar nicht strafrechtlich relevant sind, aber das Sicherheitsempfinden stark beeinträchtigen. Auch hier müssen wir ansetzen.“

Fotos: © Polizeipräsidium Freiburg, iStock.com/ ljubaphoto, Unsplash