Legalisierung – und dann? – Was sich in Freiburg ändert, wenn THC-Konsum erlaubt wird STADTGEPLAUDER | 20.07.2022 | Till Neumann

cannabis

Die Ampelregierung möchte Cannabis zum Konsum freigeben. Was würde das für Freiburg bedeuten? Ein Hanfverkäufer und die Drogenhilfe sehen viele Vorteile. Amtsgericht, Polizei und Staatsanwaltschaft halten sich überraschend bedeckt.

„Das wird wahnsinnig“, jubelt Tobias Pietsch. Der 38-Jährige betreibt drei Hanfnah-Läden in der Region – und hat sich als Aktivist bundesweit einen Namen gemacht. Für ihn ist die Legalisierung überfällig: „Sie wollen mich ins Gefängnis stecken“, berichtet Pietsch. Für den Verkauf von mutmaßlich legalen CBD-Produkten war er bereits vor Gericht, aktuell läuft eine zweite Klage gegen ihn. Im Raum stand eine Höchststrafe von fünf Jahren Gefängnis. 

Mit Freiburg geht Pietsch hart ins Gericht. Die Drogenpolitik sei rabiat: Von Null-Toleranz habe eine Richterin in seinem Verfahren gesprochen. Bei Razzien in den drei Hanfnah-Läden seien die Unterschiede deutlich geworden: „In Lahr haben die Polizisten nichts mitgenommen, in Lörrach von jedem CBD-Produkt ein Exemplar – und in Freiburg einfach alles.“

Tobias Pietsch: Chef der Hanfnah-Läden

Tobias Pietsch: Chef der Hanfnah-Läden

Die Kriminalisierung ärgert den Hanfverkäufer: „Es sind so viele Einzelschicksale.“ Erst sei der Führerschein weg, dann würden sie ihren Job verlieren und am Ende gingen daran auch Beziehung oder Familie in die Brüche.

Auch Christoph Weber von der Drogenhilfe Freiburg kennt solche Fälle. „Wir erleben es immer wieder“, sagt der Sozialarbeiter. „Viele junge Handwerker vom Land verlieren wegen Cannabis ihren Führerschein“, berichtet der 61-Jährige. Dann würden sie arbeitslos, die Strafe schlage ins Gegenteil um: „Sie konsumieren dann nur noch mehr.“ 

Weber fordert eine Reform des Führerscheinrechts: „Man müsste aktives THC messen.“ Ob jemand zwei Stunden oder zwei Tage vor dem Autofahren konsumiert habe, sei relevant. „Da muss man total unterscheiden“, so Weber. Das Verfahren, um den Führerschein wiederzubekommen, sei zudem zu teuer und zu lang. „Die MPU ist undurchschaubar, die Fragen sind so schwammig, da kann man nur lügen.“

Christoph Weber von der Drogenhilfe Freiburg

Christoph Weber von der Drogenhilfe Freiburg

Seit 1998 ist Weber bei der Drogenhilfe Freiburg. Er sagt: „Eine Legalisierung ist dringend notwendig, ohne Cannabis zu verharmlosen.“ Die Bestrafung treffe oft Gelegenheitskonsumenten, die nicht süchtig sind. „Mit der Justiz zu kommen, ist nicht gut.“ Als Positivbeispiel nennt er Portugal. Dort ist seit 2001 der Konsum von Cannabis, Speed, Heroin und Kokain in gewissen Mengen legal. Statt Konsumenten zu bestrafen, wird auf Entzugshilfe und Begleitung gesetzt.

Legaler Konsum würde für Weber auch mehr Sicherheit bringen. Gerade mit Blick auf den Trend: „Zehn Prozent des beschlagnahmten Cannabis vom Schwarzmarkt ist sogenanntes Chemiegras“, warnt der Suchtexperte.

Und was ändert eine Legalisierung für Gerichte, Polizei und Staatsanwaltschaft? „Im letzten Jahr wurden circa 5000 Betäubungsmittelverfahren bei der Staatsanwaltschaft Freiburg bearbeitet“, teilt Sprecherin Martina Wilke mit. Eine Statistik zu Cannabis gebe es nicht. Sicher sei aber: „Cannabis ist das am weitesten verbreitete Betäubungsmittel.“ Ob eine Legalisierung Einfluss auf die Anzahl der Verfahren und den Ermittlungsaufwand habe, ließe sich jedoch erst abschätzen, wenn „Umfang und Ausgestaltung“ bekannt sind.

Auch Lars Petersen vom Amtsgericht hält sich bedeckt: „Leider führen wir keine Statistiken, die es uns erlauben würden, Ihre Fragen zu beantworten.“ Ähnliches lässt Polizeisprecher Özkan Cira verlauten: „Welche Folgen eine Legalisierung von Cannabis auf die Arbeitsbelastung des Polizeipräsidiums Freiburg hätte, ließe sich unserer Einschätzung nach lediglich spekulativ beantworten.“

Für Hanfnah-Chef Pietsch ist klar: „Es wird sich definitiv einiges ändern.“ Die rund 100 Dealer in der Stadt würden durch 20 bis 30 Verkaufsstellen ersetzt. Dass es dann Warteschlangen gebe wie bei der Legalisierung 2018 in Kanada, würde er nicht ausschließen. „Viele Bürger scharren mit den Hufen.“ Eine Enttabuisierung wäre für ihn wünschenswert. Selbst Freunde von ihm würden sich teilweise nicht in seinen Laden trauen. Stigmatisierung und Ächtung sei fest in den Köpfen. Dabei gelte Alkohol weiterhin als Kavaliersdelikt.

Ob die Legalisierung in dieser Legislaturperiode wirklich kommt? Weber und Pietsch sind optimistisch. Falls nicht, will der Hanfverkäufer auf die Barrikaden gehen: „Dann laufe ich bis nach Berlin, wir machen eine neue Badische Revolution.“ Im Kleinen hat er das im Mai geübt: Beim Marihuana March zog er mit rund 1000 Aktivist·innen durch Freiburg. Das Interesse wächst: Im Dezember steigt erstmals der Fachkongress CannaB. an der Messe Freiburg. Thema der Runde ist die geplante Legalisierung und ihr „vielfältiges und enormes Potenzial“.

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